Archiv für den Monat: Juni 2016

Taxiüberfall: Räuberischer Angriff, auch wenn das Fahrzeug nur noch rollt…..

entnommen wikimedia.org Urheber: Dirk

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Im BGH, Urt. v. 28.04.2016 – 4 StR 563/15 – ging es mal wieder um einen räuberischen Angriff auf einen Kraftfahrer (§ 316a StGB). Zu der Vorschrift haben wir länger vom BGH nichts gehört, nachdem es dazu vor einigen Jahren eine ganze Reihe von Entscheidungen des BGh gegeben hat. Überfallen worden war – ebenfalls mal wieder – ein Taxifahrer, die sind häufig Opfer von Überfällen. Das LG hatte das Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs abgelehnt und nicht wegen eines Verstoßes gegen § 316a StGB verurteilt. Der BGH hat es anders gesehen:

1. Die Strafvorschrift des § 316a Abs. 1 StGB setzt voraus, dass bei dem auf Leib, Leben oder Entschlussfreiheit des Fahrers eines Kraftfahrzeugs verübten Angriff die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausgenutzt werden. Danach ist erforderlich, dass der tatbestandsmäßige Angriff gegen das Tatopfer als Kraftfahrzeugführer unter Ausnutzung der spezifischen Bedingun-gen des Straßenverkehrs begangen wird. In objektiver Hinsicht ist dies der Fall, wenn der Führer eines Kraftfahrzeugs im Zeitpunkt des Angriffs in einer Weise mit der Beherrschung seines Kraftfahrzeugs und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist, dass er gerade deswegen leichter zum Angriffsobjekt eines Überfalls werden kann (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2005 – 4 StR 299/04, BGHSt 50, 169, 172; vom 25. September 2007 – 4 StR 338/07, BGHSt 52, 44, 46). Befindet sich das Fahrzeug beim Verüben des Angriffs in Bewegung, liegt diese Voraussetzung regelmäßig vor, weil dem Führer eines sich fortbewegenden Kraftfahrzeugs die Gegenwehr gegen den Angriff infolge der Beanspruchung durch das Lenken des Fahrzeugs wegen der damit verbundenen Konzentration auf die Verkehrslage und die Fahrzeugbedienung erschwert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2012 – 4 StR 244/12, NStZ 2013, 43; Urteil vom 23. April 2015 – 4 StR 607/14, NStZ 2015, 653, 654 m. krit. Anm. Sowada, StV 2016, 292, 294). Subjektiv ist ausreichend, dass sich der Täter – entsprechend dem Ausnutzungsbewusstsein bei der Heimtücke nach § 211 Abs. 2 StGB – in tatsächlicher Hinsicht der die Abwehr-möglichkeiten des Tatopfers einschränkenden besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs bewusst ist. Nicht erforderlich ist hingegen, dass er eine solche Erleichterung seines Angriffs zur ursächlichen Bedingung seines Handelns macht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2005 – 4 StR 299/04 aaO; vom 25. September 2007 – 4 StR 338/07 aaO).

2. An diesen Maßstäben gemessen halten die Erwägungen, mit denen das Landgericht ein Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs verneint hat, einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

Nach den Feststellungen fand der mit dem Kabel geführte Angriff des Angeklagten S. auf die Nebenklägerin zu einem Zeitpunkt statt, als das Taxi noch rollte und die Nebenklägerin infolgedessen mit der Bedienung des Fahrzeugs befasst war. Damit liegen – entgegen der Bedenken des Landgerichts – objektiv die Voraussetzungen für ein Ausnutzen der besonderen Ver-hältnisse des Straßenverkehrs vor, ohne dass es darauf ankommt, dass sich die Tat an einem einsamen Ort ohne weiteres Verkehrsaufkommen ereignete. Soweit die Jugendkammer in subjektiver Hinsicht darauf verweist, dass ein Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs von den Angeklagten nicht geplant worden sei, stellt sie auf einen unzutreffenden Beurtei-lungszeitpunkt ab. Denn für die subjektive Tatseite maßgeblich ist nicht ein früherer Tatplan, sondern die konkrete subjektive Vorstellung der Täter bei Ausübung des Angriffs. Schließlich hat die Jugendkammer nicht bedacht, dass für die subjektive Erfüllung des Tatbestandsmerkmals nicht erforderlich ist, dass der Täter sich durch die verkehrsspezifischen Umstände zielgerichtet einen Vorteil für sein Angriffsvorhaben verschaffen will. Es reicht vielmehr aus, dass er die sich aus den besonderen Verhältnissen des Straßenverkehrs ergeben-den tatsächlichen Umstände in der Weise erkennt, dass er sich bewusst ist, ein hierdurch in seinen Abwehrmöglichkeiten beeinträchtigtes Tatopfer anzugreifen.“

