Das NSU-Verfahren beim OLG München wird sicherlich nicht nur wegen seines Inhalts und seiner Dauer Rechtsgeschichte schreiben, sondern: Es schreibt auch „Gebührengeschichte“. Über den OLG München, Beschl. v. 09.09.2013 – 6 St (K) 1/13 betreffend den Vorschuss auf eine Pauschgebühr hatte ich ja schon berichtet (vgl. Das Sonderopfer des Pflichtverteidigers – bei 6,49 €/Stunde nicht?). In die Kategorie der „bemerkenswerten“ gebührenrechtlichen Entscheidungen des Einzelrichters des Senats gehört m.E. auch der OLG München, Beschl. v. 04.08. 2014 – 6 St (K) 22/14, der sich mit dem Anfall der Terminsgebühr für einen sog. „geplatzten Termin“ (Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG) befasst.
Grundlage der FehleEntscheidung war folgender Sachverhalt: Im Verfahren waren Hauptverhandlungstermine für den 26., 27. und 28.05.2014 anberaumt. Einer der Pflichtverteidiger, in Köln ansässig, hielt sich bereits wegen des Hauptverhandlungstermins vom 26.05.2014 am 26.05.2014 in München auf. An diesem Tag wurde der Hauptverhandlungstermin vom 27.o5.2014 abgesetzt und der Rechtsanwalt abgeladen. Der Pflichtverteidiger hat dann später beantragt, für die Teilnahme an der Hauptverhandlung in der Zeit vom 06.05. 2014 bis zum 05.06. 2014 (110. bis 119. Hauptverhandlungstag) gesetzliche Gebühren festzusetzen. Dabei hat er auch für den ausgefallenen eigentlichen 116. Hauptverhandlungstag am 27.05.2014 eine Terminsgebühr Nr. 4121 VV RVG in Ansatz gebracht. Diese ist nicht gewährt worden. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat das damit begründet, dass die Abladung am 26.05.2014 rechtzeitig erfolgt sei. Für den Anfall der Gebühr genüge nicht die Anreise zum Termin, mit der Absicht, an diesem teilzunehmen. Die dagegen gerichtete Erinnerung des Rechtsanwalts hatte keinen Erfolg.
Das OLG befasst sich zunächst noch einmal, mit der Frage, wann grundsätzlich eine Gebühr für einen „geplatzten Termin“ entstehen kann. Und: Wie nicht anders zu erwarten: Es zementiert seine Sinn und Zweck der Vorschrift widersprechende Auffassung, dass das Entstehen der Terminsgebühr von der Teilnahme an bzw. dem Erscheinen zu einem anberaumten Termin abhängig ist. Zu einem Termin erscheine ein Rechtsanwalt aber (nur), wenn er im Gerichtsgebäude mit dem Ziel der Teilnahme an dem Gerichtstermin körperlich anwesend ist (OLG München RVGreport 2008, 109 = NStZ-RR 2008, 159 = RVGprofessionell 2008, 104 = AGS 2008, 233 = StRR 2008, 199 = NJW 2008, 1607 = JurBüro 2008, 418 m. abl. Anm. Kotz; Beschl. v. 14.o3.2014 – 6 St (K) 5/14; Beschl. v. 19. 7. 2013, 6 St (K) 15/13). So weit – zwar nicht so gut, aber alles andere als diesen Beton hätte mich überrascht. Dazu ist auch schon manches gesagt, es bringt nichts, es zu wiederholen. Es interessiert offenbar nicht.
Viell schlimmer finde ich dann die Argumentation des OLG zur „rechtzeitigen Abladung“, die dahin geht: Selbst wenn der Verteidiger im Gericht erschienen wäre, wäre die Terminsgebühr nicht angefallen, da dem Verteidiger zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sei, dass der Termin rechtzeitig abgesetzt worden war. Der Hauptverhandlungstermin vom 27.05.2014 wurde durch Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 26.05.2014 abgesetzt worden; die Prozessbeteiligten seien am 26.05. 2014 zwischen 13:21 Uhr und 15:42 Uhr per Telefax abgeladen worden. Der Rechtsanwalt stehe auf dem Sendeprotokoll an zweiter Stelle; der Sendevermerk trage den Kommentar „ok“. Es obliege dem Rechtsanwalt sicherzustellen, dass er von eingehenden Telefaxschreiben zeitnah Kenntnis nehmen könne. Allein die Anreise zu den Terminen vom 26., 27. und 28.05.2014 könne eine Terminsgebühr nicht begründen, so dass es nicht mehr darauf ankomme, ob der Antragsteller mit der Anreise zum 26.05. 2014 zugleich für die Folgetermine am 27. und 28.05.2014 angereist sei.
