Der Kuss des Musiklehrers als Nötigung

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Bei der kann ich es ja mal versuchen, hatte sich offenbar der der Angeklagte Gitarrenlehrer im Hinblick auf eine seiner Musikschülerinnen gedacht. Die Schülerin hielt von seinen Avancen jedoch nichts und hat das auch klar zum Ausdruck gebracht. Dennoch „holte“ sich der Angeklagte von der Zeugin einen Kuss als er und sie nahe voreinander standen. Das brachte ihm eine Anklage und Verurteilung wegen Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB), die jetzt mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 26.02.2013 – III 5 RVs 6/13 – bestätigt worden ist. Der Angeklagte hatte sich darauf berufen, dass der Tatbestand der Nötigung ein zweiaktiges Geschehen des Inhalts voraussetzte, dass das Opfer erst auf die Nötigungshandlung hin mit einem abwehrenden Verhalten reagieren und der Täter daraufhin mit (erneuter) Gewalt oder Drohung, ein weiteres Verhalten erzwingen müsste. Das hat das OLG verneint:

Kennzeichnend für die Anwendung von Gewalt ist neben einer körperlichen Kraftentfaltung des Täters – an die allerdings nur geringe Anforderungen zu stellen sind – die hierdurch verursachte unmittelbare physische Zwangswirkung auf das Opfer (vgl. insoweit Fischer, StGB, 60. Aufl., § 240 Rdnr. 19 m. w. Nachw.). Hierfür genügt das vom Landgericht festgestellte Heranziehen der Geschädigten zum Körper des Angeklagten. Ausweislich der Feststellungen standen sich der Angeklagte und die Geschädigte frontal gegenüber, nachdem beide von dem Tisch, an dem sie zuvor gesessen hatten, aufgestanden waren. In dieser Position hat der Angeklagte die Geschädigte zu sich herangezogen und sie auf den Mund geküsst. Damit steht eine wenn auch geringe – körperliche Kraftentfaltung des Angeklagten genauso außer Frage wie der körperlich wirkende Zwang für die Geschädigte, deren räumliche Position verändert worden ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Geschädigte bereits vor dem Heranziehen derart nah bei dem Angeklagten gestanden hat, dass dieser sie auch – ohne das Heranziehen – unvermittelt hätte küssen können. Entscheidend ist, dass der Angeklagte die Geschädigte tatsächlich angefasst und zu sich herangezogen hat, so dass sie ihm räumlich (noch) näher gekommen ist und dem nachfolgenden Kuss nicht mehr ausweichen konnte.

Es fehlt auch nicht an der Kausalität des Gewalteinsatzes für das erzwungene Verhalten.

Eine Nötigung setzt zwar voraus, dass der Täter der anderen Person ein bestimmtes Verhalten aufzwingt, d.h. sie gegen ihren Willen dazu veranlasst. Letzteres beinhaltet, dass ein entgegenstehender Wille überhaupt vorhanden ist. Denn wer keinen Willen zu einem bestimmten Verhalten hat, kann nicht zum gegenteiligen Verhalten gezwungen werden, weshalb nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BGH, NJW 1982, 2264; NStZ 2010, 698; Senatsbeschluss vom 31. Juli 2012 – 5 RVs 62/12 OLG Hamm -) überraschende, das Opfer lediglich „überrumpelnde“ Handlungen ausscheiden, auch wenn die betroffene Person sie nicht will. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tatbestand der Nötigung ein zweiaktiges Geschehen des Inhalts voraussetzt, dass das Opfer erst auf die Nötigungshandlung hin mit einem abwehrenden Verhalten reagieren und der Täter daraufhin mit (erneuter) Gewalt oder Drohung, ein weiteres Verhalten erzwingen müsste. Vielmehr reicht es aus, wenn das Opfer im Vorfeld der) ersten Nötigungshandlung seinen entgegenstehenden Willen gegen- über dem Täter klar zum Ausdruck bringt. Im Fall eines — wie hier — sexuell motivierten Täterhandelns kann der entgegenstehende Wille selbstverständlich auch im Zusammenhang mit zunächst verbalen Anzüglichkeiten des Täters geäußert werden.

 Vorliegend hatte die Geschädigte einen derartigen entgegenstehenden Willen gebildet und diesen auch unmissverständlich gegenüber dem Angeklagten formuliert, so dass – entgegen der Revisionsbegründung — nicht von einem das Opfer lediglich „überraschenden“ Verhalten des Angeklagten auszugehen ist. Ausweislich der vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hatte der Angeklagte den der Geschädigten erteilten Gitarrenunterricht unterbrochen und die Pause zu verbalen Annäherungsversuchen und Anzüglichkeiten genutzt. Die Geschädigte hat daraufhin „deutlich geäußert, dass sie so etwas nicht wolle“. Weder hiervon noch von dem Hinweis der Geschädigten, dass sie einen Freund habe, hat sich der Angeklagte ab¬halten lassen, sondern sinngemäß geantwortet, dass „das ja nichts ausmache“. Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht zu Recht angenommen, der Angeklagte habe sich über einen bereits zuvor gebildeten und deutlich geäußerten (entgegenstehenden) Willen der Geschädigten hinweggesetzt, indem er sie am Ende der Pau¬se an sich herangezogen und auf den Mund geküsst hat. Da bereits das Heranziehen der Geschädigten als Gewalt zu qualifizieren ist und der Nötigungserfolg bereits mit dem Erdulden des Kusses eingetreten war, kam es auch nicht darauf an, ob der Angeklagte die Geschädigte während des Kusses weiter festgehalten hat. Auch dies hat das Landgericht zutreffend gewürdigt.

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