Zum Tagesschluss dann noch eine haftrechtliche Entscheidung. Das OLG Hamburg nimmt in dem OLG Hamburg, Beschl. v. 20.07.2017 – 2 Ws 110/17, den mir der Kollege Diedrich aus Hamburg übersandt hat – besten Dank – im Verfahren der „Sechs-Monats-Prüfung“ nach §§ 121, 122 StPO zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) Stellung. Grundlage des Haftbefehls waren zwei Betrugstaten, und zwar einmal Anmietung eines Pkw und zum anderen Buchung einer Reise. Dem OLG reichen diese Taten nicht zur Begründung der Wiederholungsgefahr aus:
„Bei den Anlasstaten muss es sich ferner — in jedem Einzelfall (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt § 112a Rn. 9 m,w.N.) — um die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Taten handeln. An Anordnung und Vollzug der Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr sind im Hinblick auf ihren Charakter als präventive Sicherungshaft aus verfassungsrechtlichen Gründen strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfGE 35, 185; KG NStZ-RR 2015, 115). Den Anlasstaten muss überdurchschnittlicher Unrechtsgehalt und Schweregrad zukommen (vgl. OLG Frankfurt StV 2016, 816; Meyer-Goßner/Schmitt § 112a Rn 9), wobei zur Bestimmung des Gewichts der Tat Begleitumstände wie Beweggründe, Art der Tatausführung, Auswirkungen der Tat, Vorleben und Nachtatverhalten herangezogen werden können (OLG Hamm NStZ-RR 2015, 115). Die Anlasstaten müssen auch geeignet sein, in weiten Kreisen das „Gefühl der Geborgenheit im Recht“ zu beeinträchtigen (Senat, Beschl. v. 24. Januar 2014 (Az.: 2 10/14); KG NStZ-RR 2015, 115).
Besonderes Gewicht kommt dem Erfordernis einer die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigenden Tat zu, soweit als Anlasstaten Betrugstaten nach § 263 StGB in Rede stehen, da der Gesetzgeber den Betrug nach § 263 StGB — anders als den Diebstahl nach § 242 StGB oder die (einfache) Körperverletzung nach § 223 StGB — bereits im Grundtatbestand und damit ohne Differenzierung nach der Schwere der Tat in den Katalog des § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO aufgenommen hat. Die Stellungnahme der Bundesregierung zur Einführung des § 112a StPO lässt erkennen, dass insoweit eine vorsichtige Anwendung des Haftgrundes befürwortet wurde: „ . zeigt, daß sich die Wiederholungsgefahr auf Eigentums- und Vermögensdelikte konzentriert. Gerade bei diesen Delikten ist aber geboten, soweit nicht erschwerende Umstände wie Gewaltanwendung und der gleichen hinzukommen, die aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderliche Zurückhaltung zu üben.“ (BT-Drs. 11/3248, BI. 7).
Betrugstaten sind nur dann geeignete Anlasstaten, wenn sie in ihrem konkreten Schweregrad nach Art und Ausführung sowie Umfang des Schadens mindestens etwa einem besonders schweren Fall des Diebstahls nach § 243 StGB entsprechen (vgl. KG NStZ-RR 2015, 1 15; OLG Hamm, Beschl. v. 1. April 2010, Az.: 3 Ws 161/10; OLG Thüringen, Beschl. v. 23. Januar 2008, Az.: 1 Ws 29/08 (juris); Meyer-Goßner/Schmitt § 112a Rn. 7; KK-Graf § 112a Rn. 10; HK-Posthoff § 112a Rn. 7). Durch Betrugstaten verursachte Vermögensschäden unterhalb eines Betrages von etwa 2000 EUR werden in aller Regel den erforderlichen Schweregrad nicht begründen (vgl. OLG Naumburg, NStZ-RR 2013, 49; OLG Hamm StV 2011, 291; MüK0-StPO/Böhm § 112a Rn. 28; § 112a Rn. 14a).“
Ergebnis: Aufhebung des Haftbefehls.
Danke für diesen sehr interessanten Artikel. Doch in den wenigsten Fällen wird dieses Gesetz angebracht. Zum einen ist die Erfolgsquote sehr gering und die Gefängnisse in den Städten sind eh völlig überfüllt
Ein wenig wirr, oder?
Komme gerade aus der JVA Heinsberg vom Mandantengespräch und wollte mich auf die Suche nach einer Entscheidung zur Erheblichkeit der Taten bei angenommener Wiederholungsgefahr im Haftbefehl machen – und hier bekomme ich eine ganz frische völlig ohne Suche serviert!
Was für ein Service! 😉
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