Nur mal so ein kleiner Zwischenstand 🙂 , und zwar: Ich war überrascht als ich den Vorlagebeschlus des 2. Strafsenats des BGH, den BGH, Beschl. v. 24.02.2016 – 2 StR 656/13 – gestern auf der Homepage des BGH entdeckt habe. Denn ich meinte mich zu erinnern, dass es bereits einen Vorlagebeschluss in dem Verfahren gegeben hat. Und ich habe mich auch richtig erinnert. Das ist/war nämlich der BGH, Beschl. v. 18.03.2015 – 2 StR 656/13 mit der Vorlagefrage:
„Ist die Einführung und Verwertung einer früheren Aussage eines Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, durch Vernehmung der richterlichen Vernehmungsperson nur dann zulässig, wenn diese den Zeugen nicht nur über sein Zeugnisverweigerungsrecht, sondern auch über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren belehrt hatte?“
Und genau dieselbe Vorlagefrage hat nun der Beschl. v. 24.02.2016. Man fragt sich, was ist/war da los? Haben die Mitglieder des 2. Strafsenats bei den vielen Anfragen und Vorlagen die Übersicht verloren? Nein, natürlich nicht. Sondern? Nun, das, was hinter dem „neuen“ Vorlagebeschluss steckt ergibt sich aus IV. der Beschlussgründe: Der Große Senat für Strafsachen hat wegen der 1. Vorlage wohl gemeckert (den Beschluss kenne ich nicht und finde ihn auch nicht auf der Homepage des BGH) und da hat der 2. Strafsenat dann nachgebessert; warum gemeckert, kann man ein wenig aus dem BGH, Beschl. v. 24.02.2016 – 2 StR 656/13 – entnehmen. Und ein neues Anfrageverfahren gibt es auch nicht:
„IV.
Eines neuen Anfrageverfahrens bei den anderen Senaten bedarf es nicht.1. Zwar setzt eine Vorlage an den Großen Senat im Fall einer Divergenz gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG regelmäßig voraus, dass der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Se-nats erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhalte. Eine Anfrage ist nach Ansicht des 2. Strafsenats aber ausnahmsweise entbehrlich, wenn der Zweck des Anfrageverfahrens, zu klären, ob im Zeitpunkt der Vorlageentscheidung (noch) eine Divergenz besteht (vgl. Hannich, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 132 GVG Rn. 13), auf andere Weise erreicht und sichergestellt ist, dass eine überflüssige Anrufung des Großen Senats vermieden wer-den kann. So liegt es hier.
Der 2. Strafsenat hat mit Beschluss vom 4. Juni 2014 bei allen übrigen Strafsenaten angefragt, ob diese der beabsichtigten Änderung der Rechtsprechung zustimmen oder an entgegenstehender Rechtsprechung festhalten. Alle Strafsenate sind mit Beschlüssen zwischen dem 16. Dezember 2014 und dem 27. Januar 2015 der Auffassung des anfragenden Senats entgegengetreten, drei Senate haben mitgeteilt, dass Rechtsprechung ihrer Senate entgegenstehe. Angesichts einer in der Sache unveränderten Vorlage, die lediglich im Hinblick auf die vom Großen Senat geäußerten Bedenken zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage geringfügig ergänzt worden ist, und mit Blick darauf, dass zwischen den ursprünglichen Antworten der übrigen Senate und der erneuten Vorlage nach Rücknahme des Vorlagebeschlusses vom 18. März 2015 nur kurze Zeit vergangen ist, geht der 2. Strafsenat als sicher davon aus, dass eine zur Vorlage berechtigende Divergenz fortbesteht. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass auch nur einer der übrigen Strafsenate zwischenzeitlich seine Rechtsauffassung geändert haben könnte. Bei dieser Sachlage wäre es in der Sache ohne Nutzen, erneut ein Anfrageverfahren durchzuführen.
