Am vergangenen Wochenende hat vom 04. – 06.03.2016 der 40. Strafverteidigertag in Frankfurt statt gefunden, an dem ich auch (mal wieder) teilgenommen habe. Nachdem ich am Freitag über dessen Programm berichtet habe (vgl.Hier geht es zum 40. StV-Tag, oder: „Ich bin 40 – Bitte helfen Sie mir über die Strasse!“…..), heute dann hier die Ergebnisse/ein kleiner Rückblick.
Vorab: Für mich steht bei solchen Veranstaltungen immer mehr das Wiedersehen mit Kollegen und/Autoren der Handbücher oder des StRR im Vordergrund. Das hat jedenfalls gut geklappt. Einige habe ich getroffen und man hat sich mal wieder – über Email – hinaus austauschen können. Und: Es hat am Freitagabend einen sehr schönen Eröffnungsvortrag der Kollegen Scherzberg gegeben zum Thema: „Vom (unmöglichen) Zustand der Strafverteidigung„.
Zu den Ergebnissen. Nun, ich war in der AG 1 -StPO-Reform. Mich interessiert schon, was da nun kommt und vor allem, wann es kommt. Ein wenig überrascht war ich über die in meinen Augen doch sehr dünne Besetzung der Zuhörerbänke in dieser AG. Ich hatte gedacht/damit gerechnet, dass sich mehr Kollegen für die Fragen der StPO-Reform interessieren. Ist bzw. war aber leider nicht so.
Zur Sache habe ich nicht so ganz viel Neues erfahren. Die Ministerialdirektorin Marie Luise Graf-Schlickert hat über den „Rohentwurf eines Referentenentwurfs“ berichtet – für mich ist das so wie „Wir planen, schwanger zu werden“….- und dabei natürlich auch die immer wieder kehrenden Vokablen von „Effektivität“, „praxistauglicher“, „schneller/beschleunigt“ usw., aber alles natürlich „unter Wahrung der Rechte des Beschuldigten“ benutzt. Ich habe da so meine Bedenken, denn m.E. sind schon bei den letzten „Reformen“ der StPO die Rechte des Angeklagten nicht unbedingt „gewahrt“ worden. Und wenn man so sieht und liest, was die Expertenkommission sich vorstellt, dann fragt man sich schon, ob nicht ggf. dann doch auf dem Altar der Effektivität das ein oder andere Recht des Beschuldigten geopfert werden wird.
Und diese Befürchtung klingt das auch in den Ergebnissen der AG 1 an, die wie folgt formuliert sind:
„AG 1: StPO-Reform
Die Hauptverhandlung im reformierten Inquisitionsverfahren der StPO ist geprägt durch einen prozessstrukturierten Antagonismus zwischen Gericht und Angeklagtem. Dieser resultiert aus der Kenntnis der Ermittlungsakten, deren Schwerpunkt in der Verdachtsbegründung und Verdachtsbestätigung zu Lasten des Beschuldigten liegt. Die auf dem Akteninhalt beruhende Eröffnungsentscheidung führt zu einem Inertia-Effekt, der noch durch den Schulterschluss mit der Staatsanwaltschaft verstärkt wird. Das einseitig zum Nachteil des Angeklagten geprägte Hauptverfahren erfährt eine weitere Zuspitzung, wenn das Gericht erwägt, mit dem Angeklagten die Möglichkeit einer Verständigung zu erörtern oder sogar den Verfahrensbeteiligten einen Verständigungsvorschlag zu unterbreiten.
Unter diesen Umständen lassen sich die Verteidigungsdefizite des Angeklagten in der Hauptverhandlung kaum noch kompensieren. Selbst bei einem robusten Beweisantragsrecht und weiteren Verfahrensrechten ist es kaum noch möglich, die weit vorangeschrittene Überzeugungsbildung auf Seiten des Gerichts durch neue Tatsachen oder Infragestellung der in der Hauptverhandlung reproduzierten Akteninhalte nachhaltig zu beeinflussen.
Abhilfe können nur erweiterte Partizipations- und Interventionsmöglichkeiten des (verteidigten) Beschuldigten im Ermittlungsverfahren schaffen. An dieser Vorgabe müssen sich die Vorschläge der Expertenkommission zur Reform des Strafprozesses messen lassen.
Die Vorschläge zur Begründung, Erweiterung bzw. Stärkung des Anwesenheits- und Fragerechts der Verteidigung bei Beschuldigtenvernehmungen bzw. einzelnen Beweiserhebungen gehen zwar in die richtige Richtung, greifen aber noch zu kurz.
