Manchmal ist es ja schon eigenartig. Da ist es monatelang „ruhig“ und es gibt kaum Rechtsprechung zu einer Vorschrift, die an sich eine große Rolle in der Praxis spielt. Und dann auf einmal „prasseln“ die Entscheidungen nur so rein (na ja, so in etwa). So zur Zeit bei § 142 StGB, also unerlaubtes Entfernen vom Unfallort. Nach dem OLG Köln nun auch das LG Düsseldorf. Das hat sich zum wegrollenden Einkaufswagen geäußert und den Angeklagten frei gesprochen.
Sachverhalt wie folgt: Der Angeklagte begibt sich nach einem Einkauf mit zwei Einkaufswagen zu seinem auf einem Parkplatz dem abgestellten Lkw. Beim Ausladen eines der Einkaufswagen gerät der andere Einkaufswagen selbstständig ins Rollen und prallt gegen einen in einer gegenüberliegenden Parklücke abgestellten Pkw, an dem dadurch ein Sachschaden in Höhe von rund 1.500 € entsteht. Der Angeklagte holt den den Einkaufswagen zurück und verlässt, obwohl er die Beschädigung des Pkw wahrgenommen hatte, den Parkplatz.
Das LG Düsseldorf, Urt. v. 06.05.2011 – 29 Ns 3/11 verneint einen Verstoß gegen § 142 StGB mit der Begründung, dass kein Unfall i.S. des § 142 StGB vorgelegen habe, da sich in dem schädigenden Ereignis keine typische Gefahr des Straßenverkehrs verwirklicht habe. Die wohl h.M. sieht das in den Fällen wohl anders und kann bzw. muss man m.E. auch wohl anders sehen. Denn die Unterscheidung des LG zwischen „Fortbewegungsverkehr“ und „ruhendem Verkehr“ ergibt sich m.E. nicht aus § 142 StGB. Das OLG Köln hat das gerade für Be- und Entladen auch anders gesehen.
Ich bin gespannt, wie das OLG Düsseldorf das sehen wird. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass die StA diesen Freispruch „schluckt“.
Die Entscheidung ist aber natürlich „Argumentationshilfe“ bei der Verteidigung in vergleichbaren Fällen.
Muss man das wirklich „anders sehen“? § 142 ist ohnehin eine der (wenn nicht die) verunglücktesten Normen des StGB, da kann eine am Normzweck orientierte restriktive Auslegung m.E. nicht schaden.
Ich halte die Auffassung des Landgerichts für zutreffend. Der Schutzbereich des § 142 StGB ist nicht deshalb tangiert, weil ein Kraftfahrzeug beschädigt worden ist. Wäre der Einkaufswagen nicht zufällig gegen ein Auto, sondern gegen ein Fahrrad, einen Kinderroller oder gegen ein Kind gerollt, käme § 142 StGB auch nicht in Betracht; im letztgenannten Fall handelte es sich nur um eine fahrlässige Körperverletzung. § 142 StGB enthält keine Privilegierung für Autobesitzer, damit die Ermittlungsbehörden den Schädiger ermitteln.
Würde ich auch so sehen. Man kann sich schon fragen, ob ein Unfall im Straßenverkehr immer dann vorliegt, wenn ein Auto beschädigt wird. Ich würde eher davon ausgehen, dass dafür ein Straßenverkehrsteilnehmer einen Schaden verursacht haben muss, und da hab ich bei einem Einkaufswagen auf einem Parkplatz doch eher meine Zweifel, ob derjenige, der einen Einkaufswagen benutzt, wirklich am Straßenverkehr teilnimmt. Insbesondere wenn sich das Geschehen auf einem Parkplatz abspielt.
eben, auf dem Parkplatz im ruhenden Verkehr. Aber – wie gepostet – man kann ja über alles diskutieren. Dazu fordert die Entscheidung ja auch auf :-).
Zitat Harald:
„Wäre der Einkaufswagen nicht zufällig gegen ein Auto, sondern gegen ein Fahrrad, einen Kinderroller oder gegen ein Kind gerollt, käme § 142 StGB auch nicht in Betracht; im letztgenannten Fall handelte es sich nur um eine fahrlässige Körperverletzung.“
Wenn ich Herrn Burhoff richtig verstehe, wäre nach seiner Auffassung in diesen Fällen § 142 StGB sehr wohl anwendbar, wenn der Einkaufswagen beim Beladen eines Fahrzeugs weggerrollt ist. Darin soll wohl eine typische Gefahr des (ruhenden) Verkehrs sich verwirklicht haben.
