Wer hat als Verteidiger/Rechtsanwalt das Szenario noch nicht erlebt? In einem (Straf)Verfahren wird ein Sachverständigengutachten erstattet, das Grundlage von Ermittlungen gegen einen Beschuldigten wird, gegen den dann auch Zwangsmaßnahmen angeordnet werden. Später wird das Verfahren eingestellt/der Beschuldigte frei gesprochen und dann geht es um die Frage: Haftet ggf. der Sachverständige, wenn sein Gutachten „falsch“ war.
Ein ähnliches Szenario liegt dem BGH, Urt. v. 06.03.2014 – III ZR 320/12 – zugrunde: Da hat der Kläger den Beklagten unter dem Vorwurf der Erstellung eines fehlerhaften Gutachtens auf Schadensersatz und Geldentschädigung wegen der Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Anspruch. Der Kläger ist Chefarzt für Innere Medizin am S. -Hospital in W. und dessen stellvertretender ärztlicher Direktor. Der Beklagte ist beamteter Professor für Rechtsmedizin und war Leiter des Instituts für Forensische Toxikologie am Zentrum der Rechtsmedizin des Klinikums der J. -Universität in F. Der Beklagte hatte gemeinsam mit zwei Kollegen ein Gutachten über die Ergebnisse einer toxikologischen Untersuchung der bei einer Leichenöffnung einer 91-Jährigen asservierten Körperflüssigkeiten und -gewebe erstattet. Das wird dann in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Mordes gegen den Kläger verwendet.. Es ergeht ein Haftbefehl gegen den Kläger und ein Durchsuchungsbeschluss. Der Arbeitgeber wird unterrichtet und in Zeitungsartikeln wird berichtet. Später wird das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Im Verfahren geht das um Entschädigung. LG und OLG haben zugesprochen, der BGH hat die Klage abgewiesen, und zwar mit folgenden Grundsätzen:
- § 839a BGB findet im Wege der Analogie im Allgemeinen auch auf die Haftung eines Sachverständigen Anwendung, der sein Gutachten in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft erstattet.
Dazu:
„b) In Übereinstimmung mit der überwiegenden Ansicht im Schrifttum (Erman/Hecker, BGB, 13. Aufl., § 839a Rn. 3; MüKoBGB/Wagner, 6. Aufl., § 839a Rn. 7; NK-BGB/Huber, 2. Aufl., § 839a Rn. 18; Palandt/Sprau, BGB, 73. Aufl., § 839a Rn. 2; Staudinger/Wöstmann, BGB [2013], § 839a Rn. 36; Bayerlein in Bayerlein, Praxishandbuch zum Sachverständigenrecht, 4. Aufl., § 11 Rn. 4 und § 34 Rn. 2; Kilian, ZGS 2004, 220, 222 f; Lesting, R&P 2002, 224, 227; Thole, Die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen nach § 839a BGB, S. 251 f; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl., Rn. 747; a.A. Soergel/Spickhoff, BGB, 13. Aufl., § 839a Rn. 16; Brückner/Neumann, MDR 2003, 906, 907; Zimmermann, BuW 2003, 154, 155) ist § 839a BGB jedoch analog auf die Gutachtenerstattung in einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren anzuwenden. „
- Aber: § 839 BGB ist gegenüber § 839a BGB die vorrangige Regelung.
Dazu:
„In seinem Anwendungsbereich verdrängt § 839 BGB als vorrangige Spezialregelung konkurrierende Ansprüche aus §§ 823 ff BGB (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1960 – GSZ 1/60, BGHZ 34, 99, 104; Senatsurteile vom 18. Dezember 1972 – III ZR 121/70, BGHZ 60, 54, 62 f und vom 5. April 1990 – III ZR 4/89, NJW-RR 1990, 1500, 1501; Senatsbeschluss vom 1. August 2002 – III ZR 277/01, NJW 2002, 3172, 3173 f) sowie aus § 839a BGB (Staudinger/Wöstmann aaO § 839a Rn. 39 f; vgl. auch Senatsurteil vom 9. März 2006 – III ZR 143/05, BGHZ 166, 313, 316 Rn. 8). Im Rahmen der Haftung nach § 839 BGB tritt gemäß Art. 34 Satz 1 GG – im Wege der befreienden Haftungsübernahme – der Staat beziehungsweise die jeweilige Anstellungskörperschaft als Anspruchsgegner des Geschädigten an die Stelle dessen, der in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt hat; in diesem Falle scheidet eine persönliche Haftung des Amtsträgers gegenüber dem Geschädigten aus (Senat, Urteil vom 6. Juli 1989 – III ZR 79/88, BGHZ 108, 230, 232; Beschluss vom 1. August 2002 aaO und Urteil vom 22. Juni 2006 – III ZR 270/05, NVwZ 2007, 487 Rn. 6). …..