Rücksichtslos?

© freshidea - Fotolia.com

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„Rücksichtslos“ hatte nach Auffassung des AG und des LG ein Verkehrsteilnehmer vor/in einer Kurve überholt und war deshalb wegen eines Verstoßes gegen § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB verurteilt worden. Das OLG Koblenz ist zwar übr das Verkehrsverhalten erkennbar auch „not amused“, meint aber, dass es für „Rücksichtslosigkeit“ i.S. des § 315c StGB nach den bisherigen Feststellungen nicht reicht (vgl. den OLG Koblenz, Beschl. v. 17.03.2016 – 2 OLG 4 Ss 18/16).

Zu beurteilen war/ist folgendes Verkehrsgeschehen:

„Am Vormittag des 10. August 2014 befuhr der Angeklagte mit einem Personenkraftwagen Renault Espace – amtliches Kennzeichen … – die Bundesstraße 258 vom „P.“ (Kreuzung mit der Bundesstraße 257) her in Richtung des „N.“. Seine Ehefrau saß auf dem vorderen Beifahrersitz. Die drei Kinder des Ehepaares, die elf, neun und vier Jahre alt sind, saßen ebenfalls im Wagen. Vor dem Renault Espace bewegten sich mehrere Fahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 70 km/h voran. Erstes Fahrzeug der Kolonne war ein „Oldtimer“ MG Cabrio. Ihm folgte ein Personenkraftwagen Ford Mondeo. Der „Oldtimer“ wurde von dem Zeugen W. G. geführt, auf dem – einzigen – Beifahrersitz saß seine Ehefrau mit dem gemeinsamen drei Jahre alten Enkelkind. Insassen des Ford Mondeo waren der Zeuge L. als Fahrzeugführer und seine Lebenspartnerin C. G., die Eltern des Kindes. Beide Wagen waren in W. auf die Bundesstraße 258 eingebogen.

In dem ansteigenden Streckenbereich vor der links gelegenen Einmündung der Kreisstraße 73 in die Bundesstraße 258 begann der Angeklagte, die Fahrzeuge vor ihm zu überholen, obwohl er sah, dass er sich einer vor der Einmündung beginnenden, nicht weit einsehbaren Rechtskurve der Straße näherte. Nachdem er mehrere Fahrzeuge überholt hatte, erreichte er den Ford Mondeo. Der Zeuge L., der die Situation als gefährlich einschätzte, reduzierte die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs, um dem Angeklagten zu ermöglichen, den Renault Espace vor ihm wieder einzuordnen. Indes fuhr der Angeklagte weiter im Kurvenbereich auf dem für den Gegenverkehr bestimmten Teil der Fahrbahn. Ihm war bewusst, dass jederzeit Fahrzeuge entgegen kommen konnten, denen er würde ausweichen müssen. Er vertraute darauf, dass es dann nicht zu einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer kommen werde. Als sich der Renault Espace neben den MG Cabrio befand, sah der Angeklagte Fahrzeuge entgegenkommen. Er überholte den „Oldtimer“ und lenkte den Renault Espace unmittelbar vor dem Wagen nach rechts. Der Zeuge W. G. bremste den MG stark ab und lenkte zugleich nach rechts. Auch das erste entgegenkommende Fahrzeug wurde gebremst und nach rechts gelenkt. Hätten die Fahrzeugführer nicht derart reagiert, wäre es zu einer Kollision mit dem Wagen des Angeklagten gekommen.“

Und dazu das OLG:

Zwar ist nicht zu beanstanden, dass die Berufungskammer aufgrund der getroffenen Feststellungen von einem grob verkehrswidrigen Verhalten des Angeklagten ausgegangen ist. Ein rücksichtsloses Handeln, das eine Verurteilung nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b StGB zusätzlich voraussetzt, geht daraus jedoch nicht hervor.

