Der BGH hat erst Ende 2015 zur ggf. infolge eines Interessenkonflikts fehlerhaften Pflichtverteidigerbestellung Stellung genommen. Das war der BGH, Beschl. v. 01.12.2015 – 4 StR 270/15 (vgl. dazu Interessenkonflikt und fehlerhafte Pflichtverteidigerbestellung; aber: Beruht das Urteil darauf?). Gestern ist zu der Problematik das BGH, Urt. v. 24.02.2016 – 2 StR 319/15 – eingestellt worden, dem folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde gelegen hat:
„Der Angeklagte D. beauftragte am 21. August 2013 den Rechtsanwalt P. mit seiner Verteidigung. Dieser erwirkte am Folgetag unter Niederlegung des Mandats als Wahlverteidiger seine Bestellung zum Verteidiger durch die Haftrichterin. Am 17. September 2013 zeigte Rechtsanwalt M. an, dass er den Geschädigten als Zeugenbeistand vertrete. Am 28. Oktober 2013 zeigte Rechtsanwältin Me. an, von dem Angeklagten D. mit seiner Verteidigung beauftragt worden zu sein. Rechtsanwältin Me. war – gerichtsbekannt – mit Rechtsanwalt M. in einer Bürogemeinschaft verbunden und auch privat mit diesem liiert. Am 18. Februar 2014 beauftragte der Angeklagte D. zusätzlich Rechtsanwalt A. mit seiner Verteidigung und erklärte, dass das Vertrauensverhältnis zu Rechtsanwalt P. zerrüttet sei. Unter dem 4. März 2014 beantragte Rechtsanwalt A. Rechtsanwalt P. zu entpflichten. Der Vorsitzende der Strafkammer schrieb nach einem vorausgegangenen Telefonat an Rechtsanwalt P. , dass er davon ausgehe, dieser sei mit seiner Entpflichtung und der Bestellung von Rechtsanwältin Me. einverstanden. Rechtsanwältin Me. hatte zwischenzeitlich ihre gerichtliche Bestellung als Verteidigerin beantragt. Der Angeklagte D. und Rechtsanwalt A. wurden davon nicht unterrichtet.
Mit Verfügung vom 7. März 2014 entpflichtete der Vorsitzende den Rechtsanwalt P. und ordnete dem Angeklagten D. Rechtsanwältin Me. als Verteidigerin bei. Unter dem 19. März 2014 erklärte Rechtsanwalt M. im Namen des Geschädigten Bo. dessen Anschluss als Nebenkläger und beantragte seine Bestellung zu dessen Beistand. Unter dem 26. März 2014 korrespondierte Rechtsanwalt M. mit Rechtsanwältin Me. schriftlich über die Frage eines Täter-Opfer-Ausgleichs durch außergerichtliche Zahlung eines Schmerzensgeldes. Diese Korrespondenz wurde auch Rechtsanwalt A. mitgeteilt. Am 20. April 2014 ließ das Landgericht den Geschädigten als Nebenkläger zu. Die Voraussetzungen für eine Beiordnung des Rechtsanwalts M. sah es zunächst nicht als erfüllt an, ordnete ihn aber später bei. Rechtsanwalt M. nahm als Vertreter des Nebenklägers an 21 von 24 Verhandlungstagen an der Hauptverhandlung teil.“
Der BGH hat die Verfahrensrüge als unbegründet angesehen. Eine Verletzung des Anspruchs des Angeklagten D. auf ein faires Verfahren in der Form des Rechts auf wirkungsvolle Verteidigung liege nicht vor. In dem Zusammenhnag dann folgende (grundsätzliche) Ausführungen:
„aa) Jeder Beschuldigte hat das Recht auf ein faires Strafverfahren, zu dem auch die Gewährleistung einer wirksamen Verteidigung gehört (Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK; Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG). Sofern kein Wahlverteidiger mitwirkt, bedarf es in Fällen der notwendigen Ver-teidigung der Bestellung eines Verteidigers durch das Gericht. Dabei ist auf ein bestehendes oder angestrebtes Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und dem Verteidiger möglichst Rücksicht zu nehmen (vgl. BVerfG, Be-schluss vom 25. September 2001 – 2 BvR 1152/01, NJW 2001, 3695, 3696).
