Ich hatte ja bereits auf LG Erfurt, Beschl. v. 23.04.2012 – 7 Qs 101/12 hingewiesen (vgl. hier). Hier nun noch einmal der Beschluss und der zweite Grund, warum der Beschluss einen Bericht wert ist.
Das LG hat nämlich im Beschwerde-/Ermittlungsverfahren dem Beschuldigten „von Amts wegen“ einen Pflichtverteidiger beigeordnet und dabei von einer vorherigen Anhörung der StA abgesehen. Das liest man nun wirklich selten. Die Begründung:
„Der Kammer hält es angesichts der besonderen Umstände im vorliegenden Fall – ausnahmsweise und in pflichtgemäßer Ausübung ihres Ermessens – für geboten, dem Beschuldigten gemäß § 140 Abs. 2 i.V.m. § 141 Abs. 3 StPO bereits im Ermittlungsverfahren einen Pflichtverteidiger zur Seite zu stellen.
Die frühzeitige Verteidigerbestellung ist erforderlich, weil erkennbar ist, dass in einer eventuellen Hauptverhandlung ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegen wird und weil zudem wesentliche Weichenstellungen in dem derzeitigen Verfahrensabschnitt erfolgten und erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 25.07.2000, Az.: 1 StR 169/00, juris). Dies gilt insbesondere für den Fall, dass der (wohl einzige) Belastungszeuge doch noch vernommen werden sollte. Zudem war und ist Akteneinsicht erforderlich, um die Rechtmäßigkeit des Durchsuchungsbeschlusses und die Ordnungsmäßigkeit späterer Anordnungen überprüfen zu können (vgl. LG Lübeck, Beschluss vom 10.11.2010, Az.: 4 Qs 118/10).
Dabei war auch zu berücksichtigen, dass im Zuge des Ermittlungsverfahrens bereits Fehler unterlaufen sind, so dass die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten unerlässlich erscheint. So kann fortan ein konventions- und menschenrechtskonformes sowie faires Verfahren mit gewährleistet werden.
Der Beschuldigte ist im Übrigen offenkundig nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen, so dass die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO vorliegen. Der Beschuldigte ist der deutschen Sprache nur begrenzt mächtig und bereits daher in seiner Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt. Als Ausländer vermag er die durchaus komplizierte Rechtslage kaum zu erfassen und die möglichen Folgen einzuschätzen. Auch mit Blick auf die Vielzahl und Schwere der erhobenen Vorwürfe — vom Betrug bis zum Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz — war die Pflichtverteidigerbestellung erforderlich. Dies gilt auch mit Blick auf eventuelle ausländerrechtliche Sanktionen oder Nachteile.
Eines — grundsätzlich erforderlichen — Antrages der Staatsanwaltschaft nach § 141 Abs. 3 S. 2 StPO bedurfte es hier ausnahmsweise nicht, da das der Staatsanwaltschaft eingeräumte Ermessen „auf Null reduziert“ war. Der „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ ist hier zwar ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum eingeräumt. Jede andere Entscheidung als die Bestellung eines Pflichtverteidigers (bzw. eines Antrages hierzu) wäre jedoch ermessensfehlerhaft (vgl. LG Cottbus, Beschluss vom 13.05.2005, Az.: 22 Qs 15/05, juris). Es wäre im Übrigen eine bloße „Förmelei“, zunächst der Staatsanwaltschaft aufzugeben, einen Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zu stellen, um dann jenem Antrag Folge zu leisten. Angesichts der Ermessensreduzierung auf Null sah sich die Kammer in der Lage, im Zuge des Beschwerdeverfahrens ausnahmsweise selbst die Bestellung vorzunehmen.“
Interessant und für die Praxis verwendbar ist sicherlich die Begründung:
„Dabei war auch zu berücksichtigen, dass im Zuge des Ermittlungsverfahrens bereits Fehler unterlaufen sind, so dass die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten unerlässlich erscheint. So kann fortan ein konventions- und menschenrechtskonformes sowie faires Verfahren mit gewährleistet werden.„
Danach wird in vielen Fällen ein Pflichtverteidiger beizuordnen sein.
Schon etwas gewagt. Für die Bestellung des Pflichtverteidigers ist die Beschwerdekammer auf keinen Fall zuständig, sondern der Vorsitzende des Gerichts, das für die Hauptsache zuständig wäre. Bei Erlass des Beschlusses lag offenbar nur eine angefochtene Entscheidung (Durchsuchungsbeschluss) des Ermittlungsrichters vor. Zu § 141 Abs. 4 StPO ist das LG in seinem Eifer offenbar nicht vorgedrungen.