Eine Option, den Verteidiger noch stärker an den Ermittlungen teilhaben zu lassen, wird allerdings aus Zeit- und Kostengründen nicht immer wahrgenommen werden können. Aus diesem Grunde bedarf es zumindest einer audiovisuellen Dokumentation von Beschuldigten- und wesentlichen Zeugenvernehmungen.
Nicht Gegenstand der Beratungen und Empfehlungen der Expertenkommission war/ist die Eröffnung eines eigenen Initiativrechts der Verteidigung zum Zwecke der Ermittlung von zu Gunsten des Beschuldigten sprechenden Tatsachen. Erforderlich ist hier ein durchsetzbares Recht auf Beantragung von Entlastungsbeweisen. Dies muss gekoppelt sein an die obligatorische Anwesenheit des Verteidigers bei der betreffenden Beweiserhebung. Alternativ wäre darüber nachzudenken, dem Verteidiger das Recht einzuräumen, Zeugen und Sachverständige zu befragen und zu diesem Zweck zum Erscheinen zu verpflichten.
Regelungsbedürftig erscheint auch die Sicherung und Auswertung digitaler Daten sowie die Übernahme interner Ermittlungen des Arbeitgebers in das Ermittlungsverfahren. Dieser Transfer sollte nur mit Zustimmung des Betroffenen zulässig sein.
Schon die vorstehend angesprochenen Punkte machen die verstärkte Mitwirkung des Verteidigers im Ermittlungsverfahren erforderlich. Hiervon sind insbesondere solche Beschuldigte betroffen, die finanziell nicht in der Lage sind, einen Wahlverteidiger zu beauftragen. Aus diesem Grunde müssen die Möglichkeiten der Pflichtverteidigerbeiordnung erweitert und der maßgebliche Zeitpunkt vorverlegt werden (schon jetzt muss § 136 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 163a Abs. 4 S. 2 StPO mit Leben erfüllt werden). Insbesondere bei einer Festnahme des Beschuldigten gem. § 127 Abs. 2 StPO bedarf es der unverzüglichen Beiordnung eines Verteidigers. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen bedürfen auch der Mitwirkung der Anwaltschaft.
Dem Beschuldigten sollte vor Abschluss der Ermittlungen abschließendes rechtliches Gehör gewährt werden, wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren nicht gem. § 170 Abs. 2 StPO einstellt.“
M.E. kommt man übrigens allein mit einer „verstärkten Mitwirkung des Verteidigers“ im Ermittlungsverfahren – nicht weiter – ich höre schon das „Geschrei“ aus den Bundesländern: „Noch mehr Pflichtverteidiger? Wir haben kein Geld.“ Dieser „verstärkten Mitwirkung“ muss man m.E. flankierende Maßnahmen zur Seite stellen, und zwar in Form von (Beweis)Verwertungsverboten. Denn sonst nutzt es alles nichts, oder: Was nutzt mir ein Recht, dessen Verletzung sanktionslos bleibt. Aber dazu wird es im Zweifel nicht kommen.
Kommen wird die StPO-Reform aber, davon wird man ausgehen müssen. Der BMJV Maas wird sich das Denkmal setzen wollen. Allerdings: In meinen Augen ist die Zeit knapp, es sei denn man „peitscht“ die Reform durchs Parlament. Geplant ist so Frau Graf-Schlickert: Eine Befassung der Regierung und ein Regierungsentwurf in diesem Sommer 2016 – parlamentarische Beratungen dann bis Anfang 2017 – und dann Verabschiedung noch in dieser Legislaturperiode und anschließend Inkrafttreten. In meinen Augen recht ambitioniert. Und alles hängt natürlich auch davon ab, ob die Länder mitmachen. Die Bayern – wer sonst – haben ja schon gerufen: Thema verfehlt. Nicht, dass hinterher nur die Abschaffung des § 81a Abs. 2 StPO in seiner jetztigen Form und die Einführung der Anwesenheitspflicht bei polizeilichen Vernehmungen übrig bleiben. Das wäre dann aber kein Denkmal für den BMJV, sondern nur ein „Reförmchen“.
Zu den übrigen Eregbnissen des 40. StV-Tages dann hier.
„Parallele aus dem öffentlichen Dienst: Bei Reisekostenerstattungen stellt sich das BMI auf den Standpunkt, es handle sich um eine Entschädigung und stellt auf die persönliche Betroffenheit ab: http://www.bva.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/DLZ/Rechtsgrundlagen/Dienstreisen/bmi_rdschr_03092012_flug_fahrgastrechte.pdf;jsessionid=662B4CBCC74A420DA565E5B73B9F8879.1_cid361?__blob=publicationFile&v=3
In zumindest einigen Ländern wird das (z.T. auch auf Basis abweichender Formulierungen in den Landesreisekostengesetzen) anders gesehen und gehandhabt.“