Ich hatte vor kurzem erst darauf hingewiesen, dass die auf die Nichtgewährung des letzten Wortes gestützte Verfahrensrüge (§ 258 StPO) meist erfolgreich ist (vgl. hier). Na ja, zum Glück hatte ich mit „meist“ formuliert. Denn der BGH, Beschl. v. 01.08.2012 – 4 StR 267/12 – zeigt, dass es auch anders geht.
Der Verfahrensrüge lag folgender Verfahrensgang zu Grunde: Am dritten und letzten Hauptverhandlungstag war die Beweisaufnahme geschlossen worden, die Staatsanwaltschaft und der Verteidiger stellten ihre Anträge, dann hatte der Angeklagte das letzte Wort. Er erklärte: „Ich habe nichts mehr zu sagen“. Nach Unterbrechung und Fortsetzung der Hauptverhandlung wurde erneut in die Beweisaufnahme eingetreten. Die Staatsanwaltschaft beantragte in einem Fall der Anklage die Tat auf den besonders schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu beschränken. Die Verteidigung gab keine Stellungnahme ab. Es erging ein entsprechender Gerichtsbeschluss. Unmittelbar danach wurde das Urteil verkündet.
Dazu der BGH:
„Es kann dahinstehen, ob ein Verfahrensfehler überhaupt vorliegt oder ob die Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a Abs. 2 StPO durch einen unmittelbar vor dem Urteil verkündeten Beschluss auch dann noch Teil der abschließenden Entscheidung des Gerichts ist, wenn die Zustimmungserklärung der Staatsanwaltschaft nach protokolliertem Wiedereintritt in die Beweisaufnahme unmittelbar vorher erteilt worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 27. März 2001 – 4 StR 414/00, BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 13). Der Senat kann unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles ausschließen, dass das Urteil auf dem Verstoß beruht. Der Angeklagte war hinsichtlich des Falles 1 der Anklage bzw. der Urteilsgründe geständig. Er hatte, als ihm zuvor das letzte Wort erteilt worden war, ausdrücklich erklärt, nichts mehr sagen zu wollen. Anhaltspunkte dafür, dass er Ausführungen gemacht hätte, wenn ihm das letzte Wort nochmals erteilt worden wäre, sind nicht ersichtlich.„
„Anhaltspunkte dafür, dass er Ausführungen gemacht hätte, wenn ihm das letzte Wort nochmals erteilt worden wäre, sind nicht ersichtlich.“
Nach meiner Erinnerung an das Referendariat genügt es doch, wenn die „Möglichkeit“ besteht, dass die Entscheidung ohne den Verstoß anders ausgefallen wäre. Dann aber dürfte es nicht genügen, wenn „keine Anhaltspunkte“ für eine neues letztes Wort vorliegen. Vielmehr müsste positiv festgestellt werden, dass ein solches nicht erfolgt wäre, was in der Tat schwierig ist.
Denkbar wäre etwa: „Da der Angeklagte sich bereits zu dem ursprünglichen (weiteren) Tatvorwurf nicht mehr äußern wollte, kann ausgeschlossen werden, dass er nunmehr ein Äußerung zum beschränkten Tatvorwurf beabsichtigte.“ Aber auch das erscheint mir etwas auf tönernen Füßen, denn für den Verzicht aufs letzte Wort kommen theoretisch unendlich viele denkbare Beweggründe in Betracht.
Das letzte Wort ist ja heute nur noch ein Stolperstein für die Gerichte. Dem Angeklagten bringt das selbst überhaupt nichts. In vielen Fällen hat sich der Angeklagte, der vorher die Tat abgestritten hat, sich im letzten Wort für seine Tat „entschuldigt“ und sich dadurch um Kopf und Kragen geredet.
Wenn es das letzte Wort nun mal gibt, ist es auch zu gewähren. Sonst könnte man ja auch auf das Verlesen der Anklageschrift verzichten, die wurde ja auch schon schriftlich zugestellt.