Ich habe in der letzten Zeit wiederholt über Entscheidungen berichten können, in denen die Frage eines Beweisverwertungsverbotes in Zusammenhang mit Durchsuchungen eine Rolle gespielt hat. Das waren der Beitrag: Durchsuchung II: Nichts Neues zum Beweisverwertungsverbot, oder: Gesund beten, zum BGH, Urt. v. 17.02.2016 – 2 StR 25/15 – oder der BGH, Beschl. v. 21.04.2016 – 2 StR 394/15, und dazu:Durchsuchung IV: Wenn Oberstaatsanwälte irren, Beweisverwertungsverbot, oder: Kein gesund Beten, aber auch der AG Kehl, Beschl. v. 29.04.2016 – 2 Cs 303 Js 19062/15 und dazu Beweisverwertungsverbot bei rechtswidriger Durchsuchung, oder: Schöne AG-Entscheidung. In die Reihe gehört dann noch der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.06.2016 – III-3 RVs 46/16, der – oh Wunder – auch zu einem Beweisverwertungsverbot kommt. Ist schon erstaunlich, was sich da im Moment tut. M.E. aber sicherlich noch zu früh, um von einer Wende in der Rechtsprechung – hin zum Beweisverwertungsverbot – zu sprechen.
Denn es handelt sich letztlich dann doch immer um Fälle, in denen am Beweisverwertungsverbot kein Weg vorbei ging. So auch beim OLG Düsseldorf. Da hatten Polizeibeamte im Zuge einer anderweitigen Durchsuchungsmaßnahme einen aus der Wohnung des späteren Angeklagten kommenden stärkeren Marihuanageruch bemerkt. Der Gruppenleiter versuchte über einen Zeitraum von 10 bis 15 Minuten mindestens dreimal erfolglos, den Eildienst der StA telefonisch zu erreichen, um diesen zu veranlassen, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken. Zwei Polizeibeamte klopften an der Wohnungstür. Sie gaben sich dabei auch verbal als Polizeibeamte zu erkennen. Hierauf wurde die Wohnungseingangstür nach dem Eindruck der Polizeibeamten von innen mittels eines Schlüssels verschlossen. Die Polizeibeamten schöpften den Verdacht, dass hinter der Tür nunmehr Beweismittel vernichtet oder in den von ihnen nicht überwachten Garten geworfen werden könnten. Der Gruppenleiter entschied, dass aufgrund drohenden Beweismittelverlustes Gefahr im Verzug vorliege und ordnete als leitender Polizeibeamter die Durchsuchung der Wohnung an. Dort wurden zahlreiche Marihuanapflanzen gefunden. Nach Belehrung gab der Angeklagte gegenüber den Polizeibeamten vor Ort an, dass er an ADHS erkrankt sei, ohne „Gras“ nicht klar komme und deshalb „ohne Ende kiffe“. Auf die Revision des Angeklagten hat das OLG das Urteil aufgehoben und ihn freigesprochen.
Das OLG ist von einem Beweisverwertungsverbot ausgegangen:
„Ein solcher Sonderfall eines schwerwiegenden Verstoßes liegt hier vor. Die Polizeibeamten haben im Ergebnis zielgerichtet die tatsächliche Voraussetzung einer Gefahr im Verzuge selbst herbeigeführt, und zwar zu einem Zeitpunkt, als es für sie erkennbar – ohne den Verlust von Beweismitteln befürchten zu müssen – möglich gewesen wäre, eine richterliche Durchsuchungsanordnung zu erwirken. Der Polizeibeamte M. hatte frühzeitig erkannt, dass es eines richterlichen Beschlusses zur Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten bedurfte. Es war nicht nur so, dass für die Wohnungsdurchsuchung im ersten Obergeschoss des Mehrfamilienhauses eine richterliche Durchsuchungsanordnung vorlag, sondern der Polizeibeamte hatte hier auch frühzeitig versucht, für eine Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten mit dem Eildienst der Staatsanwaltschaft zur Erwirkung eines Durchsuchungsbeschlusses Kontakt aufzunehmen. Trotzdem sah er, als er den Eildienst der Staatsanwaltschaft in der Mittagszeit telefonisch nicht erreichen konnte, bereits nach zehn bis 15 Minuten von weiteren Bemühungen zur Erreichung einer richterlichen Durchsuchungsanordnung ab. Der Umstand, dass andere Hausbewohner auf die Polizeibeamten aufmerksam geworden waren, rechtfertigte es nicht, auf die Einholung einer richterlichen Durchsuchungsanordnung zu verzichten. Nach den landgerichtlichen Feststellungen sind nämlich keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass auch der Angeklagte bereits auf die Polizeibeamten aufmerksam geworden war, zumal der Angeklagte im dritten Obergeschoss wohnte. In dieser Situation entschlossen sich die Polizeibeamten, an der Wohnungstür des Angeklagten zu klopfen, obwohl sie in ihre Erwägungen einbezogen hatten, dass der Angeklagte versuchen würde, Beweismittel zu vernichten, wenn er Kenntnis von ihrer Anwesenheit erhielte. Denn bereits im Vorfeld, noch bevor der Versuch unternommen worden war, den Eildienst der Staatsanwaltschaft zu erreichen, hatte der Polizeibeamte R. auf der gegenüberliegenden Straßenseite Stellung genommen, um die straßenseitigen Fenster der Wohnung des Angeklagten zu beobachten für den Fall, dass dort etwas aus dem Fenster geworfen werden sollte. Zugleich hatten die Polizeibeamten als problematisch angesehen, dass sie die rückwärtigen Fenster der Wohnung nicht einsehen konnten (UA S. 4). Ihnen war also von Anfang an bewusst, dass Gefahr im Verzuge eintreten könnte, wenn sie ihre Anwesenheit dem Angeklagten durch Klopfen an der Wohnungstür offenbaren würden und dieser ihnen nicht freiwillig Einlass in die Wohnung gewähren würde. