In meinem Blogordner haben sich inzwischen wieder einige Entscheidungen zur Pflichtverteidigung angesammelt – allen Kollegen, die mir immer wieder Entscheidungen übersenden, dafür herzlichen Dank. Ich mache daher heute mal wieder einen „Pflichtverteidigungstag“. Den eröffne ich dann mit einer nicht so schönen Entscheidung des LG Oldenburg, nämlich dem LG Oldenburg, Beschl. v. 04.01.2016 – 1 Qs 473/15. Er behandelt die Thematik der nachträglichen Beiordnung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger im Fall/nach Einstellung des Verfahrens nach § 154 StPO.
Mit Verfügung vom 18.09.2015 hatte das AG dem damaligen Angeschuldigten, der in anderer Sache Freiheitsstrafe verbüßt(e), die Anklageschrift zugestellt. Hierauf meldete sich der Verteidiger und beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Im Hinblick auf ein anderes Verfahren, in dem eine Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 8 Monaten erfolgte, stellte das AG sein Verfahren dann am 02.11.2015 auf Antrag der Staatsanwaltschaft gem. § 154 Abs. 2 StPO vorläufig ein und lehnte die Beiordnung ab. Dagegen die Beschwerde des Rechtsanwalts, die beim LG keinen Erfolg hat. Begründung, die man bald singen kann:;
„Eine nachträgliche, gleichsam rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Abschluss des Verfahrens kommt bereits aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Betracht. Die Beiordnung nach § 140 StPO erfolgt nicht etwa im Kosteninteresse des Angeklagten oder seines Verteidigers, sondern dient allein dem Zweck, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Angeklagte in bestimmten Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Ablauf in einem anhängigen Verfahren gewährleistet ist. Dieser kann jedoch nachträglich nicht mehr beeinflusst werden.
Außerdem würde die nachträgliche Beiordnung die Umwandlung eines bestehenden privatrechtlichen Mandatsverhältnisses in ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis darstellen, obwohl die daraus erwachsenden Pflichten rückwirkend nicht mehr erfüllt werden könnten. Denn eine für den Angeklagten wirkende Tätigkeit des Verteidigers ist nur denkbar, solange das Strafverfahren, für das die Beiordnung erfolgen soll, noch nicht beendet ist. Eine dem Zweck der Pflichtverteidigung entsprechende Tätigkeit scheidet aber notwendigerweise aus, wenn das Verfahren bereits abgeschlossen ist. Daher könnte eine nachträgliche Bestellung ausschließlich dem verfahrensfremden Zweck dienen, dem Verteidiger für ein abgeschlossenes Verfahren einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen, dagegen könnte sie eine Verteidigung des Angeklagten nicht mehr gewährleisten (vgl. BGH-NStZ-RR 2009, 348; OLG Bamberg. NJW 2007, 3796, m.w.N.). Da dies auch für den Fall gilt, dass der Antrag bereits vor Abschluss des Verfahrens gestellt worden war (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 15.07.2014 – Az.: 1 Ws 322/14), vermag auch die auf anderslautende Entscheidungen verweisende Beschwerdebegründung keine andere Entscheidung zu rechtfertigen.“
Für mich nicht nachvollziehbar, was das LG da (mit)macht. Es wird – in meinen Augen – amtsgerichtliche Willkür, zumindest aber amtsgerichtliches Fehlverhalten – nachträglich gesund gebetet. Denn das AG hätte dem Angeklagten sofort, da er sich in Haft befand, nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO einen Pflichtverteidiger beiordnen müssen. Das tut es nicht, sondern stellt ein und lehnt die Bestellung unter Missachtung des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ab. Und das LG macht das mit und betet nur das nach, was andere (Ober)Gerichtet schon vorgebetet haben. Ärgerlich.
Es geht übrigens auch anders wie der LG Trier, Beschl. v. 02.06.2015 – 5 Qs 34/15 – (vgl. dazu Pflichtverteidiger für den inhaftierten Mandanten auch nach Verfahrenseinstellung) beweist. In Oldenburg aber offenbar nicht, Gott sei Dank aber bei doch einer ganzen Reihe anderer LG. Wer Munition braucht, kann sich melden oder liest im Handbuch, Ermittlungsverfahren nach.