Eine unheilvolle Begegnung „der besonderen Art“ hat das OLG München, Urt. v. 08.05.2015 – 10 U 4543/13 – zum Gegenstand, nämlich die eines die Straße überquerenden Fußgängers mit einem Lkw. Die Klägerin war auf der rechten Gehwegseite eine Straße gegangen. An der Einmündung einer anderen Straße wollte sie diese geradeaus überqueren. Dabei kam es zum Zusammenstoß mit dem von rechts kommenden Lkw der Beklagten. Die Klägerin trägt vor, dass sie sich vor Überquerung der anderen Straße versichert habe, dass sie gefahrlos die Straße überqueren könne. Es sei kein Kraftfahrzeug zu sehen gewesen. Als sie die Straße mehr als zur Hälfte überquert habe, sei ein Kraftfahrzeug aus dieser mit überhöhter Geschwindigkeit auf sie zugekommen. Sie habe den Fahrer noch mit erhobener Hand Zeichen gegeben, anzuhalten, dieser habe jedoch seine Geschwindigkeit nicht verringert und nicht gebremst, sondern sei direkt auf sie zu gefahren und habe sie auf der rechten Seite so stark getroffen, dass sie mit der linken Seite, insbesondere mit der Schulter, auf die Straße geprallt sei, sich durch den Aufprall gedreht habe und auf ihrer rechten Seite zum Liegen gekommen sei.
Das OLG hat eine Haftungsverteilung von 25/75 als angemessen angesehen. Die Entscheidung kann man etwa in folgenden Kernsätzen zusammen:
- Ein Fahrzeugführer hat den gesamten Verkehrsraum, auch bezüglich von links kommender Fußgänger, sorgfältig zu beobachten, sowie rechtzeitig und richtig auf etwaige Fehler anderer Verkehrsteilnehmer zu reagieren.
- Auch bei unachtsamem Verhalten eines Fußgängers bestehen Brems- und Ausweichpflichten, sowie die Notwendigkeit, die Geschwindigkeit herabzusetzen, sobald der Fahrer sieht, dass ein Fußgänger die Straße betritt.
- Gegenüber Fußgängern, die aus Sicht des Kraftfahrzeugführers von links kommend eine mehrspurige Fahrbahn überqueren wollen, gelten die genannten Verpflichtungen im Grundsatz ebenso.
- Ein Fahrzeugführer darf sich nicht ohne weiteres darauf verlassen, dass Fußgänger in der Fahrbahnmitte oder vor seiner Fahrbahnbegrenzung noch warten werden, um ihn vorbeifahren zu lassen.
Dazu aus dem Urteil:
„Auch bei erheblich verkehrswidrigem Verhalten des Fußgängers ist im Regelfall nicht jeglicher Schadensersatz zu versagen (BGH VersR 1969, 373; OLG Oldenburg, VRS 69, 101 = S. 252; BGH VersR 1989, 491; OLG Köln r+s 1987, 67; OLG Düsseldorf, r+s 1987, 66; OLG Hamm r+s 1989, 396; OLG Stuttgart VersR 1980, 243: „25 % trotz Rotlichtverstoß des Fußgängers“), sondern lediglich in Fällen der Unvermeidbarkeit für den Fahrzeugführer oder bei besonderen Umständen (BGH VersR 1964, 947 = VRS 27, 107: Aussteigen aus dem haltenden Fahrzeug; VersR 1966, 877: Hervortreten aus einer Lücke zwischen abgestellten Fahrzeugen; OLG Hamm, r+s 1988, 102; KG VersR 1993, 201; OLG Dresden NZV 2001, 378; KG NZV 2007, 80: Betreten der Fahrbahn von rechts).
Wer als Fußgänger Fahrbahnen ohne Beachtung des Straßenverkehrs überquert – egal in welche Richtung – (§ 25 III 1 StVO), handelt aber in erheblichem, nicht mehr nachvollziehbarem Umfang unsorgfältig (BGH NJW 2000, 3069: „besondere Vorsicht“; NJW 1984, 50]), weil das Achten auf von rechts kommende Fahrzeuge eine elementare Grundregel des Straßenverkehrs darstellt, die jedem Fußgänger, der eine Straße überschreiten will, einleuchten muss (OLG Hamm NZV 1993, 314; NZV 2001, 41; OLG Koblenz NZV 2012, 177; KG VersR 1981, 332; NZV 2004 579; OLG Celle MDR 2004, 994; OLG Bremen, VersR 66, 962; OLG Düsseldorf VRS 56, 2). Dies gilt umso mehr, wenn nicht spätestens bei Erreichen der Fahrbahnmitte oder der Fahrbahnabgrenzung zur Gegenfahrspur erneut nach rechts geblickt, um sich zu vergewissern, dass ein gefahrloses Weitergehen möglich ist (OLG Saarbrücken NJW 2010, 2525 ; OLG Düsseldorf r+s 1987; BGH VersR 1967, 608).“