Hinzu kommt, dass sich der Angeklagte im zugrunde liegenden Strafverfahren seit 23. September 2012 in Untersuchungshaft befindet. Eine allein aus formalen Gründen erfolgende Durchführung eines erneuten Anfrageverfahrens würde zu einer Verzögerung des Verfahrens um mindestens ein halbes Jahr führen. Dies wäre nach Ansicht des 2. Strafsenats mit Blick auf das aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Beschleunigungsgebot nicht vertretbar.“
Also: „Rebellensenat“ gibt nicht auf und bessert nach. Bin mal gespannt, ob das dem Großen Senat jetzt reicht oder ob die Vorlage „abgeschmiert“ wird.
„im Anschluss mitteilen lassen“ dürfte wohl kein zu veröffentlicher Beschluss des GrS gewesen sein.
Und dass der 2. Senat auf die gesetzlich vorgesehene erneute Anfrage verzichtet, u.a. weil das ja nur „formale“ Gründe seien, deren Einhaltung dann u.a. zu einem Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen führen würde, ist auch recht originell. Mal sehen, welche Rechtsauffassung der GrS dem 2. Senat dazu mitteilen lässt…
„im Anschluss mitteilen lassen“ – sicherlich durch einen Büroboten :-).
M.E. eine Steilvorlage für den Großen Senat, wenn er nicht in der Sache entscheiden will
Der Hintergrund erklärt sich aufgrund von III. der Gründe des neueren Beschlusses. Der große Senat hatte schlicht Zweifel an der Erheblichkeit der Anfrage des 2. Senats:
„Die fehlerhafte Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe
bedingt die Aufhebung des Schuldspruches, führt aber nicht zur Aufhebung von
Feststellungen, weil es sich insoweit lediglich um Wertungsfehler handelt. Aus
diesem Grund bleibt die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfra-
ge als Voraussetzung einer Vorlage auch auf Grundlage der Ansicht des Gro-
ßen Senats für Strafsachen (siehe dazu den Rücknahmebeschluss des Senats
vom heutigen Tag) unberührt. Unter Zugrundelegung der Rechtsansicht des
vorlegenden Senats zur Vorlagefrage würde auf die Verfahrensrüge hin nicht
nur der Schuldspruch der landgerichtlichen Entscheidung, sondern weiterge-
hend auch die ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben sein.“
@schneidermeister
Der Punkt dürfte irrelevant sein, weil der 2. Strafsenat nun auch wegen grundsätzlicher Bedeutung vorlegt. Wer mit dem 2. Strafsenat Juraschach spielen will, muß sich Spielzüge mit mehrfacher Deckung einstellen.
„Schachsenat“ wäre keine Schmähsatire, „Rebellensenat“ dagegen durch dauernde Wiederholung schon.
Sie können ja ein Verfahren gegen mich einleiten (lassen)…..
@OG
Wenn der 2. so gut kalkuliert, stellt sich die Frage, warum er (nach der Anfrage aus 2014 und der Vorlage aus 2015) erst jetzt auch eine grundsätzliche Bedeutung erkennt, die er vorher irgendwie übersehen haben muss. Dann hätte man sich ja den ganzen Zinnober mit der Anfrage bei den anderen Senaten gleich sparen können. Zumal der 2. jetzt auch das Beschleunigungsgebot in Haftsachen entdeckt hat, dem man durch eine Vorlage wegen grds. Bedeutung wohl am Besten entsprochen hätte, denn die wäre deutlich schneller gewesen als das langwierigere Prozedere einer Anfrage.
Aber vielleicht hält es der Vorsitzende aus Überzeugung von seiner Überlegenheit auch mit seinem Namensvetter Bobby Fischer, der geäußert haben soll: Ich rechne überhaupt nicht im Voraus, ich gewinne auch so.
