Der ein oder andere Leser wird sich sicherlich noch an das Posting „Ein Lattentreffer und seine Folgen für den (Jugend)Trainer“ zum AG Detmold, Urt. v. 21.01.2015, 2 Cs 41 Js 489/13 erinnern. Das AG ßhatte den Jugendtrainer eines Fußballvereins, der ein Hallenfußballturnier für Mannschaften der D-Jugend organisiert hatte, wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt, weil ein 11-jähriger Fußballspieler durch ein umgekipptes und unzureichend gesichertes Hallenfußballtor verletzt worden war. Dazu passt dann der OLG Hamburg, Beschl. v. 28.04.2015 – 1 Rev 13/15 -, auf den ich in dem Posting zu AG Detmold ja schon bereits verwiesen hatte; der liegt mir jetzt im Volltext vor.
Er behandelt einen tragischen Unglücksfall ebenfalls im Jugendfussball. Der Angeklagte war Fußballtrainer einer C-Jugendmannschaft. Am 17.05.2013 wies er nach dem Training gegen 20.00 Uhr, als die Mannschaft den Platz bereits verlassen hatte, seine Spieler darauf hin, dass die nicht zum ersten Mal zu Trainingszwecken auf die Pfosten gekippten, jeweils knapp 200 kg schweren Fußballtore wieder „zusammen aufgestellt“ werden müssten. Einen ausdrücklichen Hinweis, dass die Tore nur unter seiner Aufsicht aufgestellt werden dürfen, erteilte der Angeklagte nicht. Nach dieser Aufforderung begab sich der Angeklagte in einen Geräteraum. Der 13-jährige F drängte daraufhin den 14-jährigen G und den 12-jährigen S dazu, die Tore schnell aufzustellen. F lief sodann – gefolgt von G und S – in Richtung eines Tores, vor dem der 7-jährige, nicht zur Mannschaft gehörende Geschädigte E mit einem Freund Fußball spielte. Nachdem F den E vergeblich aufgefordert hatte wegzugehen, hob er das Tor an. Als dieses bis zum Kipppunkt angehoben war, setzte die Hebelwirkung ein und das Tor schnellte in die aufrechte Position zurück, ohne dass F das Tor noch aufhalten konnte. E wurde von der Querverstrebung am Kopf getroffen und mit diesem zwischen Boden und Querverstrebung eingeklemmt. Er verstarb wenige Stunden später an den Folgen seiner Verletzungen.
Das AG hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen (§ 222 StGB) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte beim OLG Hamburg Erfolg. Das OLG nimmt zu den Sorgfaltspflichten Stellung:
„Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt bestimmen sich bei alledem nach den Anforderungen, die bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind (BGH, Urt. vom 19. April 2000 – 3 StR 442/99, NJW 2000, 2754, 2758; BGH, Urt. vom 13. März 2003 – 2 StR 239/02, NStZ 2003, 657, 658; BGH, Urt. vom 4. September 2014 – 4 StR 473/13, NJW 2015, 96, 98). Ob der Täter sorgfaltswidrig gehandelt hat, muss in allgemeiner Form durch Abwägung aller rechtlich relevanten Belange unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles bestimmt werden. Dabei dürfen sozial anerkannte Tätigkeiten, wie etwa im Sport, nicht so eingeschränkt werden, dass sie ihres eigentlichen Wesens entkleidet werden (BayObLG, Urt. vom 8. November 1960 – RReg 3 St 83/1960, JR 1961, 72, 739; LK-Vogel, 12. Aufl., § 15 Rn. 216).
2. Vor diesem Hintergrund sind die Sorgfaltspflichten eines ehrenamtlichen Übungsleiters anhand von Verhaltensregeln der Sportverbände, des geistig-sittlichen Reifegrades der Teilnehmer und den zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten sowie mit Blick darauf zu bestimmen, dass der Übungsleiter ehrenamtlich eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit entfaltet.
a) Sorgfaltspflichten können dabei durch Verhaltensregeln der Sportverbände als Regelwerk ohne Rechtsnormqualität vorgegeben sein, die zwar keine verbindliche Kraft gegenüber der Allgemeinheit entfalten, aber wichtige Anhaltspunkte dafür bieten können, welche sichernden Maßnahmen zur Vermeidung von Unfällen nach der allgemeinen Lebenserfahrung notwendig erscheinen und was insoweit geboten ist (vgl. LK-Jähnke, a. a. O., Rn. 5; LK-Vogel, a. a. O., Rn. 219 f; Schroeder/Kauffmann, Sport und Recht, S. 21, 26 f).