Nach der Rechtsprechung handelt rücksichtslos im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB wer sich zwar seiner Pflichten als Verkehrsteilnehmer bewusst ist, sich aber aus eigensüchtigen Gründen darüber hinwegsetzt, oder wer sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten besinnt, Hemmungen gegen seine Fahrweise gar nicht erst aufkommen lässt und unbekümmert um die Folgen seiner Fahrweise darauf losfährt (BGHSt 5, 392; OLG Koblenz, Beschlüsse 2 Ss 284/02 vom 26.02.2003, NZV 2003, 617, 1 Ss 107/07 vom 25.06.2007, BeckRS 2008, 08777, und 1 Ss 95/13 vom 08.11.2013; vgl. auch OLG Düsseldorf NZV 1995, 115; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 315c Rn. 14 m.w.N.; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. StGB § 315c Rn. 24). Betrifft das Merkmal der groben Verkehrswidrigkeit im Wesentlichen die objektive Seite des Verkehrsverstoßes, bezieht sich die Voraussetzung der Rücksichtslosigkeit mehr auf die subjektive Tatseite (OLG Koblenz, Beschlüsse 2 Ss 284/02 vom 26.02.2003, aaO, 1 Ss 107/07 vom 25.06.2007, aaO, und 2 Ss 110/08 vom 04.08.2008, jeweils mwN; Fischer aaO Rn. 12). In subjektiver Hinsicht darf die Rücksichtslosigkeit des Täters nicht allein aus dem äußeren Tatgeschehen geschlossen werden (OLG Koblenz, Beschluss 1 Ss 95/13 vom 08.11.2013; König aaO Rn. 25). Zur subjektiven Seite der Rücksichtslosigkeit hat die Berufungskammer keine Feststellungen getroffen. Es fehlt an jeglicher Auseinandersetzung mit dem Merkmal der Rücksichtslosigkeit.

Darauf durfte auch nicht etwa deshalb verzichtet werden, weil Angaben des Angeklagten zu seiner Motivationslage als unmittelbare Erkenntnisgrundlage fehlten. Nach allgemeinen Grundsätzen der Beweiswürdigung wäre vielmehr zu prüfen gewesen, ob die subjektive Tatseite, mithin auch eine grob verkehrswidrige Gesinnung (vgl. BGH NJW 1962, 2165, 2166), aus einer wertenden Gesamtschau aller Tatumstände geschlossen werden kann. Neben der Frage, inwieweit der Täter die Verkehrsumstände erkannt hat, können hierbei der Grad der objektiven Verkehrswidrigkeit, vorangehendes oder nachfolgendes Verhalten des Täters und der Ausschluss entlastender subjektiver Faktoren – beispielsweise ein mögliches Augenblicksversagen, Schreck, Eile aus nachvollziehbaren Gründen – Bedeutung gewinnen (OLG Koblenz, Beschluss 1 Ss 95/13 vom 08.11.2013; vgl. Senat, Beschluss 2 Ss 110/08 vom 04.08.2008; Groeschke, in: Münchener Kommentar, StGB, 1. Aufl., § 315c Rn. 27; Zieschang, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Aufl., § 315c Rn. 35).“

Und gehapert hat es auch mit dem weiteren Tatbestandsbestandsmerkmal der konkreten Gefährdung. Da vermisst das OLG Kriterien, aus denen sich folgern lässt, dass der Eintritt eines Unfalls nur noch vom Zufall abhing

