Ich hatte ja vorhin mal wieder über zwei Entscheidungen zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren berichtet. Dazu passt thematisch das AG Schwerte, Urt.v. 05.07.2012 – 10 OWi 872 Js 366/12-58/12, das sich mit der Frage befasst: Welche Folgen hat die nicht (ausreichende) Akteneinsicht. Damit haben sich ja schon AG Kaiserslautern und AG Landstuhl befasst (zu letzterem unser Posting); beide Entscheidungen sollen sich übrigens – wie ich höre – in der Rechtsbeschwerde beim OLG Zweibrücken befinden, was zu erwarten war.
Das AG Schwerte geht einen anderen Weg. Es kommt nicht zum Freispruch sondern es nimmt einen höheren Sicherheitsabschlag vor und sagt: Ist dem Verteidiger auf seine Anforderung von der Verwaltungsbehörde nicht die Lebensakte eines Geschwindigkeitsmessgerätes zur Verfügung gestellt worden, rechtfertigt dieser Umstand eine Erhöhung des Toleranzabzugs hinsichtlich der dem Verfahren zugrunde liegenden Geschwindigkeitsmessung um 10 %.
Der Toleranzabzug war jedoch um 10 % zu erhöhen, das ausweislich der Bußgeldakte seitens des Verteidigers mit Schriftsatz vom 31.01.2012 die Lebensakte für das Messgerät angefordert worden war und sogar wegen dieses Antrags ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG gestellt wurde. Dem ist die Verwaltungsbehörde nicht nachgekommen und hat die Lebensakte nicht übermittelt. Dementsprechend hat auch das erkennende Gericht keine genauen Erkenntnisse darüber gewinnen können, ob an dem betreffenden Messgerät zwischen Eichung (am 31.03.2011) und Messung (am 29.10.2011) Reparaturen oder sonstige Eingriffe vorgenommen worden sind. Die schriftliche Äußerung vom 15.12.2011 diesbezüglich vermag letzte Zweifel gegenüber einer Einsichtnahme in die Lebensakte nicht vollständig ausschließen. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts rechtfertigt dieser Umstand eine Erhöhung des Toleranzabzugs und somit zu einer Geschwindigkeit von 91 km/h.
Ich habe meine Zweifel – ebenso wie bei AG Landstuhl – ob das so richtig ist bzw. so einfach geht oder ob sich das AG nicht zunächst mal um eine ausreichende Akteneinsicht für den Betroffenen – und für sich selbst – bemühen muss, ehe es zu einem höheren Sicherheitsabschlag kommt. Und dann stellt sich die Frage: Ist dann nicht der Weg des AG Landstuhl der richtigere? Warum verwertbar, aber dann nur mit einem höheren Sicherheitsabschlag.
Nun dem Betroffenen wird es es egal sein. Er hat so eine Chance, ggf. aus der fahrverbotsträchtigen Zone des BKatV herauszufallen. Also: Eine Entscheidung, auf die man sich berufen kann/sollte.
Ein salomonischer Weg der – unabhängig von der rechtlichen Wertung – viel zu selten begangen wird.
Nur, dass sich einem Techniker dabei die Haare sträuben. Aber auf die hört ja auch keiner. Auf die Techniker, nicht auf die Haare. 😉
@Miraculix:
Wegen eines vom Gericht im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes selbst behebbaren möglichen Verfahrensfehlers wird an den Tatsachenfeststellungen herumgepfuscht und unterstellt, es könnte bei gültiger Eichung Reparaturen gegeben haben, die sich auf das Messergebnis auswirken. Das ist nicht salomonisch, das ist schlampig und faul.
Was erhofft man denn in einer „Lebensakte“ zu finden, sofern eine zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt würde? Was genau sollte denn da alles drin stehen? Da kann ja alles mögliche oder gar nichts drinstehen. Meines Wissens gibt es doch keinerlei Vorlage oder Bestimmung, wie eine solche LA zu führen wäre.