Wenn es der Wahrheitsfindung dient: Das Aufstehen bei der Urteilsverkündung?

© m.schuckart - Fotolia.com

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Wer kennt ihn nicht, den Satz von Fritz Teufel aus dem Jahr 1967 zum Vorsitzende in seinem Verfahren, der ihn aufgefordert hatte, aufzustehen, nämlich: „Wenn es der Wahrheitsfindung dient“. Und es das (inzwischen) geflügelte Wort gilt auch heute noch. Ob nun das Nichtaufstehen in der Hauptverhandlung eine Ungebühr i.S. von § 178 Abs. 1 GVG darstellt oder nicht, damit hat sich vor einiger Zeit der OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.06.2013 – 2 Ws 12/13 – befasst (vgl. auch schon aus dem Jahr 2012 der OLG Celle, Beschl. v. 17.01.2012 – 1 Ws 504/11  und dazu Nichtaufstehen in der Hauptverhandlung – 5 Tage Ordnungshaft?). Auch das OLG Brandenburg bleibt allerdings – wie übrigens auch das OLG Celle – eine Begründung für seine Auffassung, nämlich, dass es sich um Ungebühr handelt, schuldig.

„2. Das Amtsgericht hat zu Recht eine Ungebühr in der Sitzung darin gesehen, dass sich der Angeklagte trotz Aufforderung geweigert hat, sich zur Urteilsverkündung zu erheben. Eine Ungebühr im Sinne von § 178 Abs. 1 GVG ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung und deren justizgemäßen Ablauf. Hierzu gehört auch das Beachten eines Mindestmaßes von äußeren Formen, wobei Ordnungsmittel insbesondere als Antwort auf grobe Verletzungen oder bewusste Provokationen verhängt werden dürfen (Karlsruher Kommentar-Diehmer, StPO 6. Aufl. § 178 GVG Rdnr. 1). Auch wenn das Erheben sämtlicher in der Hauptverhandlung anwesender Personen bei Eintritt des Gerichts zu Beginn der Sitzung und zur Urteilsverkündung gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, gehört dies zur äußeren Form in der Hauptverhandlung (vgl. Nr. 124 Abs. 2 Satz 2 RiStBV), deren Nichtbeachtung eine Ungebühr im Sinne von § 178 Abs. 1 GVG darstellt (OLG Celle NStZ NStZ-RR 2012, 119). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Betroffene – wie hier der Angeklagte – zuvor entsprechend ermahnt worden ist (OLG Celle, a. a. O.). Angesichts der Art der Ungebühr ist auch die Bemessung des Ordnungsmittels nicht zu beanstanden, sondern angemessen.“

 

8 Gedanken zu „Wenn es der Wahrheitsfindung dient: Das Aufstehen bei der Urteilsverkündung?

  1. RA Herrmann

    Hat die Deutsche Justiz keine größeren Probleme? Das Sitzenbleiben mag ein Ausdruck mangelnden Respekts sein. Wenn dies allerdings die einzige Ungebühr gewesen ist. Da sind lautstarke Zwischenrufe während der Urteilsverkündung deutlich ungebührlicher.

  2. HD

    @ RA Hermanns

    Sie haben offenbar keinen Blick in den verlinkten Beschluss geworfen. Das Sitzenbleiben während der Urteilsverkündung war danach beileibe nicht das Einzige. Wer allen Ernstes erklärt: „Das Gericht gehört auf den Scheiterhaufen!“ – der darf sich halt nicht wundern, wenn er für diesen Spaß hinterher extra zahlt.

    Zur Frage: Sitzenbleiben = Ungebühr?
    Ja, was soll es denn sonst sein, wenn der Betreffende auch ohne weiteres aufstehen könnte, sich aber schlicht trotz Aufforderung mit Blick auf die Üblichkeit weigert? Das leuchtet so unmittelbar ein – eine weitere Begründung wirkte da eher lächerlich.

