In einem Verfahren wegen Vergewaltigung u.a. ging es um die Frage, ob ein Geschlechtsverkehr stattgefunden hat oder nicht und ob er den in beiden angeklagten Fällen einvernehmlich erfolgte oder aber mit Gewalt vom Angeklagten erzwungen wurde. Im Verfahren stand dazu Aussage gegen Aussage. Es gab aber konkrete Anhaltspunkte für das Vorhandensein eines Falschbelastungsmotivs der an einer Borderlinestörung erkrankten Geschädigten. Das LG hatte seine Überzeugung vom Tathergang, soweit er von der Einlassung des Angeklagten abwich, und insbesondere davon, dass es in beiden Fällen zu nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gekommen ist, im Wesentlichen auf die Angaben der an einer Borderlinestörung erkrankten Geschädigten/Nebenklägerin gestützt. Zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage hatte die Strafkammer einen aussagepsychologischen Sachverständigen hinzugezogen. Und mit dem von diesem eingeholten Gutachten hatte sich das LG nach Auffassung des BGH im BGH, Beschl. v. 25.02.2016 – 2 StR 308/15 nicht ausreichend auseinander gesetzt:
Die Strafkammer ist den Aussagen des Sachverständigen „gefolgt“ und hat es – nach einer kursorischen eigenen Würdigung – im Ergebnis für ausgeschlossen erachtet, dass die Nebenklägerin das „tatsächliche Geschehen falsch berichtet“ habe.
„b) Es fehlt die bei dieser Lage notwendige besonders sorgfältige Würdigung der Aussage der Nebenklägerin. Zwar lässt sich – worauf auch der Sachverständige hingewiesen hat – aus einer festgestellten Belastungsmotivation beim Zeugen nicht zwingend auf das Vorliegen einer Falschaussage schließen (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 175). Warum die Unwahrhypothese hier letztlich überwunden werden konnte, erschließt sich jedoch nicht und lässt durchgreifende Erörterungs- und Darstellungsmängel erkennen.
Schon die Annahme, es handele sich nur um ein „hypothetisches“ Falschbelastungsmotiv geht darüber hinweg, dass die Nebenklägerin, die an einer Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp leidet, nach den Feststellungen „nicht ausschließbar“ eine Liebesbeziehung mit dem Angeklagten erhofft hatte und auf den sexuellen Kontakt zum Angeklagten Wert legte. Die vor diesem Hintergrund nahe liegende Hypothese einer verschmähten Liebe als konkretes Motiv wird indes weder näher konkretisiert noch fallbezogen überprüft. Der Tatrichter ist jedoch bei konkreten Anhaltspunkten für das Vorliegen eines Falschbelastungsmotivs gehalten, diese naheliegende Möglichkeit zu prüfen (vgl. auch BGH, Urteil vom 27. März 2003 – 1 StR 524/02, NStZ-RR 2003, 206, 208).
Auch soweit der Sachverständige und ihm folgend die Strafkammer im Rahmen einer Gesamtbewertung den Umständen, „die (theoretisch) für eine Falschbelastung“ sprechen können, vor allem im Hinblick auf Qualität und Kon-stanz der Aussage der Geschädigten kein durchschlagendes Gewicht zumessen, zeigen sich Erörterungsmängel. Es wurde ersichtlich nicht bedacht, dass gerade dann, wenn die Vorwürfe im Rahmen einer bestehenden sexuellen Beziehung zwischen Täter und Opfer erhoben werden, bei der emotionale Erlebnisse und neutrales Randgeschehen ohne weiteres aus neutralen Erlebnis-wahrnehmungen generierbar sind, vorhandene Realkennzeichen, die sonst auf eine erlebnisfundierte Schilderung hindeuten, im konkreten Fall wenig aussagekräftig insbesondere dafür sein können, ob ein früheres Einverständnis mit dem Geschlechtsverkehr bestanden haben kann.
Aber auch soweit auf die Konstanz der Aussage abgestellt wird, bleibt offen, weshalb die allein im Hinblick auf das Kerngeschehen der Vergewaltigungen bestehende Konstanz maßgeblich mit zur Widerlegung der Unwahrhypothese beitragen kann. Der bloße Hinweis des Sachverständigen, dass die in zentralen und peripheren Angaben bestehenden Abweichungen für die Ge-schädigte „nicht alle wichtig“ waren, kann dies schon deshalb nicht auflösen, da an anderer Stelle auch darauf hingewiesen wird, dass die Nebenklägerin insbe-sondere zu ihrem Interesse an dem Angeklagten und ihren Kontakten zu ihm widersprüchlich berichtet habe und auch in ihrer Selbstpräsentation Abwei-chungen festzustellen seien. Überhaupt konnte der Sachverständige im Hinblick auf die teilweise inkonstanten Schilderungen der Nebenklägerin zu den Begleitumständen der Taten und der Art ihrer Beziehung zum Angeklagten im Ergebnis nur eine „abgestufte Konstanz“ feststellen (UA. S. 31).
Letztlich wäre der Tatrichter unter diesen Umständen auch gehalten gewesen, in den Urteilsgründen im Zusammenhang darzustellen, was die Nebenklägerin bei früheren Vernehmungen, beim Sachverständigen und in der Hauptverhandlung ausgesagt hat, um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Beweiswürdigung, insbesondere der Aussagekonstanz, zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2007 – 2 StR 258/07, StV 2008, 237; Beschluss vom 2. Dezember 2014 – 4 StR 381/14, NStZ-RR 2015, 82, 83). Die nur fragmentarische Erwähnung einzelner vom Sachverständigen in Bezug genommener Angaben der Geschädigten, wobei ihre Aussage in der Hauptverhandlung nahezu vollständig ausgeblendet wird, lässt dies nicht zu.“
Immer, wenn ich Aussagegutachten lese, beschleicht mich ein Ungutes Gefühl. Irgendwie kann ich mich nicht dem Eindruck verwehren, hier wird versucht einen nicht erlaubten Lügendetektor durch einen menschlichen zu ersetzen…