Gründe, die gegen eine wirksame Verteidigung des Beschuldigten durch einen bestimmten Rechtsanwalt sprechen, sind bei der Bestellungsentscheidung zu berücksichtigen. Ein absehbarer Interessenkonflikt in der Person eines als Verteidiger in Betracht kommenden Rechtsanwalts kann dessen Bestellung im Einzelfall entgegenstehen, wenn deshalb geringere Effektivität seines Einsatzes als Strafverteidiger zu befürchten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2003 – 5 StR 251/02, BGHSt 48, 170, 173; Urteil vom 11. Juni 2014 – 2 StR 489/13, NStZ 2014, 660, 662; Beschluss vom 1. Dezember 2015 – 4 StR 270/15; krit. Müller/Leitner in Widmaier/Müller/Schlothauer, Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 2. Aufl., § 39 Rn. 119; von Stetten ebenda § 16 Rn. 46). Hierin kann mit Blick auf die auch durch Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK geforderte subsidiäre Verantwortung des Staates für eine wirksame Verteidigung (vgl. Gaede, Fairness als Teilhabe – Das Recht auf konkrete und wirksame Teilhabe durch Verteidigung gemäß Art. 6 EMRK, 2007, S. 858 ff. mwN) ein wichtiger Grund im Sinne von § 142 Abs. 1 Satz 3 StPO liegen, von der Bestellung dieses Rechtsanwalts zum Verteidiger abzusehen. Ergeben sich nachträglich Hinweise auf die Möglichkeit eines Interessenkonflikts, so kann dies ein wichtiger Grund dafür sein, eine bereits erfolgte Verteidigerbestellung aufzuheben. Jedoch ist die Situation im Abberufungsverfahren anders als bei der Bestellung zum Verteidiger. Die Entpflichtung eines Verteidigers ist – von den in § 143 StPO ausdrücklich genannten Gründen abgesehen – dann zulässig, wenn der Zweck der gerichtlich bestellten Verteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrens-ablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet ist. Die Grenze für die Begründet-heit vorgebrachter Einwände gegen den vom Gericht beigeordneten Verteidiger wird in der Situation der Entpflichtung enger gezogen (vgl. BVerfG aaO, NJW 2001, 3695, 3697).
Dem Vorsitzenden des zuständigen Spruchkörpers kommt insoweit ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2003 – 5 StR 251/02, BGHSt 48, 170, 175). Dabei kann auch das Ziel einer Verfahrenssicherung durch die Verteidigerbestellung berücksichtigt werden. Nicht in jedem Fall, in dem die abstrakte Gefahr einer Interessenkollision besteht, ist der Vorsitzende verpflichtet, die Bestellung eines bestimmten Rechtsanwalts zum Verteidiger zu unterlassen oder nachträglich aufzuheben. Zu beachten ist auch, dass ein Rechtsanwalt grundsätzlich selbst für die Wahrung seiner beruflichen Pflichten verantwortlich ist (vgl. BGH aaO, BGHSt 48, 170, 174). Er hat im Fall eines tatsächlich bestehenden Interessenkonflikts seinerseits darauf hinzuwirken, dass er nicht zum Verteidiger bestellt oder eine bestehende Bestellung aufgehoben wird.
Der Vorsitzende hat in Fällen, in denen eine Interessenkollision möglich erscheint, regelmäßig Anlass, den Beschuldigten und den als Verteidiger in Betracht gezogenen Rechtsanwalt zu dem prozessualen Sachverhalt anzuhören (vgl. BGH aaO, SSW/Beulke, StPO, 2. Aufl., § 143 Rn. 20). Werden bei der Anhörung oder im weiteren Gang des Verfahrens keine Bedenken gegen die Bestellung geäußert oder besondere Gründe dagegen vorgebracht, so kann auch dies dafür sprechen, dass die Entscheidung des Vorsitzenden zumindest vertretbar war…..“