-
Die von der Staatsanwaltschaft veranlasste Begutachtung durch den Leiter eines rechtsmedizinischen Instituts im Zusammenhang mit Todesfallermittlungen gemäß §§ 87 ff StPO erfolgt in Ausübung eines öffentlichen Amtes im Sinne von Art. 34 Satz 1 GG.
Dazu:
b) Der Beklagte hat im vorliegenden Fall in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt. ……..
bb) Die Leichenöffnung sowie die nachfolgenden Untersuchungen durch den Leiter eines rechtsmedizinischen Instituts (oder einen von ihm beauftragten Arzt) stellen sich als Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe dar. …..
Und was heißt das jetzt praktisch?
Steht doch in der verlinkten Entscheidung.
Erinnert mich ein wenig an den Stuttgarter „Ohrengutachter“-Fall.
Unklar in diesem Urteil ist, ob der Leiter der forensischen Toxikologie des rechtsmedizinischen Institutes Uni Frankfurt die Berufsbezeichnung CHEMIKER trägt, oder unter dem vom Institut angefertigten Gutachten ein CHEMIKER die handschriftliche Verantwortung trägt.
Gemäß StPO §91 muß ein CHEMIKER als natürliche Person, oder Institut als CHEMIKER und juristische Person das Gutachten über den Nachweis von 6-Azetyl-Morphin erbringen. Der angeschuldigte Professor für forensische Toxikologie war Arzt, und kein CHEMIKER. Die StPO ist nach meiner Auffassung eindeutig, sie gibt nicht vor, daß auch andere Personen, oder ähnliche Berufsgruppen wie zB Chemotechniker, MTA, Ingenieur, Biologe, Apotheker, etc von der StPO als CHEMIKER zugelassen sind. Die RiStBV Nr 35 gibt hierzu keine einschließende Auskunft.
CHEMIKER ist eine Person, die ein universitäres Studium der CHEMIE mit Zwischenprüfung als Vordiplom-CHEMIKER abgeschlossen hat, von einer Regelstudiendauer von 6 Jahren (einschließlich Diplom-Arbeit).
Der Geschädigte hätte hier die Qualifikation des Angeschuldigten genauer beleuchten müssen, ebenso, ob das Institut für dieses Prüf-Verfahren (DIN EN ISO 17025) bei der DAKKS akkreditiert ist. Die Akkreditierung kann man im Internet herunterladen. Allein die Akkreditierung eines GC/MS /MS (Gas-Chromatographie, gekoppelt an quadropol Massenspektrometer) oder LC/MS Verfahrens allein reicht nicht aus. Es bedarf hier der genauen SOP-Prüfvorschrift, mit Verifizierung & Validierung aus postmortalem Gewebe – und nicht nur auf dem Papier. Einige Institute für Rechtsmedizin behaupten ganz bewußt falsche Tatsachen über die Akkreditierung (DAKKs) ihres Personals, Prüf-Verfahren für postmortale Forensik, und Prüf-Stoffe, weil niemand konterolliert. Das geht soweit bis zur aktiven Falschbehauptung. Für jeden Prüf-Stoff muß ein akkreditiertes Prüf-Verfahren hinterlegt sein, das festlegt, ob das Verfahren für postmorten oder antemortem akkreditiert ist. Diese Frage sollte jeder, der angeschuldigt wird, unter dem Gesichtspunkt der ISO DIN EN 17025 und DIN EN 17000 von einem Chemiker begutachten lassen.
Beliebt unter „forensischen Toxikologen“ sind zB völlig sinnentleerte chemisch-toxische Untersuchungen, um Prüf-Verfahren, die noch nicht etaliert sind, auf Kosten der angeschuldigten Person zu akkreditieren, zB die hochleistungs-nano-HPLC-Massenspektroskopie von Insulin aus Gewebe, in Gegenwart einer Hyperglykemia (=Überzuckerung). Das ist besonders intelligent, wird aber immer wieder praktiziert. Diese Untersuchungen werden zB von der Uni Köln durchgeführt, allerdings nur aus lebendem Gewebe (=ante-mortem). Für postmortale Untersuchungen hat die Uni-Köln keine Akkreditierung. Auch an antemortale / postmortale Akkreditierung sollte ein Rechtsanwalt denken.