Andererseits stammt von Fischer auch der Spruch: Patzer sees check, Patzer makes check
Manchmal patzt dann auch der 2. , so wie beim Beschluss 2 StR 417/15, wo erst einmal die die Übernahme durch den 4. Senat angefragt wird, weil eine Schuldspruchänderung im Raume stehe, um dann festzustellen, dass schon die Strafkammer das Verkehrsdelikt (wohl nach § 154a StPO) „wegbeschränkt“ hatte und es deshalb so gar nichts mehr mit Schuldspruchänderung werden konnte..
Bitte die Reihenfolge einhalten und zunächst den Botschafter einbestellen… 😉
🙂
@ OG: Also die rebellischen Herren vom 2. Strafsenat geben sich ohne Not die Blöße, eine ungeschriebene Ausnahme vom Anfrageerfordernis zu erfinden und seitenlang zu begründen (obwohl es darauf wegen paralleler Grundsätzlichkeit gar nicht ankam)?? Offenbar bewegen sich diese Juraschachkünstler in intellektuellen Gefilden, in denen man als einfacher Arbeiter im Weinberg des Herrn schlicht nicht mehr mitkommt.
Vielleicht war/ist es ja ein wenig „juristische Selbstbefriedigung“ 😉
@schneidermeister
Da ist was dran. Es scheint beim 2. Strafsenat ohnehin etwas im Argen zu liegen, was die bearbeitungsbeschleunigende Wirkung von Untersuchungshaft betrifft. Die Entscheidung des OLG Frankfurt vom 3. Februar 2016 – 1 Ws 186/15 – (die in keinem Fischer-Dossier fehlen darf) legt das nahe. Leider nehmen es die Mitglieder des Großen Strafsenats mit dem Gebot der Verfahrensbeschleunigung auch nicht genau, wenn sie ein halbes Jahr brauchen, um überhaupt Vorüberlegungen zur Zulässigkeit anzustellen. Au Backe! Da kann man nur hoffen, daß auch das OLG Köln durchgreift und wegen der Fülle von Verfahrensverletzungen durch den BGH den Angeklagten auf freien Fuß setzt (daß es sich um den Vorwurf Mord handelt, sollte dem nicht entgegenstehen, vgl. BVerfG, Beschluß vom 5. Dezember 2005 – 2 BvR 1964/05).
@Catweazle
Das Schwelgen in obiter dicta gilt vor allem bei den Obersten Bundesgerichten vielfach als Teil der Berufspflichten. Siehe hierzu unter http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-04/buerokratie-bundesgerichthof-strafrech-justiz-fischer-im-recht/komplettansicht die Kritik von Thomas Fischer am 1. Strafsenat, der mit Beschluß vom 19. Mai 2015 – 1 StR 128/15 – ein fast komplettes obiter dictum abgeliefert hat, das ihm so lieb und teuer ist, daß er es sogar in BGHSt abdrucken läßt.
Im vorliegenden Fall wären die von Ihnen kritisierten Ausführungen aber nicht entbehrlich gewesen (und somit liegt kein obiter dictum vor), weil der 2. Strafsenat ja nicht wissen kann, ob die Bejahung der „besonderen Bedeutung“ vom Großen Senat geteilt wird. Wie sich in der Beratung vom 19. Februar 2016 gezeigt hat, wird der Große Senat jedes Schlupfloch nutzen, das sich ihm bietet. Es wäre geradezu fahrlässig vom 2. Strafsenat, nicht jedes mögliche Schlupfloch abzudichten.
Nachtrag: Gerade sehe ich, daß das OLG Köln kürzlich in einem anderen Fall einen wegen versuchten Mordes Verurteilten, dessen Revision anhängig ist, wegen Verfahrensverzögerungen auf freien Fuß gesetzt hat (Beschluß vom 29.Februar 2016 – 2 Ws 60/16). Und das in einem Fall, der in zeitlicher Hinsicht weit weniger kraß zu sein scheint, als der hiesige.
Inzwischen hat der große Strafsenat geurteilt: GSSt 1/16.