Onanieren im Chat, strafbar?, oder: Es kommt darauf an

laptop-2Neue Medien und neue Kommunikationsformen führen zu neuen rechtlichen Problemen. Das kann man immer wieder feststellen und das beweist der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29.03.2016 – 1(3)Ss 163/15-AK51/15. Das hatte über ein landgerichtliche Urteil zu entscheiden, das einen Angeklagten wegen „Zugänglichmachung pornografischer Darstellungen durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste“ (§ 184d StGB) verurteilt hatte. Der Angeklagte hatte sich als Gast mittels seines Computers über Internet in einem sozialen Netzwerk „C“ und dort in einem Chatroom eingeloggt, dessen Besonderheit darin bestand, dass sich die darin „chattenden“ Mitglieder und Gäste über ihre Webcam anderen Nutzern visuell zeigen konnten, wenn diese ebenfalls eingeschaltet waren und mit dem anderen Teilnehmer, dessen Anwesenheit am Bildschirm angezeigt wurde, ebenfalls im Wege einer Live-Stream-Übertragung in Kontakt treten wollten. Als der Angeklagte die Übertragung durch seine Webcam für die anderen Nutzer aktivierte, waren etwa 18 weitere User in dem Chatroom anwesend, unter anderem auch Frau V., welche vom Betreiber des Netzwerkes als Moderatorin mit der Prüfung beauftragt war, ob in dem Chat verbotene oder anstößige Inhalte verbreitet wurden. Der Angeklagte entblößte sich und onanierte, während seine webcam auf seine Oberschenkel, sein Geschlechtsteil und seinen Oberkörper ausgerichtet war. Mindestens ein anderer Chatroom-Teilnehmer verfolgte diese Aktion und beschwerte sich bei der Moderatorin welche den Betreiber aufmerksam machte, der die Übertragung nach eigener Anmeldung und Überprüfung sofort unterbrach.

Das OLG sagt: (Wohl) kein Zugänglichmachung pornografischer Darstellungen durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste“ i.S. des § 184d StGB, denn:

„Soweit es die vom Landgericht Z. erfolgte Verurteilung des Angeklagten wegen Verbreitung pornografischer Darbietungen durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste nach § 184 d StGB betrifft, hat sich die Strafkammer nicht mit der Frage befasst, ob der Angeklagte überhaupt als tauglicher Täter dieses Delikts in Betracht kommt. Nach dieser Vorschrift wird nach §§ 184 bis 184 c StGB nämlich nur bestraft, wer eine pornografische Darbietung durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste verbreitet (§ 184 d Satz 1 StGB). Bereits der gesetzliche Wortlaut der Vorschrift deutet darauf hin, dass als Täter dieses Delikts nur der für die Sendung Verantwortliche in Betracht kommt, im Hinblick auf Rundfunksendungen vor allem der Programmdirektor und der Redakteur, nicht aber die lediglich mit der technischen Ausführung betreuten Personen wie etwa der Kameramann. Gleiches gilt für Übertragungen im Internet. Insoweit kommt nach Wortlaut und Sinn der Vorschrift als Täter vor allem für die Ausstrahlung der Sendung verantwortliche Anbieter des Dienstes in Betracht, nicht aber Personen mit lediglich mittelbarem Bezug wie Autoren, Produzenten und Regisseure (vgl. MüKo-Hörnle, 1. Auflage 2012, § 184 d Rn. 9 m.w.N.; Schönke/Schröder/Eisele, StGB , 29. Auflage 2014, § 184 d Rn. 8). Dies gilt nach Ansicht des Senats vorliegend auch für den Angeklagten als einfachen Nutzer des Internet-Chatrooms, der aufgrund seiner Stellung nicht in der Lage war, auf die Dauer und die Modalitäten der Internet-Ausstrahlung im Sinne einer Tatherrschaft in irgendeiner Weise Einfluss zu nehmen, vielmehr oblag diese Kontrolle vollumfänglich dem Betreiber des Netzwerkes bzw. allenfalls der von diesem eigens eingesetzten Moderatorin. Da diese Personen mit der pornografischen Handlung des Angeklagten nicht einverstanden waren und ihn sogleich vom Netz nahmen, scheidet auch eine Ahndung unter dem Gesichtspunkt der Beihilfe aus.“

Näher liegt für das OLG eine Strafbarkeit nach § 183a StGB wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses durch öffentliche sexuelle Handlungen. Insoweit bejaht es die „Öffentlichkeit“, weil die Teilnehmer des Chats keine geschlossene Gruppe bildeten. Das Problem liegt dann beim Vorsatz, ob nämlich der Angeklagte tatsächlich ein „Ärgernis“ verursachen wollte. Das darf das LG dann noch einmal prüfen.