Das Ganze führt dann aber nur zum gleichermaßen absurden Ergebnis, dass derjenige der zu Fuß zum Supermarkt gekommen ist und seinen Einkaufswagen unachtsam abstellt, nicht nach § 142 StGB strafbar ist, während es ein Autofahrer bei gleichem Verhalten wäre.
@Dante:
Eben. Und der Bürger soll diese feinen Unterschiede auch noch kennen, mit der Folge, daß ihm bezüglich des Entfernens vom Unfallort auch noch Vorsatz und Unrechtsbewußtsein unterstellt wird. Denn der Tatbestand indiziert ja die Rechtswidrigkeit, diese den Vorsatz, dieser das Unrechtsbewußtsein und für das Gegenteil ist der Angeklagte beweispflichtig, was im freilich niemals gelingen wird („reine Schutzbehauptung“).
Und im übrigen: „ruhender Straßenverkehr“ – auf einem privaten Supermarktparkplatz? Macht sich meine Frau eigentlich auch nach § 142 StGB strafbar, wenn sie beim Ausladen des Einkaufs in unserer Einfahrt die Bierkiste (sie schleppt sie so gerne, die Gute) gegen mein Fahrzeug schlägt und mir nichts davon sagt, weil sie mit ruhendem ehelichen Verkehr rechnet, wenn sie es mir eingesteht?
@ Harald:
Sie predigen dem Bekehrten. Ich denke aus meinem Beitrag ist schon deutlich geworden, dass ich der Anwenung von § 142 StGB in solchen Fällen kritisch gegenüberstehe. Ein rollender Einkaufswagen ist kein Straßenverkehr, auch kein ruhender.
Mit ihren Ausführungen zum Vorsatz schießen Sie aber übers Ziel hinaus. Das kenne ich aus der Praxis anders. Ich habe selber genug Leute wegen nicht nachweisbarem Vorsatz vom Vorwurf der Unfallflucht freigesprochen. Ich kenne auch keinen Kollegen, der aus der Rechswidrigkeit oder dem objektiven Tatbestand den Vorsatz ableitet.
Leben Sie vielleicht im falschen Bundesland? 😉
@ Dante:
Donnerwetter, endlich mal ein Richter unter den Kommentatoren?!
Ihre kritische Haltung gegenüber dem gerade bei 142 StGB durchaus problematischen Vorsatz ist sehr zu begrüßen. Offensichtlich lebe ich aber auch im „falschen Bundesland“:
Hier in M-V wird der Vorsatz in der Anklage bzw. Strafbefehl per Textbaustein unterstellt und von Gerichten oft unkritisch übernommen – oder aber es erscheint der gerichtsnotorische DEKRA-Sachverständige, der fast immer zu einer zumindest taktilen Wahrnehmbarkeit gelangt. 🙁
@ Dante:
Offenbar… Aber schlimm genug, daß es überhaupt einer öffentlichen Hauptverhandlung bedarf, um zu diesem Ergebnis zu gelangen. Gerade bei § 142 StGB sitzen oftmals Menschen auf der Anklagebank, die sich das erste mal strafrechtlich verantworten müssen und für die die Hauptverhandlung eine enorme Belastung darstellt. Bei vielen Bagatellschäden müßte schon für die Anklagebehörde (vertreten durch Amtsanwalt Übereifrig) ohne weiteres nachvollziehbar sein, daß man auch mal irgendwo anecken kann, ohne es zu bemerken. Ich plädiere dafür, das Zwischenverfahren ernster zu nehmen und der Amtsanwaltschaft schon dort ins Stammbuch zu schreiben, weshalb man keinen hinreichenden Tatverdacht eines Vorsatzes sieht, wenn der Angeschuldigte nachvollziehbar bestreitet. Macht zwar etwas mehr Ärger als ein freisprechendes Urteil (abgekürzt nach § 267 Abs. 5 StPO: „Der Angeklagte war aus tatsächlichen Gründen freizusprechen. RiAG.“), könnte aber auf Dauer eine erzieherische Wirkung auf die Amtsanwaltschaft haben.
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