Manchmal versteht man die Gedankengänge von Tatrichtern erst beim zweiten lesen.So die in einem Urteil des LG Mosbach, das jetzt den BGH beschäftigt hat und zu dem sich der BGH, Beschl. v. 05.09.2012 – 1 StR 324/12 – verhält.
Zum Sachverhalt: Es kommt zu einer Auseinandersetzung, zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten, in deren Verlauf der Geschädigte nicht unerheblich verletzt wird. Der Angeklagte wird von der herbei gerufenen Polizei in der Nähe des Ortes der Auseinandersetzung angehalten anhalten und angesprochen. Er gibt nur an, mit dem Vorfall nichts zu tun zu haben.
Diese Angabe des Angeklagten gegenüber der Polizei unmittelbar nach der Tat hat die Strafkammer als „ein nicht unwesentliches Indiz für die Täterschaft des Angeklagten“ angesehen. Erst im Rahmen der Hauptverhandlung hatte er sich auf Notwehr berufen. Demgegenüber hatte sich der Angeklagte bei einer anderen Auseinandersetzung im Januar 2004 zunächst mit einem Bierkrug verteidigt und war danach zum Gegenangriff übergegangen. Aber im Gegensatz zu der vorliegenden Tat sei er – so die Strafkammer – damals am Tatort geblieben und habe sich gegenüber der eintreffenden Polizei sofort auf Notwehr berufen.
Das gefällt dem BGH nicht:
Der Senat versteht die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil so, dass die Berufung des Angeklagten auf das Vorliegen einer Notwehrsituation deswegen nicht überzeugend gewesen sei, weil er bei einem einige Jahre zurückliegenden Vorfall sich sogleich auf Notwehr berufen, während er hier zunächst eine Tatbeteiligung abgestritten habe. Danach ist zu besorgen, dass der Tatrichter aus dem ursprünglichen, einem Schweigen gleichzusetzenden pauschalen Abstreiten einer Tatbeteiligung durch den Angeklagten einen Schluss zu dessen Nachteil gezogen hat. Solches wäre unzulässig (BGHSt 38, 302, 305, 307; BGH StV 1994, 413, vgl. auch Eschelbach in Graf, StPO, 2. Aufl. 2012, § 261 Rn. 16 mwN). Nichts anderes gilt auch dann, wenn – wie hier – der Angeklagte sich in einem früheren Verfahren von Beginn an auf Notwehr berufen hat.
Selbst wenn die Formulierung „… ist ein nicht unwesentliches Indiz für die Täterschaft …“ darauf hindeutet, dass die Überzeugung der Strafkammer nicht allein auf seinem Aussageverhalten beruht, kann der Senat, dem eine ei-gene Beweiswürdigung verwehrt ist, nicht ausschließen, dass die Strafkammer ohne Berücksichtigung dieses Umstands zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
Und das beim 1. Strafsenat des BGH, der doch sonst fast immer alles ausschließen kann :-(.