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Polizeibeamten nach den Feststellungen des Landgerichts auch von der Erwägung geleitet wurden, dass die kriminalistische Erfahrung zeige, in einem Großteil derartiger Fälle könnten Angaben der Betroffenen erwirkt werden. Da, wie oben ausgeführt, der Begriff der Gefahr im Verzuge eng auszulegen ist, begrenzt die Pflicht, einen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen, den Spielraum der Ermittlungsbeamten, das Ermittlungsverfahren nach kriminalistischen und taktischen Erwägungen frei zu gestalten (BGH, Urteil vom 18. April 2007, a.a.O., Rn. 13, juris). Der allgemeine kriminalistische Erfahrungssatz hätte weitere Ermittlungshandlungen daher nur dann gerechtfertigt, wenn die Polizeibeamten bereit gewesen wären, bei einem nicht kooperativen Beschuldigten sodann von weiteren Ermittlungsmaßnahmen – insbesondere einer Wohnungsdurchsuchung ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss – abzusehen. Gerade dies war vorliegend aber offensichtlich nicht der Fall.
Obwohl noch vor dem Klopfen an der Eingangstür zur Wohnung des Angeklagten weiterhin hätte versucht werden können, einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken, weil die tatsächlichen Voraussetzungen dafür – auch nach den Vorstellungen der Polizeibeamten – vorlagen, haben die Polizeibeamten selbst ohne jede praktische Notwendigkeit durch das Klopfen an der Wohnungstür des Angeklagten in Kenntnis des Umstands, dass der Angeklagte sodann versuchen könnte, Beweismittel zu vernichten, eine Situation herbeigeführt, in der ein weiteres Zuwarten wegen drohenden Beweismittelverlustes nicht angezeigt war (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 BvR 2718/10 u.a. –, Rn. 69 – 70, juris).“
Und: Das OLG bejaht „Fernwirkung“ hinsichtlich der vom Angeklagten gemachten Angaben:
c) Das Beweisverwertungsverbort erstreckt sich auf alle in der Wohnung vorgefundenen Beweismittel und hier auch auf die Angaben, die der Angeklagte nach dem Betreten seiner Wohnung durch die Polizeibeamten im Rahmen der Durchsuchung gemacht hat bzw. die Bekundungen der Polizeibeamten, die sich zu diesen Angaben des Angeklagten verhalten.
Eine Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten in dem Sinne, dass neben der Verwertung der unmittelbar unter Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot erlangten Informationen auch die Verwertung aller weiteren Beweismittel verboten ist, die aufgrund solcher Informationen erlangt worden sind, wird in der Rechtsprechung zwar grundsätzlich verneint. Ein Verfahrensfehler, der ein Verwertungsverbot für ein Beweismittel bewirkt, darf nicht ohne weiteres dazu führen, dass das gesamte Strafverfahren „lahmgelegt“ wird. Die Grenzen richten sich jeweils nach der Sachlage und der Art des Verbots (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 10. November 2000 – Ss 462/00 Z, Ss 462/00 –, Rn. 10, juris, m. w. N.). Hiernach wären die nach ordnungsgemäßer Belehrung des Angeklagten von ihm gemachten Angaben grundsätzlich verwertbar. Dem stehen jedoch die Besonderheiten dieses Falles entgegen. Ein Beweisverwertungsverbot ist in der Rechtsprechung etwa angenommen worden für Bekundungen von Beschuldigten, die unter dem Eindruck des Vorhalts von unzulässig gewonnenen Erkenntnissen aus einer Telefonüberwachung gemacht worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 24. August 1983 – 3 StR 136/83 –, juris, Rn. 10; OLG Köln a.a.O., Rn. 12). Damit zu vergleichen ist die hiesige Situation, in der der Angeklagte Angaben zur Sache gemacht hat. Die Vernehmung des Angeklagten wurde noch im Rahmen der Durchsuchung seiner Wohnung und unter dem Eindruck der dabei in unzulässiger Weise gewonnen Erkenntnisse durchgeführt. Der sich offensichtlich als überführt ansehende Angeklagte hatte keinen Anlass, von seinem Recht auf Schweigen Gebrauch zu machen, zumal er nicht wissen konnte, dass die vorgefundenen Beweismittel unverwertbar waren. Für ihn bestand ein Zustand, in dem Leugnen oder Schweigen sinnlos war angesichts der Tatsache, dass sich die Polizeibeamten in seiner Wohnung befanden und die unerlaubt angebauten Marihuanapflanzen bereits entdeckt hatten.“
Pingback: Pflichti I: Schwierig ist das Verfahren, wenn es um ein Beweisverwertungsverbot geht – Burhoff online Blog