Der Kollege Noack hat vor kurzem von einem von ihm erstrittenen Urteil des AG Parchim berichtet (vgl. Geblitzt von der Vetro GmbH – Freispruch!), in dem dieses seinen Mandanten vom Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung frei gesprochen hat, offenbar weil die Messdaten von einer privaten Firma auswertet worden sind. Das Urteil des AG Parchim kenne ich (noch) nicht, mir ist aber von einem anderen Kollegen das AG Kassel, Urt. v. 14.04.2015 – 385 OWi – 9863 Js 1377/15 – übersandt worden.
Das hat den Betroffenen dort ebenfalls vom Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung frei gesprochen. Nach den Feststellungen des AG erfolgte die Auswertung der Messdaten, die aus einer eine stationären Geschwindigkeitsüberwachungsanlage 5350 der Firma Jenoptik stammten, ebenfalls faktisch durch die Fa. Jenoptik, ohne dass die Ergebnisse von der Behörde überprüft wurden. Das führt nach Auffassung des AG zur Unverwertbarkeit, also zu einem „Beweisverwertungsverbot“:
„Diese Umstände führen dazu, dass vorliegend faktisch ein Privatunternehmen die alleinige Auswertung der Datensätze übernommen hat.
Hier ist zunächst zu berücksichtigen, dass eine Geschwindigkeitsmessung im Rahmen eines Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahrens ureigene hoheitliche Aufgabe ist. Es ist daher völlig unverständlich, warum die Ordnungsbehörde ihre ureigene Aufgabe an ein Privatunternehmen vollständig delegiert und dieses nicht einmal überprüft. Unter Berücksichtigung der Angaben des Zeugen, dass das Privatunternehmen lediglich dann Geld für seine Arbeit bekomme wenn das Messergebnis verwertbar sei, ist hierfür der einzig nachvollziehbare Grund darin erkennbar, dass die Ordnungsbehörde die Delegation ihrer eigenen Aufgaben deshalb unternimmt, um eigene Kosten zu sparen. Hierbei verkennt die Ordnungsbehörde jedoch, dass es sich bei einer Geschwindigkeitsüberwachungen nicht um ein Erwerbsgeschäft handelt mit welchem ein Gewinn erworben werden soll, sondern einzig und allein um eine Maßnahme zur Sicherstellung der Sicherheit im öffentlichen Straßenverkehr.
Völlig unverständlich wird diese Situation spätestens dann, wenn man berücksichtigt, dass das hier faktisch auswertende Privatunternehmen, welches als GmbH satzungsgemäß ein Gewinnstreben unterliegt, lediglich dann einen monetären Ertrag für seine Arbeit erhält, wenn die Messung als verwertbar eingestuft wird. Die Entscheidung, ob die Messung verwertbar ist oder nicht, oblag vorliegend jedoch faktisch dem Unternehmen selbst. Das hierdurch entstehende Eigeninteresse an dem Ergebnis der Auswertung der Messung stellt ein Interessenkonflikt dar, der im Rahmen einer hoheitlichen Messung nicht zu akzeptieren ist.
Unter Berücksichtigung dieser Sachlage konnte das Gericht keine hinreichende Überzeugung davon finden, dass die Messergebnisse, wie sie dem Gericht von der Ordnungsbehörde vorliegend präsentiert wurden, unverändert sind. Ohne eine entsprechende Überzeugungsbildung dahingehen sieht sich das gilt jedoch nicht in der Lage den Betroffenen entsprechen des Bußgeldbescheids zu verurteilen.“
Ring frei zur nächsten Runde? Na ja, jedenfalls wird man das bei Jenoptik nicht so gerne lesen. Und: ich bin mal gespannt, ob das OLG Frankfurt sich äußern muss, ob also die Staatsanwaltschaft in die Rechtsbeschwerde geht.
Im Ergebnis ist die Entscheidung sehr zu begrüßen, ob sie im Fall des Falles beim OLG hält darf/muss aber wohl bezweifelt werden.
Ein Satz wie „Auch konnte der Zeuge nicht mehr überprüfen, ob die bearbeiteten Daten noch aus einem unbeschädigten Datensatz stammten oder ob diese Daten durch Jenoptik manipuliert wurden.“ bietet mE durchaus Angriffsfläche. Ein „ergebnisorientiert“ handelnder Senat wird dies kaum schlucken, sondern stattdessen dem AG-Kollegen vorhalten, er hätte ggf. vorhandenen Anhaltspunkten für eine Manipulation nachgehen müssen.
Ich habe auch noch so ein Verfahren vor dem AG Weissenfels offen. Meiner ersten Argumentation von der vut zu ES 3.0 mochte der Richter nicht ohne weiteres folgen. Jetzt ist ein zweiter Gutachter dran. Über das Ergebnis werde ich berichten.