Ein Kollege hat mir das Schreiben des Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport vom 08.03.2012 zur Verfügung gestellt, das sich mit der Frage der Überlassung von Bedienungsanleitungen u.a. an Verteidiger befasst. Darin heißt es u.a. – hier der Volltext – Erlass IM Niedersachsen Gebrauchsanweisungen GMG 08_03_2012 -:
„In diesem Zusammenhang hat die ZPD erhoben, dass alle Hersteller den Schutz des Urheberrechtsgesetzes für die Bedienungsanleitungen und die Zulassungen ihrer Geräte in Anspruch nehmen.
In Abstimmung mit den Herstellern wird daher folgende Verfahrensweise zum Umgang mit Bedienungsanleitungen von GMG für verbindlich erklärt:
Die Niedersächsische Polizei ist nicht berechtigt, die Bedienungsanleitungen und die Zulassungsscheine für Bußgeldbehörden, Sachverständige, Betroffene und deren Rechtsvertreter zu vervielfältigen. Sie werden von den Herstellern nur gegen Entgelt zur Verfügung gestellt.
Eine Vervielfältigung der Bedienungsanleitungen und Zulassungsscheine ist der Niedersächsischen Polizei nur für interne Aus- und Fortbildungsmaßnahmen gestattet.
Auf Anforderung werden die benötigten Unterlagen den Gerichten von den Herstellern in Kopie zur Verfügung gestellt.
Betroffene und deren Rechtsvertreter können daneben Einsicht in die Bedienungsanleitung und den Zulassungsschein beim zuständigen Gericht oder direkt bei der Polizeidienststelle nehmen.“
Ist angesichts der vorliegenden amtsgerichtlichen Rechtsprechung schon erstaunlich. Ok, es geht bei den amtsgerichtlichen Entscheidungen nicht um Akteneinsicht, die die Polizei gewährt, sondern um Akteneinsicht durch die Verwaltungsbehörde. Aber im Zweifel werden sich die Verwaltungsbehörden jetzt sicherlich in Niedersachsen gern auf dieses Schreiben zurückziehen.
Und was heißt,
„dass alle Hersteller den Schutz des Urheberrechtsgesetzes für die Bedienungsanleitungen und die Zulassungen ihrer Geräte in Anspruch nehmen. In Abstimmung mit den Herstellern wird daher folgende Verfahrensweise zum Umgang mit Bedienungsanleitungen von GMG für verbindlich erklärt:“
Besteht nun ein Urheberrecht und/oder wird dieses „konkludent“ anerkannt?
In NRW sieht man es wohl anders (vgl. dazu unseren Blogbeitrag v. 08.03.2012). Kann man sich da nicht abstimmen? Es kann doch nicht sein, dass ich in Münster – NRW – Akteneinsicht bekomme, in Osnabrück – Niedersachsen – aber ggf. nicht.
„Wo fiel’n die römischen Schergen?
Wo versank die welsche Brut?
In Niedersachsens Bergen,
An Niedersachsens Wut
Wer warf den römischen Adler
Nieder in den Sand?
Wer hielt die Freiheit hoch
Im deutschen Vaterland?
Das war’n die Niedersachsen,
Sturmfest und erdverwachsen,
Heil Herzog Widukinds Stamm!“
Oder vielleicht bekannter:
„Ganz Gallien ist von Römern besetzt. Ganz Gallien?“
„Wer nichts zu befürchten hat, braucht sich nicht zu verstecken!“ heißt es immer wieder. Es muss schlimm um die Messqualität stehen, sonst bräuchten die Strafverfolgungsbehörden die Bedienungsanleitungen nicht zu verstecken.
Darüber hinaus hinaus übt sich der Erlass in der alten Juristen-Rhetorik: „Was Du nicht begründen kannst, begründe einfach gar nicht!.“ Die behaupteten Urheberrechtsverletzungen sind wohl Humbug und reine Rechtsvereitelungs-Prosa. Es gibt. meines Wissens keine einzige Entscheidung, die sich in nachprüfbarerer und in juristisch belastbarerer Weise mit den Fragen des Urheberrechts auseinandersetzen. Schon Brecht sagte: „Schweigen ist ein Argument, das schlecht widerlegt werden kann“ oder so ähnlich.
So weit ich weiß, hat sich allein Burhoff versucht (versucht da ja wohl kein Urheberrechtler) mit der Materie seriös auseinanderzusetzen.
Es scheint eine unverschämte Forderung zu sein, dass sich auch die Strafjustiz an Gesetzte halten muss. Ich konnte bislang keine Norm finden, die die Strafjustiz hiervon suspendiert.