b) Maßgeblich für den Pflichtenmaßstab eines Übungsleiters ist zudem der geistig-sittliche Reifegrad der Teilnehmer zum Tatzeitpunkt. Neben der Dauer der Mitgliedschaft der Teilnehmer in einer Mannschaft ist dabei namentlich in den Blick zu nehmen, wie die Mannschaftsmitglieder untereinander ihre Verantwortlichkeit einschätzen und wie eingespielt sie aufeinander sind. Von Bedeutung ist ferner die bisherige Regelkonformität der Teilnehmer gegenüber Aufforderungen des Übungsleiters sowie der Aspekt, dass Jugendliche auch in Sportvereinen eine zunehmende Selbstständigkeit und Verantwortungsübernahme erlernen sollen.
c) Kommen – wie hier – nicht an dem Training beteiligte Dritte zu Schaden, ist maßgeblich, inwieweit deren Hinzutreten vorhersehbar war. Dabei ist namentlich zu berücksichtigen, wie das Trainingsgelände nach außen abgegrenzt und gegen den Zutritt Dritter gesichert ist, insbesondere, ob diesen rechtlich der Zutritt gestattet ist und ob diese sich dort üblicherweise aufhalten.“
Eine Entscheidung, die m.E. im ehrenamtlichen Bereich für die dort Tätigen eine gewisse Entlastung bringt. Will man nämlich überhaupt noch sicher stellen, dass in der Vereinsarbeit (auch) ehrenamtliche Übungsleiter tätig sind, wird man bei den bei der Prüfung einer Sorgfaltspflichtverletzung zu berücksichtigen Faktoren auch einen ehrenamtlichen Charakter der zu beurteilenden Tätigkeit nicht aus dem Auge verlieren dürfen. Das OLG hat im Übrigen nicht aufgehoben und frei gesprochen, sondern aufgehoben und „nur“ zurückverwiesen. Es erscheine nicht ausgeschlossen, dass das nächste Tatgericht ausreichende Feststellungen für einen Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung werde treffen können. In dem Zusammenhang formuliert das OLG mit: „ – sollte es zwingend zu neuer Hauptverhandlung kommen müssen –“. Ein deutlicher Hinweis, der m.E. in Richtung Einstellung nach § 153 a StPO zielt.
Vielen Dank für das Einstellen des Urteils.
Wenn man selbst ehrenamtlich tätig ist grübelt man natürlich über solche Urteile nach.
Hallo Herr Burhoff, mein Sohn(18) beginnt nach den Sommerferien ein erstes Ehrenamt als Trainer einer Bambinimannschaft (6-jährige) in Köln. Er wurde von dem Verein sehr gut auf alle sportlichen Aspekte vorbereitet und wird auch zukünftig geschult. In Sachen Aufsichtspflicht und Haftungsfragen herrschte aber Stillschweigen. Das könnte daran liegen, dass es Fußballvereine schwer haben, gute Jugendtrainer zu finden. Und die Wenigen will man mit diesem abschreckenden Thema nicht vergraulen. Hier herrscht wohl das Rheinische Grundgesetz, Artikel 2: Et kütt wie et kütt. („Es kommt, wie es kommt.“) und Artikel 3: Et hätt noch emmer joot jejange. („Es ist bisher noch immer gut gegangen.“). Vielleicht würde hier schon ein praxisbezogenes Regelwerk der Aufsichtspflichten helfen?!
Sportliche Grüße
Markus Weins
was verstehen Sie unter „praxisbezogenes Regelwerk der Aufsichtspflichten „?
Vielleicht so etwas wie: „Typische Haftungsfällen für Jugend-Trainer, wie man sie umgeht und wie man sich im Ernstfall richtig verhält“. Am besten mit echten Fallbeispielen „aus dem Leben“ veranschaulicht. Die Broschüre könnte vom DFB herausgegeben und kostenlos an alle Fußballvereine zur Weitergabe an die Jugend-Trainer verteilt werden. Falls erforderlich, könnte die Broschüre von Versicherungen durch Anzeigen finanziert werden. So etwas in der Art vielleicht?!