Aus der Serie der „Haftungsverteilungsentscheidungen“ nach einem Verkehrsunfall stammt das LG Saarbrücken, Urt. v. 15.07.2016 – 13 S 20/16. Zu dem Unfall kam es, als der Kläger mit seinem Kfz beim Einparken in eine freie Parkbucht – gelegen in einer Sackgasse in der Innenstadt – rückwärts gegen das Fahrzeug des Beklagten stieß. Hierbei wurden beide Fahrzeuge beschädigt. Das AG hat die Klage abgewiesen. Nach eigenen Angaben habe der Kläger den Unfall beim Rückwärtsfahren verschuldet, während den Erstbeklagten kein nachweisbares Verschulden treffe und sein Mitverursachungsanteil jedenfalls hinter dem groben Verschulden des Klägers zurücktrete.
Das LG sieht es anders und kommt zu „halbe/halbe“:
„2. Im Rahmen der nach § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile hat das Erstgericht zu Lasten des Klägers angenommen, diesen treffe ein Sorgfaltsverstoß beim Rückwärtsfahren, wofür ein Anscheinsbeweis spreche. Dies ist im Ergebnis zutreffend. Allerdings ergibt sich dies nicht, wie das Erstgericht annimmt, aus einem Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO. Die Vorschrift dient primär dem Schutz des fließenden und deshalb typischerweise schnelleren Verkehrs und ist auf Flächen, die nicht dem fließenden Verkehr dienen, wie etwa auf öffentlichen Parkplätzen, nicht unmittelbar anwendbar (vgl. BGH, Urt. v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15 NJW 2016, 1098 m.w.N.). Dies gilt auch für die Straße ppp., die ausweislich der Verkehrsunfallanzeige der den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten verkehrsberuhigter Bereich i.S.v. § 42 StVO (Zeichen 325.1 u. 2) ist. Dieser dient, wie § 10 StVO zeigt, ebenfalls nicht (primär) dem fließenden Verkehr (Kammerurteile v. 20.07.2007, DAR 2008. 216 und vom 01.04.2015 – 13 S 165/14, DAR 2015, 343; a.A. LG Düsseldorf Schaden-Praxis 2013, 321; LG Stendal Schaden-Praxis 2008, 249 für § 14 StVO), sondern verpflichtet den Verkehrsteilnehmer ähnlich wie auf dem Parkplatz wegen des vorrangigen Fußgängerverkehrs und der erlaubten Kinderspiele so langsam zu fahren, dass jederzeit so-fort angehalten werden kann (Vgl. OVG Münster, zfs 1998, 76; LG Saarbrücken a.a.O.). In verkehrsberuhigten Zonen kommt deshalb wie auf Parkplätzen § 1 Abs. 2 StVO zur Anwendung (vgl. Lafontaine in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, § 42 StVO Rdn. 71 m.w.N.). Gleichwohl führt auch die Anwendung von § 1 Abs. 2 StVO dazu, dass ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden desjenigen spricht, der – wie hier der Kläger – während des Rückwärtsfahrens mit einem anderen Verkehrsteilnehmer zusammenstößt (BGH a.a.O.).
3. Ein Mitverschulden des Erstbeklagten ergibt sich entgegen der Berufung nicht daraus, dass dieser entgegen § 9 Abs. 5 StVO in ein Grundstück eingebogen wäre. Ungeachtet der Frage, ob eine Parkbucht als Grundstück i.S.d. § 9 Abs. 5 StVO eingeordnet werden kann (zum Meinungsstreit etwa Saarl. OLG, MDR 2015, 647; Kammer, Urteil vom 21.11.2014 – 13 S 138/14, NZV 2015, 247), kommt § 9 Abs. 5 StVO bereits aus dem unter 2) Ausgeführten nicht zur Anwendung. Auch insoweit fehlt es an dem von § 9 Abs. 5 StVO geschützten fließenden Verkehr.
3. Mit Recht macht die Berufung allerdings geltend, dass der Erstbeklagte den Vorrang des Klägers beim Einparken verletzt hat. Gem. § 12 Abs. 5 StVO hat an einer Parklücke Vorrang, wer sie zuerst erreicht; dies ist nicht auf den fließenden Verkehr beschränkt, gilt also auch auf Parkplätzen und – wie hier – in verkehrsberuhigten Bereichen. Der Vorrang bleibt erhalten, auch wenn der Berechtigte an der Parklücke vorbeifährt, um rückwärts einzuparken (zum Ganzen Heß in: Burmann u.a., Straßenverkehrsrecht, § 12 Rn. 78 m.w.N.). So liegt es hier. Der Kläger hatte die Parklücke zuerst erreicht, mithin Vorrang, auch wenn er zunächst nach rechts einbog, um dann rückwärts in die Parklücke zu fahren. Ausweislich der Unfalldarstellung der Polizei, denen der Erstbeklagte in seiner mündlichen Anhörung nicht entgegengetreten ist, beabsichtigte auch der Erstbeklagte in die Parklücke einzufahren. Dem entspricht die Unfallendstellung des Beklagtenfahrzeuges, wie sie auf dem Lichtbild Bl. 38 d.A. festgehalten ist. Danach war der Erstbeklagte dabei, in die Parklücke einzufahren, ob-wohl er den Vorrang des Klägers berücksichtigen musste. Ob er vor der Kollision angehalten und gehupt hatte, wie er behauptet, ist insoweit unerheblich. Denn er hat ungeachtet dessen den Vorrang des Klägers schon dadurch unfallursächlich verletzt, dass er zum Einfahren in die Parklücke angesetzt und diese auch bereits erreicht hatte.
4. Im Rahmen der Haftungsabwägung steht die um das Verschulden beim Rückwärtsfahren erhöhte Betriebsgefahr des Klägerfahrzeuges der durch die Vorrangverletzung erhöhten Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs gegenüber. Die Kammer hält die gegenseitigen Verursachungsanteile letztlich für gleichwertig. Zwar hat sich einerseits die besondere Gefährlichkeit des Rückwärtsfahrens im Unfallhergang niedergeschlagen. Andererseits hätte der Erstbeklagte den Unfall dadurch verhindert, wenn er zunächst abgewartet hätte, ob der bevorrechtigte Kläger – wie dies nahelag – in die Parklücke einfährt, bevor er seinerseits zum Einfahren in die Parklücke ansetzte. Vor diesem Hintergrund ist der von Klägerseite geltend gemachte Haftungsanteil von 50% zu Lasten der Beklagtenseite nicht zu beanstanden.“
Der Eintrag ist leider sehr missverständlich. In der Einleitung wird leider der Sachverhalt mit den notwendigen Angaben nicht mitgeteilt. Daher dachte ich bis zum Schluss, dass der vermeindliche Schädiger gegen ein parkendes Auto gefahren sei. Das wäre meines Erachtens jedenfalls der naheliegende, weil typische Sachverhalt. Enthalten Sie uns doch solche Informationen nicht vor. Auch wenn die Entscheidung dadurch weniger aufsehenerregend wird.
Manchmal frage ich mich wirklich, warum ich das hier alles mache. Was haben Sie den „Aufsehenerregendes“ erwartet. Im Übrigen: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil…..