Um die Kritik der Justiz-Jünger vorwegzunehmen. Ich kann gar keine inhaltliche Kritik anbringen, da erstens kein Urheberrechtler bin und zweitens dem Erlass (wie schon gesagt) ja ein kritikfähiger Inhalt fehlt.
Sascha Petzold
äääh: Strafverfolgungsbehörden,Strafjustiz bei Erlassen,die sich an die Vb richten???Hat sich der sprungbereite Tiger und Verkehrsrechtler im Dschungel verirrt ? Und woraus entnimmt er umgekehrt,dass die Hersteller keine urheberrechtlichen Unterlassungsansprüche haben?
@meine5cent
Naja- wie immer gehaltvoll.
1.) Aus meiner Sicht gehört zu den Strafverfolgungsbehören auch die Polizei und Bußgeldstellen sowie deren vorgesetzten Behörden. Sie mögen das für lächerlich halten; faktisch ist das aber so. So sieht es auch das EMRK.
2.) Wer sagt den, das die Hersteller keine Urheberrechte hätten. Ich habe das jedenfalls nicht gesagt. Hier streiten aber das Urheberrecht gegen den Anspruch des Beschuldigten auf rechtliches Gehör. Hierfür muss mein nicht einmal Spezialist sein, um das zu erkennen. Un tatsächlich hat das auch des Gesetzgeber erkannt und in § 45 UrhG eine Schranke normiert:
„(1) Zulässig ist, einzelne Vervielfältigungsstücke von Werken zur Verwendung in Verfahren vor einem Gericht, einem Schiedsgericht oder einer Behörde herzustellen oder herstellen zu lassen.“
Warum diese Schranke nicht eingreifen soll, blieb bislang ein Geheimnis der Strafverfolgungsbehörden.
Wenn es eine nachvollziehbare Begründung gäbe, würde man diese doch auch heranziehen, oder nicht?
Sascha Petzold
Ich verkneife mir mal weitere Kommentare dazu, ob einem FA für Strafrecht der Unterschied zwischen OWi und Straftat und dementsprechend auch zwischen Verwaltungsverfahren und Strafverfolgung geläufig ist.
Das LG Dessau behauptet z.B. , dass das Urheberrecht übergegangen sei. Hatten wir ja schon in diesem Blog.
Die Frage ist: ist die Bedienungsanleitung urheberrechtlich geschützt? Ja. Darf die Verwaltungsbehörde Kopien für einzelne Verfahren machen ? § 5 UrhG ggf. ja. Wobei sich die Frage stellt, ob dann, wenn ein Meßgerät zwangsläufig für tausendfache Messungen vorgesehen ist, § 45 tatsächlich derartige massenhafte Vervielfältigung („einzelne Vervielfältigungsstücke“)decken würde. Nächste Frage: Muss die Verwaltungsbehörde die Anleitung zum Aktenbestandteil machen, indem sie die Bedienungsanleitung vevielfältigt? Kann man gut darüber streiten. Weitere Frage: Wenn nicht: muss sie dem Verteidiger/Betroffenen eine Kopie fertigen und übersenden? Kann man noch besser drüber streiten. Falls nicht: Der Sache nach ist sie ggf. ein Beweismittel. Und für die gilt 147 III StPO iVm 46 OWiG: Einsicht auf der Geschäftsstelle.
Nach wohl hM der Urheberrechtler gilt übrigens, dass die Vevielfältigung jeweils nur für die Verwendung in dem jeweiligen Verfahren gestattet ist, eine weitergehende Verwendung ist ausgeschlossen(Wandtke/Bullinger §45 Rn.3 ). D.h. der Verteidiger dürfte sich nicht nach ein paar übersandten Kopien einen schönen Ordner „Bedienungsanleitungen“ anlegen, die er bei Bedarf in anderen OWi-Sachen dem Zeugen vorhält. Sondern muss in jedem einzelnen OWi-Verfahren wieder erneut eine Kopie anfordern.
Es geht um AE in einem gegen den Betroffenen gerichteten Verfahren, zunächst von der VB betrieben, dann von/beim AG. Also wo ist jetzt das Problem (au0er, dass Sie offenbar eines mit Strafverteidigern haben und wohl auch mit den hier eingestellten Blogthemen)? Dem Betroffenen ist es völlig egal, wer das Verfahren betreibt.
Das BayObLG hat übrigen schon 1991 den m.E. richtigen Weg in Zusammenhang mit Videoaufnahmen und der Einsicht des Verteidigers in diese gezeigt. Videokassette mitschicken, dann ist ihm die Sequenz darauf zu ziehen. Die Grundsätze wird man entsprechend anwenden können/müssen.
Und: Ich verstehe das „Mauern“ der VB eh nicht. Wenn man nichts zu verbergen hat, kann man die Bedienungsanleitungen doch auch zur Verfügung stellen. Oder sollte die Kollegin G.Kutscher mit ihrem Posting zu den (Fehl)Messungen doch Recht haben und man hatt ggf. etwas zu verbergen.
