Heute mache ich dann mal keinen Thementag, sondern einen Tag „Kessel Buntes“, allerdings aus StGB und StPO – und nicht – wie meist am Samstag – aus dem (Verkehrs)Zivilrecht. Und ich eröffne mit dem LG Leipzig, Beschl. v. 15.08.2017 – 1Ks 100 Js 40760/16, ergangen in einem beim Schwurgericht anhängigen Verfahren. Den hat mir der Kollege M. Stephan aus Dresden übersandt.
Im Verfahren scheint es – jedenfalls ist das m.E. aus dem Gesamtzusammenhang der Beschlussgründe zu entnehmen – auch um die Anordnung von Sicherungsverwahrung zu gehen. Dazu hat das Gericht eine Sachverständige beauftragt. Die haben die Verteidiger erfolgreich – was nicht so häufig ist – wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 74 StPO) abgelehnt.
Zur Begründung des Ablehnungsantrags ist vorgetragen worden, „dass die Sachverständige auf ihrem öffentlich zugänglichen Facebookprofil Inhalte gepostet habe, die geeignet seien für einen vernünftigen und verständigen Angeklagten den Eindruck zu erwecken, dass die Sachverständige nicht mit der erforderlichen Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit ihr Gutachten erstatten könne. So habe sie anlässlich der Vorkommnisse zum G-20-Gipfel in Hamburg u.a. gepostet, dass sie „nicht übel Lust (habe), 75 % der Verfasser, die sich hinter einem Nicknamen verstecken, in die nächstgelegene Sicherungsverwahrung zu gutachten!“ Darüber hinaus seien auch Zweifel dahingehend angemeldet, dass mit in den Akten enthaltenen höchst persönlichen Daten gesetzeskonform umgegangen werde, wenn die Sachverständige am 13.07.2017 in ihrem Facebook account gepostet habe: „Hurra. Ich werde geliebt. Zwei Umzugskartons von der Staatsanwaltschaft. Mein Wochenende ist gesichert. Freizeitstress wird da nicht aufkommen!“ Auch sei in einem Zeitungsartikel die Sachverständige mit einem Doktortitel genannt worden, den sie nicht innehabe.“
Die Sachverständige hat zu den vorgetragenen Gründen – in meinen Augen – „bemerkenswert“ Stellung genommen und ausgeführt, der Facebookpost sei als Ausdruck der freien Meinungsäußerung anzusehen, der keinen Bezug zu dem aktuellen Strafverfahren aufweise. Der monierte Facebookpost über den Erhalt der Akten sei anonymisiert und nicht geeignet, die Datensicherheit in diesem Verfahren zu gefährden.
Das LG hat es – m.E. zutreffend – anders gesehen und hat dem Ablehnungsantrag – übrigens in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft – als begründet angesehen:
Der Sachverständigen pp. ist zwar insoweit Recht zu geben, dass die überwiegenden von der Verteidigung genannten Umstände nicht geeignet sind, die Besorgnis der Befangenheit gegen die Sachverständige zu begründen, wie der Zeitungsartikel aus dem Jahr 2008 und die dortige Bezeichnung als Doktor, sowie der Facebookpost im Bezug auf dem Eingang von umfangreichen Akten und die damit begründete Besorgnis, dass mit sensiblen Daten der Angeklagten nicht sorgfältig umgegangen werde.
Allerdings ist unter Berücksichtigung der sehr weitreichenden Rechtsprechung des BGH zur Frage von Posts in öffentlich zugänglichen Facebookprofilen, auch von solchen Äußerungen, die keinen konkreten Bezug zu einem bestimmten Verfahren aufweisen, der von der Sachverständigen gepostete Facebookeintrag zu den Vorkommnissen auf dem G-20-Gipfel unter Zugrundelegung dieses strengen Maßstabes geeignet, Zweifel an der Unparteilichkeit der Sachverständigen zu begründen, dies auch unter Berücksichtigung dessen, dass sie mit dem Post – wie von dieser näher erläutert – offensichtlich das Stilmittel der Übertreibung anwendet, um einen humoristischen Effekt zu erzielen.
Die Äußerungen sind jedenfalls geeignet, für einen verständigen Angeklagten den Eindruck zu erwecken, dass die Sachverständige die Voraussetzungen einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aus sachfremden Erwägungen und nicht objektiv beurteilten könnte. Da die Facebookseite auch einen eindeutigen Hinweis auf die berufliche Tätigkeit der Sachverständigen enthält, ist auch ein Bezug zu ihrer beruflichen Tätigkeit gegeben und die Äußerungen nicht nur als im privaten Rahmen abgegeben zu werten, zumal das Facebookprofil öffentlich zugänglich ist. Unter Zugrundelegung des strengen Maßstabes des BGH sind die Äußerungen damit geeignet, dass ein Angeklagter den Eindruck gewinnen könnte, dass es der Sachverständigen an der gebotenen Neutralität mangele.
Der Einwand der Sachverständigen, dass dies der Unschuldsvermutung entgegenlaufe und ein sicherer Nachweis der die Befangenheit begründenden Umstände erfolge müsse, greift nicht.
Zur Begründetheit des Befangenheitsantrages ist es gerade nicht erforderlich, dass die abgelehnte Person tatsächlich befangen ist, sondern unter Beurteilung eines verständigen Angeklagten Misstrauen in die Unparteilichkeit gerechtfertigt erscheint und der Eindruck der mangelnden Neutralität aus Sicht eines verständigen Angeklagten erweckt wird. Insofern ist nicht entscheidend, dass der abgelehnte Richter oder Sachverständiger tatsächlich diese innere Haltung aufweist. Dies beinhaltet gerade auch keine Vorverurteilung der Sachverständigen, der auch keinerlei strafrechtsrelevante Handlungen im Zusammenhang mit dem Facebookpost zur Last gelegt werden.“
Zur Befangenheit aufgrund der Äußerungen bei Facebook hatten wir ja schon einige, nämlich:
- „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA…“. oder: Das unfassbare Facebook-Profil eines StK-Vorsitzenden
- Wer auf Facebook hetzt, kann nicht Schöffe sein
- Nachschau u.a. beim „Facebook-Profil“ des Schöffen, oder: Für das „Edathy-Urteil“ „schäme ich mich“.
Der Beschluss zeigt: Es kann sich lohnen, bei Facebook mal Nachschau zu halten. Die Verteidiger hatten es hier getan 🙂 .
Au weia. Die Stellungnahme der Sachverständigen ist recht schräg („konservative rechtsstaatliche….“) , abgesehen davon, dass sie offenbar nicht verstanden hat, was der Unterschied zwischen dem öffentlichen Facebookprofil und dem „privaten“ Bereich und somit „privaten Meinungsäußerungen“ ist.
Mit der Äußerung zu ihren Gutachtenswünschen betreffend G20 dürfte sie als Sachverständige für SV-Gutachten ebenso verbrannt sein wie der Vorsitzende mit dem Bierflaschenfoto für eine strafrichterliche Tätigkeit.
Ich denke auch, dass das eine Steilvorlage für alle kommenden Verfahren sein dürfte.
Gut dass es noch Anwälte gibt, die auch „abwegige“ Pfade betreten, ihren Mandanten zu helfen, gut dass es noch Richter gibt, welche die Befangenheitsregeln überhaupt verstehen und so dem Recht den Vorzug geben vor einer oft üblichen Kumpanei. – Recht so!