Dazu an dieser Stelle (nur). Wenn man für den Anfall der Terminsgebühr die Frage stellen will/muss, wann der Rechtsanwalt zu einem Termin angereist ist, dann will das OLG offenbar an der Stelle (demnächst) „das Fass aufmachen“ und in vergleichbaren Fällen sagen, die Anreise zu einem ersten von drei nacheinander terminierten Hauptverhandlungsterminen sei nicht zugleich auch die Anreise zu dem zweiten und dritten. Wie – bitte schön – soll der Rechtsanwalt dann zu diesen Terminen anreisen? Das muss das OLG dann aber auch sagen, wenn man nicht die Gebühr Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG, die dem OLG, was m.E. deutlich erkennbar ist, nicht schmeckt, nicht ad absurdum führen will.Damit korrespondieren die für mich nicht nachvollziehbaren, wenn nicht sogar zynischen, zumindest aber besonders bitteren Ausführungen des OLG zur Rechtzeitigkeit der Abladung. Denn danach gilt: In – dem hier entschiedenen Fall – vergleichbaren Fällen soll auch die Abladung, die den Rechtsanwalt erst vor Ort erreicht, immer (noch) rechtzeitig sei. Folge: Der Rechtsanwalt kann in diesen Fällen also nie die Festsetzung einer Terminsgebühr nach erreichen, weil ihm immer Satz 3 entgegen gehalten werden kann und im Zweifel auch, wie schon die Argumentation der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zeigt, auch entgegen gehalten wird. Damit befindet sich der Rechtsanwalt in einem Teufelskreis und die Terminsgebühr Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG ist Makulatur, aber die (bayerische) Staatskasse ist auf der sicheren Seite.
Welche Möglichkeiten bleiben dem Pflichtverteidiger? Nun, er hat – wenn man dem OLG München folgt – keinen andere Möglichkeit, als den nutzlosen Zeitaufwand – später oder über einen Vorschussantrag – im Rahmen einer Pauschgebühr nach § 51 RVG geltend zu machen. Ob das wirklich hilft oder die „Rettung“ ist, wird man sehen. Denn zur Pauschgebühr hört man aus München auch nichts unbedingt Gutes (s.o.).
In punkto Pausch und Vorschüsse auf Pausch hat sich das BVerfG bereits zu Wort gemeldet. Gerade dieses Verfahren würde sich anbieten, um die angemessene Vergütung eines Pflichtverteidigers und die Entschädigung des verbundenen Sonderopfers weiter zu klären.
die Hoffnung stirbt zuletzt 🙂
Sicherlich, diese Praxis (Verhandlungstage höchst kurzfristig mit einem Lächeln und der Bemerkung „Freuen Sie sich doch über die gewonnene Zeit!“) ist auch mir nur all zu gut bekannt und ein riesiger Ärgernis, insbesondere mit Blick auf die meist weit im Voraus organisierte Terminplanung und die faktisch verlorene Arbeitszeit. In Fällen wie dem hier zitierten aus München würde ich jedoch – zumindest was die Gebühren angeht – jedenfalls die volle Abreise und erneute Anreise in Ansatz bringen. Bei solch kurzfristigen Buchungen für Zug oder Flugzeug dürfte das wohl mit der abgelehnten „kleinen“ Terminsgebühr annähernd gleich kommen (bei wesentlich schlechterer Ökobilanz…). Wenn ich auch als Anwalt damit dann wesentlich weniger selbst verdient habe dürfte die Kostenbelastung für die Staatskasse mindestens gleich hoch sein. Kurzum: Offensichtlich wieder eine Entscheidung mit dem unausgesprochenen Ziel, die Verteidigung kurz zu halten ohne jeden Blick auf die tatsächlich ökonomisch sinnvolle Herangehensweise.
Wen interessiert schon eine „ökonomisch sinnvolle Herangehensweise“? ich erinnere nur an das Hick-Hack um die Berechnung der Längenzuschläge für den Pflichtverteidiger. Da verbringen Rechtspfleger sicherlich häufig mehrere Arbeitstage damit, die „tatsächlichen Hauptverhandlungszeit“ zu berechnen und Pausenlängen festzustellen, um dann am Ende 2 oder 3 Längenzuschläge nicht festsetzen zu müssen. Ökonomisch sinnvoll?
Zu den Reisekosten im o.a. Beschluss. Daran hat man gedacht – wie sind ja schließlich beim OLG:
„Soweit der Antragsteller darauf hinweist, dass er zur Vermeidung deutlich höherer Reisekosten am 27.5.2014 in München geblieben und nicht nach Köln zurückgereist ist, vermag dieser Gesichtspunkt eine Terminsgebühr für den 27.5.2014 nicht zu begründen. Der Vergütungsanspruch nach dem RVG muss sich an den tat-sächlichen Gegebenheiten orientieren, hypothetische Geschehensabläufe dürfen für die Frage des Vergütungsanspruchs keine Rolle spielen (OLG München NStZ-RR 2008, 159).“
Im Übrigen wird man dem Pflichtverteidiger ansonsten ja sicherlich gern entgegenhalten: Er sei ja vor Ort gewesen, so dass Reisekosten für den aufgehobenen Termin nicht entstanden seien.