  3. Pingback: Selbstleseverfahren, Band 32 - Strafakte.de

  4. F. Lorenz

    Der Mandant ist Störenfriede in einer Juristen-Ordnung, in der sich die Anwälte als ‚Organe der Rechtspflege’ eher der staatlichen Obrigkeit zurechnen.
    Norbert F. Pötzl in Folge II in DER SPIEGEL Nr. 50/1989, Seiten 130, 134

    >Das Sitzenbleiben während der Urteilsverkündung war danach beileibe nicht das Einzige. Wer allen Ernstes erklärt: “Das Gericht gehört auf den Scheiterhaufen!” – der darf sich halt nicht wundern, wenn er für diesen Spaß hinterher extra zahlt.

    Wundern darf er sich zwar nicht aber rechtswidrig ist es wahrscheinlich trotzdem, denn man kennt den Kontext nicht und die gewalttätigen Rechtwidrigkeiten, die die Richter evtl. tätigen, bewusst oder unbewusst und teils viel aber viel schlimmer sind und nicht nur einfach nur Worte oder Sitzen oder Stehen, sondern mach mal lebenszerstörend bis zum Tod.

    Bestimmt ist er dafür auch noch zusätzlich durch eine höhere Strafe bestraft worden.

    Wer eine entsprechende schädigende Gewalt als Richter austeilt muss auch nicht schädigenden Worte einstecken können oder eine Nichtschädigung durch einen Angeklagten, der sitzen bleibt und sich darüber vielleicht auch mal Gedanken machen oder nicht?

    Wenn ein willkürlich gewaltausübender Richter einen Angeklagten erzählt „Der Jud muss brennen!“ oder ein gewaltausübender Staatsanwalt in Augsburg einen Angeklagten als “ Arschloch“ bezeichnet, dann ist das keine Ungebühr und auch keine Beleidigung, sondern korrektes verhalten in Tateinheit mit Gewaltausübung.

    >Ja, was soll es denn sonst sein, wenn der Betreffende auch ohne weiteres aufstehen könnte, sich aber schlicht trotz Aufforderung mit Blick auf die Üblichkeit weigert?

    Es könnte auch die Weigerung als Angklagter sein ein Komik-Theather nicht mitzumachen auch aus Form des Protestes. Als „Ungebühr“ wird die „Missachtung des Gerichts“ verstanden.
    Warum sollte gerade ein Angeklagter ein Gericht Achten müssen, besonders wenn er seiner Meinung nach Unschuldig verurteilt wird.
    Ich bin für weniger makabrer Komik im Gerichtssaal besonders im Ansehen der Person, dafür im Gegenzug aber für mehr Qualität.

    Man könnte ihm sogar hinterher vorwerfen, dass er durch positives Handeln sein Einverständnis durch die Achtung des Gerichts an seinem Urteil, erteilt hat.
    Wenn es sich dabei um eine Ungebühr gegenüber gewaltausübenden Richtern handelt, dann sollte man auch den Richtern Odnungsmittel auferlegen, wenn diese den Angeklagten oder Prozessbeteiligte ungebührlich behandeln von denen diese noch nicht einmal gewalttätig behandelt werden.

    Der ehemalige Stuttgarter Oberstaatsanwalt Werner Schmidt-Hieber über den Deal vor Gericht „Handel mit Gerechtigkeit“ in DER SPIEGEL 1993, Seite 78:
    „Ein Lehrer, der heute mit seiner Schulklasse das Gericht besucht, darf sich nicht mit einem einzigen Strafprozeß begnügen: Er wird seinen Schülern zeigen müssen, daß die kaltblütige Pedanterie des Strafverfahrens nur den Armen und Schwachen gilt. Je höher der soziale Status eines Angeklagten, desto menschlicher wird die Justiz. …
    Kaum eine Chance hat der Kleinkriminelle: er ist den Förmlichkeiten der Justiz bis zur Komik unterworfen. Er darf nur nach Aufforderung aufstehen, sich hinsetzen, reden – und wird beliebig unterbrochen.“

    Ich meine, dass man die gesetzlichen Vorschriften dahingehend ändern sollte, dass gerade der Angeklagte nicht aufstehen braucht.

