Wegen des vorherigen Postings hatte ich in meinem Blogordner bei den KG-Entscheidungen gestöbert. Dabei bin ich dann auch auf den KG, Beschl. v. 15.03.2016 – (1) 2 StE 14/15-8 (3/15) – gestoßen. Schon etwas älter, ist immer wieder auf dem „Veröffentlichungstreppchen“ nach unten gerutscht. Heute bringe ich ihn dann aber.
Der Beschluss behandelt eine Problematik, die in Zusammenhang mit einer Telefonüberwachung – kurz TKÜ (= Telekommunikationsüberwachung) steht. In einem Verfahren wegen wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland u.a ist eine solche durchgeführt worden. Darüber gibt es aufgezeichnete und beim Landeskriminalamt gespeicherte Daten auf 44 DVDs bzw. transportablen Festplatten. Es ist Besichtigung der Beweismittel durch die Angeklagten in der Form, dass ihnen die im Zuge der Telekommunikations- und Fahrzeuginnenraumüberwachung gespeicherten Audiodateien in digitaler Kopie auf ihnen zur Verfügung gestellten Laptops zur Einsicht überlassen werden beantragt worden. Den Antrag hat das KG (teilweise) abgelehnt.
Dazu zunächst die Leitsätze 1 und 2 der Entscheidung:
- Der Angeklagte hat keinen Anspruch auf Überlassung der im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung oder Fahrzeuginnenraumüberwachung aufgezeichneten, amtlich verwahrten Daten zum Zweck der Besichtigung dieser Beweismittel. Die Strafprozessordnung sieht ein solches Recht des Angeklagten nicht vor, außerdem verbietet der Schutz der Grundrechte drittbetroffener Personen die Herausgabe der Daten.
- Grundsätzlich hat auch der Verteidiger keinen Anspruch auf Überlassung dieser Beweisstücke; die Einsichtnahme findet am Ort der amtlichen Verwahrung statt (§ 147 Abs. 4 Satz 1 StPO).
Aber: Keine Regel ohne Ausnahme. Und auch dazu verhält sich der KG, Beschl.:
„Der Senat lässt allerdings – der Ansicht des Bundesgerichtshofes (NStZ 2014, 347) folgend – in besonderen Fallkonstellationen Ausnahmen vom Verbot der Herausgabe zu. Den Verteidigern können digitale Kopien der Überwachungsdateien dann überlassen werden, wenn ein Missbrauch mit hoher Sicherheit ausgeschlossen werden kann und im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer dem Interesse des Angeklagten auf zeitweise Übergabe der Daten an den Verteidiger Vorrang vor dem Grundrechtsschutz der betroffenen Dritten zukommt (vgl. zum Streitstand auch Meyer-Goßner a.a.O., § 147 Rdn. 19; Laufhütte/Willnow in KK-StPO, 7. Aufl., § 147 Rdn. 10; Lüderssen/Jahn in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 147 Rdn. 112, 117; Wessing in Beck-OK-StPO, Stand 30. September 2013, § 147 Rdn. 19; OLG Frankfurt/M. StV 2016, 148 und StV 2001, 611; für einen generellen Anspruch auf Überlassung einer Kopie: Beulke/Witzigmann, StV 2013, 75; Meyer-Mews, NJW 2012, 2743). Allerdings lässt sich eine Überlassung an die Verteidigung nicht allein mit dem besonderen Umfang der Daten begründen, denn mit dem Umfang steigen typischerweise auch die Schwere der drittbelastenden Grundrechtseingriffe, die Zahl der betroffenen Personen und der mögliche drohende Schaden für die betroffenen Rechtsgüter.
Nach diesen Maßstäben war es vertretbar, den Verteidigern – wie geschehen – in vorliegender Sache die gesamten dem Senat vorliegenden Audiodateien als digitale Kopien zur Erleichterung ihrer Arbeit zu überlassen. Denn es erschien aufgrund der Verschlüsselung sämtlicher Audiodateien, die nur mit einem den Verteidigern mitgeteilten, vertraulich zu behandelnden Passwort zugänglich sind, hinreichend sicher, den Zugriff durch Dritte zu verhindern. Zudem ist neben einzelnen DVDs nur eine leicht überschaubare Anzahl von Datenträgern (zwei Festplatten) ausgehändigt worden, die nicht kopiert werden dürfen. Aufgrund der fachlichen und persönlichen Integrität der dem Gericht bekannten Strafverteidiger erschien es höchst unwahrscheinlich, dass die Daten kopiert, weitergegeben oder nicht zurückgegeben werden, sodass die sichere Löschung zum gegebenen Zeitpunkt nicht ernsthaft in Frage stand. Den Verteidigern ist im Übrigen die Verschwiegenheitspflicht aus § 43a Abs. 2 BRAO ebenso bekannt wie die Strafbarkeit der Verletzung eines Berufsgeheimnisses nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Hinzu kommt, dass vorliegend dem Interesse der Angeklagten, die Audiodateien den Verteidigern zu überlassen, damit diese das besonders umfangreiche Material ggf. unter Zuziehung eines Dolmetschers sichten können, besonders hohes Gewicht zukommt, da sie sich bereits seit über einem Jahr in Untersuchungshaft befinden und angesichts des mit fortdauernder Untersuchungshaft an Gewicht zunehmenden Freiheitsanspruches alle Möglichkeiten, das Verfahren zu beschleunigen, zu nutzen sind. Die Überlassung der Daten ermöglicht es den Verteidigern, die sich im Ermittlungsverfahren nicht ausreichend um die Besichtigung bemüht hatten (was den Angeklagten selbst nicht zum Nachteil gereichen soll), schnellstmöglich die von ihnen nunmehr für erforderlich erachtete Prüfung der Relevanz der Beweismittel vorzunehmen und dabei nicht auf die Geschäftszeiten bei Gericht oder beim Landeskriminalamt, wo die Daten verwahrt werden, angewiesen zu sein. Durch die Möglichkeit der Verteidiger, mit ihren Laptops und der überlassenen transportablen Festplatte die Mitschnitte der Telefongespräche und ELAU-Maßnahmen auch gemeinsam mit dem Angeklagten in der Justizvollzugsanstalt anzuhören (vgl. OLG Köln StV 1995, 12; OLG Frankfurt StV 2001, 611; Laufhütte/Willnow in KK-StPO, a.a.O., § 147 Rdn. 10), ist den Verteidigungsinteressen insgesamt hinreichend Rechnung getragen.“
Anders wird es m.E. bei der Menge des Materials auch wohl kaum gehen. Und ein Lob gibt ees für die Verteidiger vom KG auch noch 🙂 : „Aufgrund der fachlichen und persönlichen Integrität der dem Gericht bekannten Strafverteidiger ….“
Justiztechnik und die TKÜ
von RA Carsten R. Hoenig
https://www.kanzlei-hoenig.de/2016/justiztechnik-und-die-tkue/