Psycholge behandelt Tochter und hat Sex mit der Mutter – sexueller Missbrauch von Mama?

© rcx - Fotolia.com

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Wie und was das Leben alles so spielt – so habe jedenfalls ich gedacht, als ich den BGH, Beschl. v. 02.05.2016 – 4 StR 133/16 – gelesen habe. Es geht um die Frage, ob ein Diplom-Psychologe wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses zu verurteilen war. Das LG Bochum hatte ihn von dem Vorwurf frei gesprochen. Es hatte folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:

„Der Angeklagte ist Diplom-Psychologe und war in Bochum in einer auf Autismuserkrankungen spezialisierten Praxis tätig. Ab September 2013 nahm  die damals zwölfjährige Tochter der Nebenklägerin, die an einer autistischen Störung leidet, wöchentlich zwei Förderstunden bei dem Angeklagten und dessen Kollegen wahr. Parallel hierzu fanden einmal monatlich „Bezugspersonengespräche“ statt, in deren Rahmen der Angeklagte der Nebenklägerin und ihrem anfangs ebenfalls anwesenden Ehemann über den Verlauf der Therapiegespräche berichtete. Auch diese Gespräche rechnete der Angeklagte mit der Krankenkasse ab.

Bei dem Erstgespräch hatte die Nebenklägerin dem Angeklagten mitgeteilt, dass sie auch selbst an einer leichten Form des Asperger-Syndroms leide, und sich nach Therapieangeboten für Erwachsene erkundigt. Die Aufnahme einer Therapie seitens der Nebenklägerin hat das Landgericht indes nicht fest-gestellt. Bei einem Bezugspersonengespräch berichtete die Nebenklägerin dem Angeklagten, dass sie beabsichtige, ein Informationsblatt für Jugendliche mit der Diagnose Asperger-Syndrom zu erstellen. Hierbei unterstützte der Angeklagte die Nebenklägerin und es kam in diesem Zusammenhang zu nahezu wöchentlichen Treffen, um gemeinsam an dem Text für die Broschüre zu arbeiten. Bei einem dieser Treffen berichtete die Nebenklägerin dem Angeklagten, dass sie häufig Schwierigkeiten habe, Augenkontakt zu halten. Der Angeklagte riet ihr, zu versuchen, ihren Blick stattdessen auf die Stirn ihres Gegenübers zu richten.

Der Kontakt zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin wurde immer enger und es entwickelte sich schließlich aus beider Sicht ein Liebesverhältnis. Ab März 2014 kam es einvernehmlich zu Zungenküssen und intimen Berührungen zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin. Nachdem der Ehemann der Nebenklägerin im Juni 2014 von dem Verhältnis erfahren hatte, beendete der Angeklagte den Kontakt.“

Der BGH hat sich dem LG angeschlossen. Die Voraussetzungen des § 174c Abs. 1 StGB lagen nicht vor. Die Nebenklägerin, also Mama, war dem Angeklagten, als es zu den sexuellen Handlungen kam, nicht wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut. Begründung:

  • Jedenfalls keine zumindest „fürsorgerische Tätigkeit“ des Angeklagten gegenüber der Mutter (vgl. BGH NStZ 2012, 440 f.).
  • Die Mutter war dem Angeklagten aber auch nicht deshalb wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung zur Beratung anvertraut im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB, weil ihr der Angeklagte im Rahmen sog. Bezugspersonengespräche regelmäßig über den Verlauf der Therapie ihrer Tochter berichtete. Solche Gespräche dienen/dienten lediglich der Information der Eltern der Patientin und werden – so der BGH – von § 174c StGB tatbestandlich nicht erfasst.

Sexueller Missbrauch (s)eines Kindes – minder schwerer Fall?

