Die Frage, ob eine im Erkenntnisverfahren erfolgte Pflichtverteidigerbestellung im Wiederaufnahmeverfahren fortwirkt, ist durch eine Entscheidung des OLG Oldenburg aus dem Jahr 2009 in die Diskussion geraten. Das OLG Oldenburg hatte das abgelehnt/verrneint. Mit der Problematik hat sich vor einiger Zeit der KG, Beschl. v. 23.05.2012 – 4 Ws 46/12 befasst. Anders als das OLG Oldenburg hat das KG eine Fortwirkung bejaht:
„…a) An der von der Generalstaatsanwaltschaft zitierten Rechtsprechung, die die Fortwirkung einer Pflichtverteidigerbestellung bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Wiederaufnahmeverfahrens angenommen hat, ist im Hinblick auf die aktuelle Rechtslage festzuhalten.
Zwar ist der Gesetzeswortlaut mehreren Interpretationen zugänglich, denn mit dem in §§ 364a und b StPO aufgeführten Verteidiger kann sowohl der im Erkenntnisverfahren bestellte Verteidiger als auch – im Falle fehlender Fortwirkung der Bestellung – ausschließlich der erst im Wiederaufnahmeverfahren gewählte Verteidiger gemeint sein. Auch ist der Gegenmeinung (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 15. April 2009 – 1 Ws 205/09 – = NStZ-RR 2009, 208; LG Mannheim, Beschluss vom 2. August 2010 – 6 Qs 10/10 – ) zuzugeben, dass die in Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretene Ansicht (vgl. Schmidt in KK-StPO, 6. Aufl., § 364a Rdn. 2, m.w.Nachw.) in Einzelfällen zu sachwidrigen Ergebnissen führen kann. Jene Ansicht hat die Fortwirkung der Bestellung verneint. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen darauf abgestellt, dass eine Verteidigerbestellung grundsätzlich mit dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils ende und eine Kontinuität mit dem Ursprungsverfahren häufig schon wegen des Zeitablaufs bis zum Wiederaufnahmeverfahren nicht gegeben sei. Zudem trete eine schwerlich zu rechtfertigende Belastung des Steuerfiskus dadurch ein, dass ein Pflichtverteidiger durch die Einreichung aussichtsloser Wiederaufnahmeanträge einen zusätzlichen Gebührenanspruch erwerbe, ohne dass ihm das Korrektiv einer Prüfung nach §§ 364a und b StPO entgegengehalten werden kann.
Die Verpflichtung der öffentlichen Hand, unsinnige Anträge oder Rechtsmittel (vor-)finanzieren zu müssen, kann allerdings in ähnlicher Weise auch im Erkenntnisverfahren bestehen. Auch das zeitliche Argument schlägt nicht durch. Zum einen stellt die Antragstellung erst Jahre nach einem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens nicht den Regelfall dar. Im Fall einer zeitnahen Antragstellung verfügt ein im Ursprungsverfahren bestellter Verteidiger, der an der Beweisaufnahme mitgewirkt hat, schon aufgrund der noch präsenten Kenntnisse grundsätzlich über die größere Sachkunde als ein neuer Verteidiger. Dies gilt gerade auch in Bezug auf die Besonderheiten von Wiederaufnahmeverfahren, in denen die Geeignetheit der vorgebrachten neuen Tatsachen oder Beweismittel in Verbindung mit den im Ursprungsverfahren erhobenen Beweisen zu prüfen sind (§ 359 Nr. 5 StPO). Zum anderen können auch im Erkenntnisverfahren, zum Beispiel aufgrund einer vorläufigen Einstellung gemäß § 205 StPO, längere Verzögerungen des Verfahrens eintreten, die eine (erneute) Einarbeitung des bereits bestellten Verteidigers erforderlich werden lassen, ohne dass dies seine Auswechslung rechtfertigte.
Entscheidend für die hier vertretene Rechtsauffassung sprechen darüber hinaus die den §§ 364a und b StPO zugrunde liegenden Vorstellungen des Gesetzgebers. Dieser ist ausweislich des von dem Bundestag unverändert beschlossenen Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 9. Dezember 1975 (1. StVRG; BGBl. 1974, 3393) von einer Fortwirkung der Pflichtverteidigerbestellung bis zum rechtskräftigen Wiederaufnahmebeschluss ausgegangen (vgl. BT-Drucksache 7/551, 12 und 88 f.). Eine von diesem Verständnis abweichende Interpretation hat sich auch im Gesetzeswortlaut nicht niedergeschlagen, wie der wegen des engen Sachzusammenhangs zwischen den beiden Gesetzesmaterien zur Wortlautinterpretation angebrachte Vergleich der §§ 143 sowie 364a und b StPO verdeutlicht. Während in den letztgenannten Normen lediglich allgemein von einem Verteidiger die Rede ist, bezieht sich § 143 StPO einschränkend nur auf den gewählten Verteidiger. Wäre der Gesetzgeber nicht von einer Fortwirkung der Bestellung ausgegangen, hätte er einen ähnlichen Wortlaut auch in den §§ 364a und b StPO gewählt.
Nun, ganz glücklich scheint da KG mit dieser Rechtslage nicht zu sein. M.E. kann man die „Bauchschmerzen“ deutlich aus der Entscheidung herauslesen. Dafür spricht auch der abschließende Satz: „Eine im Hinblick auf die erwähnten Kritikpunkte gewünschte Änderung der gesetzlichen Regelungen bliebe allein der gesetzgeberischen Entscheidung vorbehalten.“ Als Verteidiger muss man solchen Streit immer im Auge behalten und ggf. zur Sicherheit auf eine Klarstellung/Bestätigung der Pflichtverteidigerbestellung hinwirken.