Dann will ich der Entscheidung des BGH v. 11.04.2013 – 1 StR 563/12 (vgl. dazu An der Belehrung geht nach einer Absprache kein Weg vorbei) noch einen weiteren Beschluss des BGH hinterherschicken, und zwar den BGH, Beschl. v. 15.04.2013 – 3 StR 35/13. In dem wird noch einmal deutlich, welchen Stellenwert der BGH der Überprüfung des im Rahmen einer Verständigung abgelegten Geständnisses einräumt (§ 257c Abs. 1 Satz 2 StPO i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO). Im Verfahren waren mehrere Angeklagte, die unter der Bezeichnung „W. -Radio“ ein Internetradio zur Verbreitung rechtsradikalen Gedankenguts betrieben, wegen der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung als Mitglied bzw. wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit Volksverhetzung, Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zu Freiheitsstrafen verurteilt. Das LG hat bei der Verurteilung der Angeklagten wegen „Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung als Mitglied“ bzw. „Unterstützung einer kriminellen Vereinigung“ und eines Teils der Mitangeklagten wegen zahlreicher mitverwirklichter Äußerungs- und Propagandadelikte unter anderem Feststellungen zu 73 Liedern größtenteils rechtsradikalen Inhalts getroffen, deren textliche Wiedergabe – teilweise in deutscher Übersetzung der englischen Originalfassung – über 35 Urteilsseiten umfasst. Es hat weiter bei einem Großteil der Angeklagten über einen Zeitraum von mehr als einem halben Jahr mit minutengenauer Darstellung der Spielzeiten eine Vielzahl von über das „W. -Radio“ gesendeten Liedern und Äußerungen der Angeklagten nach Datum und Uhrzeit festgestellt. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat es lediglich ausgeführt, die getroffenen Feststellungen beruhten „auf den glaubhaften geständigen Einlassungen der Angeklagten in der Hauptverhandlung, den verlesenen Registerauszügen und den glaubhaften Bekundungen von Zeugen, die insbesondere über den Gang des Ermittlungsverfahrens berichtet haben.
Dem BGH reicht das nicht:
„2. Diese Ausführungen belegen, dass die Strafkammer sich ihre Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten auf unzureichender Basis verschafft hat, was der Senat auch allein auf die Sachrüge zu berücksichtigen hat. Im Einzelnen:
a) Aus dem verfassungsrechtlich verankerten Schuldprinzip folgt im deutschen Strafprozessrecht die Verpflichtung der Gerichte, von Amts wegen den wahren Sachverhalt – die materielle Wahrheit – zu erforschen (§ 244 Abs. 2 StPO, vgl. zuletzt BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, NJW 2013, 1058). Diese Pflicht bestimmt den Um-fang der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung. Die Würdigung der Beweise (§ 261 StPO) bildet wiederum die Grundlage für den Schuldspruch und die Festsetzung der entsprechenden Rechtsfolgen. Die Amtsaufklärungspflicht darf – schon wegen der Gesetzesbindung des Richters (Art. 20 Abs. 3 GG) – nicht dem Interesse an einer einfachen und schnellstmöglichen Erledigung des Verfahrens geopfert und kann nicht zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts gestellt werden (BVerfG aaO).
Es ist daher unzulässig, dem Urteil einen Sachverhalt zu Grunde zu le-gen, der nicht auf einer Überzeugungsbildung unter vollständiger Ausschöpfung des Beweismaterials beruht. Dies gilt auch dann, wenn sich der Angeklagte – unter Umständen aufgrund einer Verständigung – geständig gezeigt hat. Zwar unterfällt auch die Bewertung eines Geständnisses dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung. Das Tatgericht muss aber, will es die Verurteilung des Angeklagten auf dessen Einlassung stützen, von deren Richtigkeit überzeugt sein (BGH, Urteil vom 10. Juni 1998 – 2 StR 156/98, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 31). Es ist deshalb stets zu untersuchen, ob das abgelegte Geständnis mit dem Ermittlungsergebnis zu vereinbaren ist, ob es in sich stimmig ist und ob es die getroffenen Feststellungen trägt (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 7. Februar 2012 – 3 StR 335/11, NStZ-RR 2012, 256). Die Beschränkung der Beweiswürdigung im Wesentlichen auf den bloßen Hinweis, der Angeklagte sei geständig gewesen, genügt insbesondere dann nicht, wenn aufgrund der Komplexität und der zahlreichen Details des festgestellten Sachverhalts Zweifel bestehen können, dass der Angeklagte an das Tatgeschehen eine auch in den Einzelheiten genügende Erinnerung hat (BGH, Beschlüsse vom 7. Februar 2012 – 3 StR 335/11, NStZ-RR 2012, 256 f. und vom 5. Dezember 1995 – 4 StR 698/95, StV 1996, 214, 215).
b) Nach diesen Maßstäben ist die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft, denn das Landgericht hat es ausweislich der Urteilsgründe unterlassen, die Geständnisse der Angeklagten einer näheren Überprüfung zu unterziehen. Damit beruht seine Überzeugung nicht auf einer tragfähigen Grundlage. Insbesondere mit Blick auf die jeweils genauen Texte einer großen Zahl teilweise fremdsprachiger Lieder sowie die Frage, welcher Angeklagte genau bei welcher Moderation welche Lieder zu Gehör brachte, liegt es auf der Hand, dass die Angeklagten sich insoweit nicht an die exakten Einzelheiten des zudem einige Zeit zurückliegenden Geschehens erinnern konnten.„
Also: Auch an der Geständnisüberprüfung geht nach einer Absprache/Verständigung kein Weg vorbei.
Nach derzeitigem Stand der Rechtsprechung ist der Deal die beste Waffe, um „auf Zeit“ zu spielen. Egal worüber man sich einigt, es wird aufgehoben. Und wieder sind 2 Jahre ins Land gegangen.
Sowas gehört zu einer guten anwaltlichen Beratung einfach dazu. Ich denke, der obige Verteidiger hat es daher auch in die Focus-Liste geschafft.
vielleicht meldet er sich ja 🙂
Aha, wenn eine kriminelle Bande zuschlägt, muss sich jeder Beteiligte den Beitrag eines anderen zurechnen lassen. Aber bei einem Naziband(en)-Geständnis kommt es darauf an, dass sich jeder einzelne Nazi erinnert (!), wann er welches Lied mit welchem Inhalt gespielt hat? Vielleicht muss man erst alle Titel öffentlich vorspielen, um sein Erinnerungsvermögen aufzufrischen?
Der BGH hätte einfach den Daumen oder besser die Faust drauf halten können, aber nein …
hat m.E. nichts mit dem Delikt bzw. den Delikten zu tun, sondern:
„genügt insbesondere dann nicht, wenn aufgrund der Komplexität und der zahlreichen Details des festgestellten Sachverhalts Zweifel bestehen können, dass der Angeklagte an das Tatgeschehen eine auch in den Einzelheiten genügende Erinnerung hat“. Und der BGH bezweifelt das eben. Das gilt für andere komplexe und umfangreiche Sachverhalte ebenso, hat also mit einer Nazibande nichts zu tun.