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Das AG Warendorf hat einen Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes, seiner Stieftochter, in den Jahren 1996 – 1999 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das OLG Hamm hat die Verurteilung im OLG Hamm, Beschl. v. 05.04.2016 – 4 RVs 30/16 – aufgehoben. Ihm passt die Beweiswürdigung nicht, sie ist ihm angesichts der „Aussage-gegen-Aussage-Situation“ zu knapp. Und: In der „Segelanweisung“ gibt es m.E. ganz interessante Anmerkungen zur Strafzumessung, nämlich zur Frage des minder schweren Falles:

„b) Es bedarf – jedenfalls wenn das neue Tatgericht zu vergleichbaren Feststellungen kommt wie das frühere Tatgericht – einer näheren Erörterung des Vorliegens eines minder schweren Falles i.S.v. § 176 Abs. 1 2. Halbsatz StGB i.d.F. vom 10.03.1987 bzw. i.S.v. § 176a Abs. 3 StGB i.d.F. v. 26.01.1998 auch ohne eines ausdrücklich in der Hauptverhandlung gestellten Antrages i.S.v. § 267 Abs. 3 S. 2 StPO. Der Aus-nahmestrafrahmen eines minder schweren Falles bedarf zwar keiner ausdrücklichen Erwähnung, wenn seine Nichtanwendung nach Maßgabe aller Umstände auf der Hand liegt (BGH NStZ-RR 2010, 57 f.). Andererseits bedarf es aus materiellrechtlichen Gründen der Erörterung des Vorliegens eines minder schweren Falles, wenn die gesamten strafzumessungsrelevanten Umstände die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens nahelegen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2002 – 1 StR 548/01 –juris; BGH, Beschl. v. 06.01.2004 – 5 StR 517/03 – juris; BGH NStZ-RR 2012, 308). Dies ist hier – auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen – der Fall. Danach liegen erhebliche strafmildernde Umstände vor:

Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.

Die Taten liegen sehr lange zurück. Eine lange Zeitspanne zwischen Tat und Ver-urteilung ist in der Regel ein bestimmender Strafzumessungsgerichtspunkt, ohne, dass es auf die Dauer des Strafverfahrens ankommt (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 6; zeitlicher Abstand dort: 9 ½ Jahre; BGH NStZ-RR 1999, 108; zeitlicher Abstand dort: 5 ¾ Jahre). Eine Erörterung dieses Umstands ist bei einem zeitlichen Abstand zwischen Taten und Verurteilung von hier inzwischen rund 20 bzw. 17 Jahren unerlässlich. Dabei ist insbesondere zu sehen, dass die Strafe ? die bisherigen Feststellungen zu Grunde gelegt – keinerlei spezialpräventive Wirkungen entfaltet, da der Angeklagte auch ohne Bestrafung weder vorher noch nachher wieder straffällig geworden ist. Da das staatsanwaltschaftliche Aktenzeichen des vorliegenden Verfahrens bereits aus dem Jahre 2012 stammt, drängt sich im vorliegenden Fall zudem die Erörterung einer langen (wenn auch ggf. noch nicht rechtsstaatswidrigen) Verfahrensdauer auf.

Demgegenüber liegen kaum (ordnungsgemäß festgestellte) straferschwerende Umstände vor:

Sollte die Zeugin tatsächlich noch „schwerwiegend unter den Folgen der Taten“ leiden, so bedarf es auch hierzu näherer Feststellungen. Im angefochtenen Urteil ist lediglich festgestellt, dass ihr seinerzeit „das Ganze auch gefallen habe“; zu spätere Beeinträchtigungen aufgrund der Taten ist gar nichts festgestellt.

Will das neue Tatgericht auch „immer wieder“ vorgekommene „sexuelle Übergriffe“ zwischen den beiden Taten strafschärfend berücksichtigen, bedarf es hierzu näherer Feststellungen.

Es erscheint auch zweifelhaft, ob das „schleichende“ Überschreiten der Grenzen zum sexuellen Missbrauch ein strafschärfender Gesichtspunkt ist. Es erschließt sich – jedenfalls ohne nähere Begründung – nicht, warum das schleichende Überschrei-ten schlimmer sein soll, als ein plötzlicher Übergriff.“