Ich hatte ja heute morgen schon auf den OLG Naumburg, Beschl. v. 24.08.2015 – 2 RV 104/15 hingewiesen (vgl.: Selbstläufer). Die Entscheidung ist aber nicht nur wegen der angesprochenen Revisions-Rechtsbeschwerdeproblematik interessant, sondern auch wegen der weiteren Frage, zu der das OLG Stellung genommen hat, nämlich dazu, ob die Feststellungen des Amtsgerichts zu der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit der wegen eines Verstoßes gegen § 315c StGB verurteilten Angeklagten ausreichend sind. Das AG hatte – wie häufig/üblich – abgestellt auf nachträglichen Ausfallerscheinungen wie „Gang der Angeklagten unsicher, plötzliche Kehrtwendung nach vorherigem Gehen unsicher und Finger-Finger-Probe unsicher“. Das reicht dem OLG – auch in Zusammenhnag mit einem Fahrfehler nicht:
Allerdings hätte es für die Annahme alkoholbedingter Ausfallerscheinungen einer Gesamtwürdigung sämtlicher Tatumstände unter Einbeziehung des Unfallhergangs und von Darlegungen zu der Kausalität zwischen der festgestellten Alkoholisierung und dem Unfallereignis bedurft.
Zwar teilt das Gericht mit, dass die Angeklagte beim Abbiegevorgang in eine vorfahrtsberechtigten Straße den aus ihrer Fahrtrichtung gesehen von links kommenden Pkw des Zeugen pp. aufgrund ihrer hohen Alkoholisierung und der damit einhergehenden Einschränkung ihrer Reaktions- und Wahrnehmungsfähigkeit übersehen habe (UA S. 3), obgleich die Straße für die Angeklagte nach links zum Tatzeitpunkt etwa 30 m frei einsehbar gewesen sei, zum Tatzeitpunkt um 7:35 Uhr Berufsverkehr geherrscht habe (UA S. 5) und es dunkel gewesen sei (UA S. 3). Allerdings stellt das Amtsgericht auch fest, dass das Übersehen eines Vorfahrtsberechtigten, der für die Angeklagte auf der vorfahrtsberechtigten Straße von links käme, einen typischen bedingten Fahrfehler darstelle (UA S. 5).
Hierbei verkennt das Gericht, dass eine falsche Einschätzung einer Verkehrssituation für sich alleine keine Ausfallerscheinung ist, die als Indiz für eine alkoholbedingte Fahruntauglichkeit genügt. Selbst ein verkehrswidriges Fahrverhalten stellt nur dann ein Untauglichkeitsindiz dar, wenn es sich dabei um typische Fahrweisen alkoholisierte Kraftfahrer im Straßenverkehr handelt (vgl. BGH, 20.03.1959, 4 StR 306/58). Es ist jedoch allgemein bekannt und entspricht der Verkehrserfahrung, dass es auch einem nüchternen Kraftfahrer passieren kann, beim Linksabbiegen in eine bevorrechtigte Straße ein entgegenkommendes Fahrzeug zu übersehen. Bei dem Fahrfehler der Angeklagten, wie es sich im Urteil darstellt, handelt es sich daher nicht um einen der „klassischen“ Ausfälle unter Alkoholeinfluss, wie etwa Schlangenlinienfahren, grundloses Abkommen von der Fahrbahn oder auffallend übervorsichtiges Fahrverhalten. Vielmehr könnte der Unfall auch durch alkoholunabhängige Unachtsamkeit, wie z. B. eine den morgendlichen Beleuchtungsverhältnissen geschuldete Fehleinschätzung wie z. B. eine den morgendlichen Beleuchtungsverhältnissen geschuldete Fehleinschätzung der Verkehrssituation, der Entfernung sowie der Geschwindigkeit des entgegenkommenden Fahrzeugs, verursacht worden sein. Einen Erfahrungsgrundsatz, dass ein Übersehen eines Vorfahrtsberechtigten, der für die Angeklagte auf der vorfahrtsberechtigten Straße von links kam, ein typisch alkoholbedingter Fahrfehler sei (vgl. UA S. 5), besteht jedenfalls nicht. Vor diesem Hintergrund ist es daher rechtsfehlerhaft, wenn das Tatgericht von einem nichtbestehenden Erfahrungssatz ausgeht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 337 Rn. 31 m.w. N.).“
Tja, so einfach ist das also nicht mit dem § 315c StGB.