Die Frage: Ist Zungenkuss Beischlaf? spielt eine Rolle, wenn es um die Frage geht, ob eine beischlafähnliche Handlung im Sinne von § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB ist und damit ein schwerer sexueller Missbrauch eines Kindes mit der erhöhten Strafandrohung des § 176a StGB vorliegt.
Die Antwort auf diese Frage gibt der BGH, Beschl. v. 14.04.2011 – 2 StR 65/11, der zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt ist. Der BGH hat die Frage grds. verneint:
„Anders liegt es im Fall II.1. der Urteilsgründe, bei dem die Tat sich in einem „Zungenkuss“ erschöpft hat. Dieser kann zwar als sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit im Sinne von §§ 176 Abs. 1, 184g Nr. 1 StGB (differenzierend OLG Brandenburg NStZ-RR 2010, 45 f.), die auch mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist, jedoch nicht als eine zugleich „dem Beischlaf ähnliche“ Handlung angesehen werden. Dagegen spricht schon das äußere Erscheinungsbild der Handlung, an der – anders als bei dem beischlafähnlichen Anal- oder Oralverkehr (vgl. dazu BGH Beschluss vom 14. September 1999 – 4 StR 381/99, BGHR StGB, § 176a Abs. 1 Nr. 1 Sexuelle Handlung 1) – kein primäres Geschlechtsorgan beteiligt ist. Soweit § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB auch deskripitive Elemente enthält, liegt die Gleichsetzung des Zungenkusses mit dem Beischlaf schon begrifflich fern. Die Ähnlichkeit der sexuellen Handlung mit dem Beischlaf ist aber vor allem auch an der Gewichtung der Rechtsgutsverletzung zu messen. Geschütztes Rechtsgut ist in den Fällen des § 176a StGB die ungestörte sexuelle Entwicklung des Kindes (Senat, Urteil vom 16. Juni 1999 – 2 StR 28/99, BGHSt 45, 131, 132; Beschluss vom 19. Dezember 2008 – 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 119). Der Zungenkuss wirkt hierauf regelmäßig nicht so intensiv ein wie ein Vaginal-, Oral- oder Analverkehr. Schließlich ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien nicht, dass der Gesetzgeber den Fall des Zungenkusses der Norm unterwerfen wollte (vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 31 f.; zuvor BT-Drucks. 13/2463 S. 7 und 13/7324 S. 6, jeweils zu § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB). Der Senat nimmt daher im Einklang mit der in der Literatur vorherrschenden Ansicht (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl. § 176a Rn. 8; LK/Hörnle, StGB, 12. Aufl. § 176a Rn. 27; Perron/Eisele in Schönke/ Schröder, StGB, 27. Aufl. § 176a Rn. 8; Renzikowski NStZ 2000, 367 f.; SK/Wolters aaO § 176a Rn. 16; Ziegler in v. Heintschel-Heinegg, BeckOK-StGB 2011 § 176a Rn. 12; weitergehend Folkers JR 2007, 11 ff.; aA NK/Frommel, StGB, 2009 § 176a Rn. 11; Laubenthal, Sexualstraftaten; Die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, 2000, Rn. 382) an, dass der „Zungenkuss“ in der Regel keine dem Beischlaf ähnliche Handlung im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB ist. Ob unter besonderen Umständen in extremen Ausnahmefällen etwas anderes gelten kann, kann hier offen bleiben.
Rechtsprechung anderer Strafsenate des Bundesgerichtshofs steht nicht entgegen. …“