    Es wurde auch schon mal erklärt, dass es eine Störung des Gerichts sei. Wenn es das nicht ist, dann ist es eben die generelle Einstellung des Angeklagten oder es sind andere vorausgegangene Sachverhalte oder oder ….

    Ein ruhig sitzender Angeklagter stört ein Gericht mehr wie ein aufstehender und sich wiederhinsetzender. Als Angeklagter sollte man also besser alle 30 Sekunden mal aufstehen und sich wieder hinsetzen, denn das stört das Gericht nicht so als wenn man sitzen bleibt.
    Was geht in manchen Richtergehirnen vor….

    Der Spiegel 40/1968 30.09.1968 JUSTIZ / UNGEBÜHR Vom Tisch

    Blome-Anwalt Wolfgang Benno Vetter: „Das Sitzenbleiben … berührt weder die Würde des Gerichts, noch stört es die Sitzung.“ Durch das Zeremoniell und „die Unterwerfung des Angeklagten unter gewisse Verhaltensregeln“ habe man Angeklagte meist beeindrucken, wenn nicht gar psychologisch unter Druck setzen wollen. Solche Motive seien heute mit der grundgesetzlich geschützten Menschenwürde und dem Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung unvereinbar.

    Keine Deklassierung sehen die Richter darin, daß der Angeklagte vor Gericht aufzustehen habe „weil diese Pflicht andere Personen im Gerichtssaal ebenso trifft wie ihn“. Überdies habe bei Blomes „Entgleisungen“ ein „allgemeiner Störungsvorsatz“ gewaltet; seine Beschwerde sei mithin zu verwerfen.

  5. Tobias Claren

    Obn es verfolgbar wäre, würde der Angeklagte „Wenn es der Wahrheitsfindung dient“ sagen?

    Und damit indirekt den Richter mit Rudolf Freisler in Verbindung bringt…..

    Gerade als Angeklagter hat man ein moralisches Recht selbst darüber zu entscheiden, ob man aufsteht. Ist ja keine freiwillige Messe die man besucht.

    Genau so wenn man als Angeklagter in Clowns oder sogar KZ-Kluft erscheinen will.
    Die Reaktionen auf Letzteres wären hochinteressant und Amüsant.
    Hier müsste ein Zuscher das Ganze noch heimlich filmen.
    Was übrgiens keine „Straftat“ nach StGB 201 darstellt, wenn der Prozess „öffentlich“ ist.
    Was da Gerichtsmäßig kommen könnte wäre eine andere Sache, aber dafür müsste erst mal nachweisbar sein, welcher der Zuschauer das war. Und die werden ja nicht dokumentiert…..

    Ein paar Sprüche aus dem Heinz-Erhardt-Film wären auch mal interessant.

    Und wenn man schon nicht im Saal das Gericht mit „Scheiterhaufen“-etc. Kommentaren versehen „darf“, könnte man so etwas ja auf einem angeketteten Fahrrad vor dem Gericht zur Schau stellen.

    Und im Saal könnte man ganz sachlich erwähnen, dass man dem Richter und Staatsanwalt den Tod wünsche.
    Oder wenn man weiß dass diese Personen gläubig sind, sagen dass man dafür bete.
    Auch als Atheist, es geht dabei ja darum, was die Zielpersonen glauben…..

    Interessant wäre, ob es irgendwie verfolgbar wäre, wenn man erfolgreich, z.B. im Rahmen einer FaceBook-Veranstaltung (da sieht man öffentlich wer zusagt) dazu aufruft für den Tod einer Person zu beten. Zu einer festen Zeit ganz intensiv daran zu denken, die Person möge sterben.
    Also jetzt nicht Hans Wurst, weil sein Hund einem in den Garten…., sondern schon Richter, Staatsanwalt, oder auch Politiker.

  6. Dr. Heiko Übler

    Frage: Wenn es gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, wie kann man dann Sanktionen dann damit verbinden, wenn gerade der Grundsatz gilt: Alles was nicht verboten ist, ist erlaubt?

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