Verfahren nach den §§ 138a ff. StPO mit dem Ziel, den Verteidiger aus dem Verfahren auszuschließen, sind nicht (mehr) so häufig wie noch vor einigen Jahren. Aber zwischendurch wird dann doch immer mal wieder von den Staatsanwaltschaften die Keule herausgeholt und ein Ausschlussverfahren eingeleitet. Diese führen aber nicht selten deshalb nicht zum Erfolg, weil die Staatsanwaltschaften/Gerichte die hohen formellen Hürden, die die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung aufgestellt hat, nicht meistern (vgl. dazu a. Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 7. Aufl., 2015, Rn. 4055 ff. m.w.N.; vgl. auch noch OLG Bamberg StRR 2011, 431). So auch in dem dem KG, Beschl. v. 22.10.2015 – 2 ARs 22/15 zugrunde liegenden Verfahren.
Aber ich weise auf den Beschluss nicht aus dem Grund hin. Die damit zusammenhängenden Fragen sind in der Rechtsprechung weitgehend gelöst. Mir geht es hier heute um die Ausführungen, die das KG dann auch noch zur Begründetheit des Ausschlußantrages gemacht hat. derw ar nämlich darauf gestützt, dass gegen den Verteidiger ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der (versuchten) Strafvereitelung (§ 258 StGB) wegen verspäteter Aktenrückgabe nach Akteneinsicht eingeleitet worden war. Da verneint das KG in seinem Beschluss zutreffend einen (dringenden) Tatverdacht:
„Strafverteidigung ist ihrer Natur nach auf den Schutz des Beschuldigten vor Bestrafung ausgerichtet (vgl. BGHSt 29, 99, 102). Auch fällt nicht jede Pflichtwidrigkeit eines Verteidigers unter den Tatbestand einer Strafvereitelung (vgl. KG, Beschluss vom 14. Juli 2003 – 4 ARs 50/03 –). Tatbestandsmäßig sind allein solche unzulässigen Handlungen, die dazu dienen, den Beschuldigten der Bestrafung zu entziehen und auch mit dieser Zielrichtung vorgenommen werden (vgl. KG NStZ 1988, 178). Es muss dem Rechtsanwalt also darauf ankommen, die Verhängung einer Strafe mindestens zum Teil zu vereiteln. Es bestehen hier erhöhte Nachweisanforderungen an das voluntative Element der Strafvereitelung (vgl. BGHSt 24, 38 f; 46, 53 f.).
Dabei wird zwar zulässiges Verteidigerverhalten bis hin zur Strafbarkeit überschritten sein, wenn zur Einsicht überlassene Strafakten zum Zwecke der Verfahrensverschleppung zurückhalten werden (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 258 Rdn. 22 m.w.N.; Erb in JR 2006, 526, im Ergebnis bei Vorliegen einer Strafvereitelungsabsicht auch Cramer/Pascal in MK-StGB, 2. Aufl., § 258 Rdn. 21). Objektive Tatsachen, aus denen sich eine solche Zielrichtung des Verteidigers herleiten lässt, lassen sich dem Vorlagebeschluss in Verbindung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft jedoch ebenfalls nicht entnehmen.
Der Verteidiger hat nach Aktenlage als Gründe für die Nichtrückgabe der Verfahrensakten bislang lediglich partnerschaftliche Probleme mitgeteilt und sich ansonsten nicht geäußert. Es ist aufgrund des Umzugs der Kanzlei von K. nach M. und der dort ungeordneten Büroverhältnisse bereits unklar, wann genau der Verteidiger in den Besitz der Verfahrensakten – welche am 17. April 2015 an seine alte Kanzlei in K. geschickt wurden – gekommen ist und ob, beziehungsweise wann ihn die (zunächst an seinen alten Kanzleisitz) adressierten Rückforderungsersuchen persönlich erreicht haben. Die Angaben seiner Ehefrau und der von dem Zeugen KOK B. geschilderte Zustand des Arbeitszimmers in K. legen vielmehr die Annahme nahe, dass der Verteidiger die Verfahrensakten schlicht deswegen nicht zurückgab, weil er aufgrund privater Probleme und beruflicher Überlastung offensichtlich zu einer ordnungsgemäßen Führung und Erledigung seiner Bürogeschäfte sowie der sachgerechten Förderung der von ihm betreuten Verfahren nicht mehr in der Lage war.
Dies wird auch dadurch untermauert, dass er die Verfahrensakten umgehend der örtlichen Polizei übergab, nachdem diese persönlich mit seiner Ehefrau in Verbindung getreten war. Die Angaben des Zeugen KOK B. lassen zudem vermuten, dass der Postumschlag, in dem sich die Verfahrensakten befanden, von dem Verteidiger noch nicht einmal geöffnet worden war und er – da auf dem Umschlag das Gerichtsaktenzeichen nicht eingetragen war – nicht einmal wusste, dass sich darin die Verfahrensakten befanden. Die Umstände, dass in absehbarer Zeit keine Strafverfolgungsverjährung drohte und dass überdies lediglich eine Verurteilung seiner Mandantin zu einer Geldstrafe im Raum stand, sprechen ebenfalls gegen ein Zurückhalten der Akte in strafvereitelnder Absicht.“
Unter Berücksichtigung all dessen hat der Verteidiger sicherlich gegen seine anwaltlichen Berufspflichten verstoßen und auch standeswidrig gehandelt. Ein dringender Tatverdacht, darüber hinaus eine (versuchte) Strafvereitelung begangen zu haben, besteht hingegen nicht.“
Wenn ich mir den Sachverhalt so anschaue, dann frage ich mich, wie man bei den „Tatumständen“ dazu kommen kann, eine (versuchte) Strafvereitelung anzunehmen. Da kann man nur sagen: Leute, lasst den Knüppel doch im Sack, bzw.: Warum denn gleich die Keule des § 258 StGB und darauf gestützt ein Ausschlussverfahren nach den §§ 138 ff. StPO? Haben AG und Staatsanwaltschaft denn nichts anderes zu tun? Es liegt doch auf der Hand, dass hier ein Verteidiger offenbar von seinen „Amtsgeschäften“ überfordert ist/war. Da kann man doch anders mit umgehen. Vor allem dann, wenn man als AG selbst wohl zwei Monate braucht, bis eine richterliche Verfügung ausgeführt wird.
Das erinnert mich an eine junge dynamische Staatsanwältin, die mir vor laaanger Zeit einmal wegen verzögerter Rückgabe eine Ermittlungsakte mit einem Ermittlungsverfahren wegen Unterschlagung drohte – was ein älterer und erfahrener Staatsanwalt dann schlicht als „Unsinn“ bezeichnete. 😉
Mein Gott, wie häufig lese ich, „dass die Akten außer Kontrolle geraten sind“ oder sonstige kruden Gründe, warum keine Akteneinsicht (außerhalb der Gründe des § 147 StPO) gewährt werden können soll oder der herrliche Poststreik letztens. Solange die Justiz nicht mit elektronischen Akten arbeitet, wird es immer wieder faktische Probleme mit dem Papierhaufen geben. Ein Glück sind solche absurden Ausreißer dennoch Einzelfälle in der objektivsten Behörde der Welt.