Also: Für den 27.05.2014 war ein Fortsetzungstermin anberaumt. Der Termin ist aufgehoben worden. Der Verteidiger ist am Vortag nachmittags über sein Büro abgeladen worden. Am 27.05. sitzt er folglich wieder an seinem Schreibtisch in Köln (darauf verwette ich jedenfalls meine Telekommunikationspauschalen eines Jahres). Aus welchem sachlichen Grund sollte er dennoch eine Terminsgebühr für den 27.05. erhalten?! (Keine rhetorische, sondern ernstgemeinte Frage).
Und wenn kein sachlicher Grund zu finden wäre: Müsste dieser Umstand nicht bei der Auslegung der Gebührenvorschriften nach ihrem Zweck berücksichtigt werden?
Ich ziehe mal den Zorn der Strafrechtler auf mich und halte die Entscheidung gebührenrechtlich für richtig: Da die Abladung noch am ersten der drei Tage erfolgt ist, kann der Verteidiger gebührenrechtlich nicht anders behandelt werden, als wenn er von vornherein nur für den ersten und dritten Tag geladen worden wäre. In diesem Falle kann er entscheiden, ob er einen Tag in München verweilt oder zwei Mal anreist. Ich wäre hier gar nicht auf die Idee gekommen, eine Terminsgebühr zu beantragen.
Interessant wäre aber folgende Variante: Der Anwalt nutzt den freien Tag und reist nach dem ersten Termin wieder ab und am Abend des Folgetages (bzw. dem Morgen des dritten Tages) wieder an. Mit Flugzeug und Taxi ist Köln – München wohl in 2 h zu schaffen. Wenn der Verteidiger in Erwartung von drei aufeinanderfolgenden Terminen ein Hotel für 3 Tage gebucht hätte, müsste ihm dann der Mehraufwand insgesamt (Hotelkosten und zweimalige Anreise) erstattet werden oder würde der RPfl. eine Position streichen? Und welche?
Sie meinen also ernsthaft, dass der Verteidiger am Nachmittag des 26.05.2014 wieder von München nach Köln gefahren ist – mit dem ICE gute 5 Stunden mit dem Flieger auch nicht viel schneller -, um dann am 27.05.2014 wieder von Köln nach München zu reisen, um am 28.05.2014 pünktlich zum nächsten HV-Termin in München zu sein? Und wegen des Sinn und Zwecks der Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG würde ich mal einen Blick in einen einschlägigen Kommentar empfehlen. Ich kenne da ganz gute.
Im Übrigen ergibt sich aus dem Beschluss, dass der Verteidiger nicht abgereist ist.
@ Th.Koch: Vielleicht schauen Sie erst mal in die Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG. Im Strafverfahren ist ausdrücklich eine Gebühr für einen sog. „geplatzten Termin“ vorgesehen. Und München/Köln dauert mit Zu- und Abgang länger als 2 Stunden. Man braucht ja schon fast eine Stunde um zu diesem auf dem Felde liegenden Flughafen München zu kommen.
Wie schön, dass ich nur so doof bin, wie das OLG München – die Gesellschaft halte ich aus.
Zunächst: Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG erfordert das „Erscheinen“ zu einem Termin. Daran fehlt es hier schon deshalb, weil der Verteidiger behufs Erscheinens zu dem Termin am 26.05. bereits vor Ort war, nicht wegen des Termins am Folgetag.
Ansonsten soll man Vorschriften immer bis zum Ende lesen. Wenn ich es recht sehe, hat das OLG München letztlich entscheidend auf Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 3 VV RVG abgestellt. Die Frage ist daher allein, was eine rechtzeitige Abladung in diesem Falle ist.
Im Ergebnis kann man allein an eine analoge Anwendung denken, wenn der Verteidiger zunächst nicht wieder abgereist ist (also „Erschienen blieb“) und ihn erst dann mit zeitlicher Verzögerung die Aufhebungsnachricht erreichte.
Herr Kollege, Sie können sicher sein, dass ich die Vorschriften gelesen habe. Ich habe jetzt keine Zeit und keine Lust, die ganze Problematik des „geplatzten Termins“ hier zu erörtern. Schauen Sie einfach in einem gängigen Kommentar nach, da sind die von Ihnen angesprochenen Fragen alle behandelt.
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