Über die Ticker läuft gerade die PM 216/12 des BGH zum BGH, Urt. v. 20.12.2012 – 3 StR 117/12. In dem Verfahren ging es um die Frage eines Bewesiverwertungsverbotes nach rechtswidrigem Umgang mit Daten aus einem Massengentest. Der BGH hat – so die PM – bezogen auf die Umstände des Einzelfalls eine Beweisverwertungsverbot verneint. In der PM heißt es:
„Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat heute die Verurteilung eines Jugendlichen wegen Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren durch das Landgericht Osnabrück bestätigt.
Das Landgericht hatte sich von der Täterschaft des Angeklagten maßgeblich deshalb überzeugt, weil beim Tatopfer Zellmaterial gesichert werden konnte, das mit dem DNA-Identifizierungsmuster des Angeklagten übereinstimmt. Zur Ermittlung des Angeklagten als mutmaßlichem Täter hatten die Ergebnisse einer molekulargenetischen Reihenuntersuchung (§ 81h StPO) geführt, an der ca. 2.400 Männer teilgenommen hatten – unter ihnen der Vater und ein Onkel des Angeklagten. Deren DNA-Identifizierungsmuster stimmten zwar mit dem der Tatspuren nicht vollständig überein, wiesen aber eine so hohe Übereinstimmung auf, dass sie auf eine Verwandtschaft mit dem Täter schließen ließen.
Der Angeklagte hat im Revisionsverfahren neben anderen Beanstandungen mit einer Verfahrensrüge insbesondere geltend gemacht, die bei der molekulargenetischen Reihenuntersuchung festgestellten DNA-Identifizierungsmuster hätten nicht auf verwandtschaftliche Ähnlichkeiten abgeglichen und im weiteren Verfahren nicht gegen ihn verwertet werden dürfen.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat zunächst die von der Revision behaupteten Verfahrensfehler bei der Durchführung der DNA-Reihenuntersuchung verneint. Jedoch hätte die bei der Auswertung der Proben festgestellte mögliche verwandtschaftliche Beziehung zwischen dem Vater und dem Onkel des Angeklagten mit dem mutmaßlichen Täter nicht als verdachtsbegründend gegen den Angeklagten verwendet werden dürfen. Denn § 81h Abs. 1 StPO erlaubt den Abgleich von DNA-Identifizierungsmustern nur, soweit dies zur Feststellung erforderlich ist, ob das Spurenmaterial von einem der Teilnehmer der Reihenuntersuchung stammt. Gleichwohl hat der Senat entschieden, dass die Übereinstimmung des DNA-Identifizierungsmusters des Angeklagten mit demjenigen der Tatspur vom Landgericht bei seiner Überzeugungsbildung verwertet werden durfte. Zwar ist dieses Identifizierungsmuster rechtswidrig erlangt worden; denn der ermittlungsrichterliche Beschluss, der die Entnahme von Körperzellen des Angeklagten zur Feststellung dieses Musters anordnete (§ 81a StPO), beruhte auf dem durch die unzulässige Verwendung der Daten aus der DNA-Reihenuntersuchung hergeleiteten Tatverdacht gegen den Angeklagten. Indes führt dies in dem konkret zu entscheidenden Fall bei der gebotenen Gesamtabwägung nicht zu einem Verwertungsverbot. Entscheidend hierfür ist der Umstand, dass die Rechtslage zum Umgang mit sog. Beinahetreffern bei DNA-Reihenuntersuchungen bisher völlig ungeklärt war und das Vorgehen der Ermittlungsbehörden daher noch nicht als willkürliche Missachtung des Gesetzes angesehen werden kann. Der Verfahrensverstoß wiegt daher nicht so schwer, dass demgegenüber die Interessen der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung hier zurücktreten müssten.“
Ohne den Urteilsgründen vorgreifen zu wollen: Offenbar die übliche Argumentation des BGH.
Natürlich wird das Urteil vorab schon mal gefeiert. Wer könnte es anders sein als der Niedersächsische Justizminister. In seiner PM heißt es dazu:
„Busemann begrüßt BGH-Urteil zum Vergewaltigungsfall in Dörpen
HANNOVER. Der Niedersächsische Justizminister Bernd Busemann begrüßt die heute (20.12.2012) vom Bundesgerichtshof (BGH) getroffene Entscheidung zum Vergewaltigungsfall in Dörpen vom 17. Juli 2010. Damit sei klar, dass der Angeklagte seinerzeit überführt und zu Recht vom Landgericht Osnabrück verurteilt worden war. Die Entscheidung des BGH sei auch eine gute Entscheidung im Sinne des Rechtsgefühls der Bevölkerung.
Busemann im Weiteren: „Es ist im Übrigen eine über den Einzelfall hinausgehende richtungsweisende Entscheidung im Zusammenhang mit dem Massengentest, die feststellt, dass aus verwandtschaftlichen Beziehungen gewonnene Proben nicht verdachtsbegründend verwendet werden dürfen. Hier hat der BGH erstmals die Rechtslage geklärt. Zufallsfunde aus Massengentests, die mittelbar zur Überführung des Täters führen, sind demnach grundsätzlich nicht verwertbar, wenn dadurch das Zeugnisverweigerungsrecht von engen Angehörigen umgangen würde.“
In dem hier erstmals konkret zu entscheidenden Fall sei jedoch lt. BGH eine Gesamtabwägung vorzunehmen gewesen. Diese führe hier zu keinem Beweisverwertungsverbot, weil die Rechtslage hinsichtlich sogenannter „Beinahetreffer“ bei DNA-Reihenuntersuchungen bisher gänzlich ungeklärt gewesen sei und die Ermittlungsbehörden daher das Gesetz nicht willkürlich missachtet hätten. Der Verfahrensverstoß sei nicht so schwerwiegend, dass er hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung zurücktrete.
„Dies bedeutet, dass die niedersächsischen Ermittler keinen willkürlichen Gesetzesverstoß begangen haben und im Osnabrücker Gerichtsverfahren auch kein Beweisverwertungsverbot gegeben war“, so Busemann abschließend.“
Nun, wenn man es die PM des BGH so liest. Ich würde sagen: Glück gehabt, noch mal mit einem „blauen Auge“ an der Aufhebung vorbei geschrammt.
„Die Entscheidung des BGH sei auch eine gute Entscheidung im Sinne des Rechtsgefühls der Bevölkerung.“
Ein schlimmeres Lob kann ich mir als Jurist kaum vorstellen. Jedenfalls nicht im Strafrecht…