Folgender Sachverhalt:
Der Angeklagte, der sich in Haft befindet, wird von einem Kriminalhauptmeister Y. in der JVA aufgesucht und davon in Kenntnis gesetzt, dass Oberstaatsanwalt PP. in einem gegen den Angeklagten anhängigen Ermittlungsverfahren einen gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss erwirkt und auf dieser Grundlage die Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten stattgefunden hatte. Der Angeklagte war verärgert und der Meinung, die Maßnahme habe nicht in Abwesenheit seines Verteidigers durchgeführt werden dürfen, der den Durchsuchungsbeschluss angefochten habe. Er äußerte gegenüber dem Polizeibeamten, Oberstaatsanwalt S. sei ein Rechtsbrecher und seine Tage bei der Justiz seien gezählt. Er, der Angeklagte, werde ihn nach seiner Entlassung bis zum Schluss verfolgen. Dies solle Herr Y. dem Oberstaatsanwalt auch so mitteilen. Hiermit wollte der Angeklagte Oberstaatsanwalt S. gegenüber seine Missachtung zum Ausdruck bringen.
Frage: Hat sich der Angeklagte wegen Beleidigung strafbar gemacht?
Die Antwort gibt der OLG Naumburg, Beschl. v. 10.11.2011 – 2 Ss 156/11. Dazu aus der Begründung:
„Die Erklärung des Angeklagten ist unter Berücksichtigung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nach § 193 StGB gerechtfertigt. Der Angeklagte nahm berechtigte Interessen zur Ausführung und Verteidigung von Rechten wahr, indem er – wenn auch scharfe – Kritik an dem Vorgehen des Staatsanwalts übte, ohne dass die vollständigen Feststellungen des Landgerichts aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, eine Beleidigung tragen, insbesondere liegt – entgegen der Annahme der Strafkammer – eine Schmähung fern.
Auch polemische oder verletzende Meinungsäußerungen unterfallen dem Schutzbereich des Rechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (BVerfG NJW 2002, 3315, 3316), der § 193 StGB prägt. Berechtigte Interessen werden u.a. nur dann nicht wahrgenommen, wenn sich die Äußerung als Schmähkritik erweist und jedes Maß an Sachlichkeit vermissen lässt, also an Stelle der Auseinandersetzung mit der Sache die bloße Herabsetzung der betroffenen Person im Vordergrund steht, welche gleichsam an den Pranger gestellt wird (BVerfG NJW 1995,3303, 3304; 2003, 3760; 2008, 358, 359; BGH NJW 2009, 1872, 1874; 2690, 2692). An die Bewertung einer Äußerung als Schmähkritik sind strenge Anforderungen zu stellen. Sie setzt die Berücksichtigung von Anlass und Kontext (BVerfG NJW 2009, 749, 750) sowie zunächst die Auslegung der Äußerung zur Ermittlung ihres Gehalts voraus. An all dem fehlt es der angefochtenen Entscheidung. Da weitergehende Feststellungen nicht zu erwarten sind, kann der Senat die Erklärung des Angeklagten würdigen.
Die Bezeichnung des Staatsanwalts als „Rechtsbrecher“ hat das Landgericht als Werturteil betrachtet. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie fand im Rahmen der Auseinandersetzung des Angeklagten mit der in seiner Wohnung durchgeführten und von ihm als rechtswidrig empfundenen Durchsuchung statt, womit die Sicht des Landgerichts möglich erscheint (vgl. BayObLG NStZ-RR 2002, 40, 41 f., aber auch BGH NJW 2009, 1872, 1874 – „Korruption“ als auf Wertung beruhende Beurteilung und BVerfG NJW 2008, 358, 359; Regge, § 186 Rdn. 11 – Pauschalurteil als Wertung; OLG Jena NJW 2002, 1890, 1891; Valerius, in: BeckOK-StGB, Stand: 15.08.2011, § 186 Rdn. 7.1).
Der Angeklagte war also der Meinung, der Betroffene habe vorwerfbar gegen das Recht verstoßen. Das muss ein Bürger im Rahmen rechtlicher Auseinandersetzungen, wie sie hier im Zusammenhang mit der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten stattfanden, ungestraft sagen dürfen. Dies gilt umso mehr, als der inhaftierte Angeklagte – im Hinblick auf § 106 Abs. 1 Satz 2 StPO möglicherweise zu Recht (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 106 Rdn. 4) – über die unterlassene Zuziehung seines Verteidigers verärgert war. Gerade weil sich diese Verärgerung spontan entlud, sich der Angeklagte nur mündlich Luft machte und die Äußerung keinesfalls eines sachlichen Zusammenhangs entbehrte, kann von einer die Person des Geschädigten im Ganzen herabsetzenden Schmähkritik keine Rede sein (BVerfG NJW 2009, 749, 750; Beschluss vom 20. Mai 1999, 1 BvR 1294/96 – BeckRS 1999, 30060310).“
Das muss er also aushalten (können), der OStA.
Wegen der verfahrensrechtlichen Frage: Ablehnung des Beweisantrages wegen Ungeeignetheit des Zeugen bringt der Beschluss nichts Neues. Da liegt er auf der Linie der h.M.
Gutes Urteil und imho vielleicht ein Baustein, den ramponierten Ruf des OLG Naumburg bzgl. Rechtsstaatlichkeit etwas aufzubessern.