Und: Kennen Sie irgendeine begründete Entscheidung der VB zum Urheberrecht? Man kann die Fragen ja diskutieren, allerdings erwarte ich von einem Innenministerium mehr als in dem o.a. Erlass steht: „In Abstimmung mit den Herstellern…“ Eine eigene Meinung sollte man sich schon bilden. Dafür sitzen da genügend Leute, die das können sollten.
@Herr Burhoff:
Ich habe weder mit dem einen noch mit dem anderen ein Problem, aber wenn der Kollege Strafverfolgung und OWi-Verfolgung gleichsetzt stößt mir das etwas auf. Angesichts seiner sonstigen Kommentare (z.B. bei Ihrem EIntrag „Ist es so zynisch/arrogant gemeint wie es klingt“) wäre er vermutlich der Erste, der einen OWi-Richter ablehnt, der in einer Bußgeldsache wegen Geschwindigkeitsübertretung etwas von „kriminellem Verhalten“ des Betroffenen oder „Straftat“ murmelt, mit der Begründung, dass der Richter offensichtlich voreingenommen ist, weil er den Vorwurf der Auflehnung gegen die Rechtsordnung (BVerfG 2 BvL 2/69) erhebt.
Begründete Entscheidungen der VB zum Urheberrecht kenne ich nicht. Bin in dem Bereich tätig, den ich bei meinem Kommentar zum „Aufhebens“ genannt habe…
@meine5cent: Mit „Strafverfolgung“ ist selbstverständlich auch die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten gemeint. Vgl. etwa § 344 StGB, Verfolgung Unschuldiger: „Wer … einen Unschuldigen … strafrechtlich verfolgt …“, dazu in der Kommentierung Fischer, StGB, 59. Aufl., § 344, Rn. 3 u. 4: Strafverfolung ist auch OWi- oder Disziplinarverfahren. Und § 55 StPO gewährt auch ein Auskunftsverweigerungsrecht bei Gefahr der Verfolgung wegen einer OWi. – Herr Petzold hat also völlig recht, wenn er auch die für die Ahndung einer OWi zuständige Stelle als „Strafverfolgungsbehörde“ bezeichnet. (In § 35 OWiG heißt es „Verfolgung und Ahndung durch die Verwaltungsbehörde“, im Gesetz darüber hinaus teilweise auch „Verfolgungsbehörde“ genannt, etwa in § 47 Abs. 1 OWiG.) Denn auch OWi-Recht ist Strafrecht.
@ S. Meyer
OWi-Recht ist kein Strafrecht.: Haben Sie mal 2 BvL 2/69 gelesen?‘
Bei Ihrem Zitat aus Fischer bringen Sie etwas durcheinander. Der schreibt nicht, dass bei Verfolgung Unschuldiger ein Bußgeldverfahren generell einem Strafverfahren gleichgesetzt ist, sondern die Strafbarkeit bei besteht nur im Rahmen des Vergehenstatbestandes nach § 344 Abs.S.2 Nr. 1 aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung (s. Rdnr 2 „differenziert nach Verfahrensart“). 344 I gilt also nicht für Verfolgung Unschuldiger im OWi-Verfahren, sondern nur 344 II.
Und: 211 StGB: nur Verdeckung/Ermöglichen einer Straftat, nicht einer OWi, 258 StGB nur Strafvereitelung, nicht Bußgeldvereitelung.
Und Ihr Argument aus § 55 StPO stellt die Dinge auf den Kopf:
Wenn Straftat = OWI wäre, bräuchte man gerade keine gesonderte Erwähnung der OWi in 55 StPO!
Und im OWiG steht eben Verfolgungs- , aber nicht Strafverfolgungsbehörde.
Ich habe jetzt dasselbe Problem beim AG Bersenbrück. Es meint – auf meinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung – in seinem Beschluss vom 02.11.2012 (6 OWi – 144 Js 82555/12 (570/12), dass es zum einen ein Recht auf Akteneinsicht nicht in solche Urkunden gibt, die sich noch gar nicht in der Akte befinden und dass es ausreiche, wenn die Vorlage der Bedienungsanleitung IM TERMIN VERANLASST wird. Das dürfte ja wenig prozessökonomisch sein. So verhindert man keine Hauptverhandlung sondern treibt die Betroffenen in nicht unerhebliche Kosten. Es stellt sich dann doch auch die Frage, WER die Kosten des gerichtlichen Verfahrens veranlasst hat und diese tragen muss, wenn ich in der HV feststelle, dass die Messung in Ordnung ist und den Einspruch dann zurück nehme. Auf Eure Meinung dazu bin ich gespannt.