Wie macht ein Strafsenat des BGH seinen Unmut gegenüber einer Strafkammer und einem Verteidiger Luft? Wer es wissen will, der lese BGH, Beschl. v. 22.06.2011 – 5 StR 226/11, in dem der 5. Strafsenat die Vorgehensweise m.E. sehr deutlich macht.
In der Sache ging es um die Verurteilung eines Angeklagten wegen schweren Raubes. Der Angeklagte hatte im Ermittlungsverfahren in seiner verantwortlichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren geltend gemacht, er leide an Schizophrenie und benötige Medikamente. Damit stand eine Maßregel nach § 63 StGB im Raum. Zu deren Anordnung ist es aber nicht gekommen, wohl aufgrund der getroffenen Verständigung (§ 257c StPO). Der BGH hat diese Vorgehensweise der Strafkammer – der Angeklagte hatte die Aufklärungsrüge erhoben – mit m.E. harschen Worten kritisiert. Es heißt im Beschluss:
„Die Aufklärungsrüge ist offensichtlich begründet. Die Strafkammer war nach der letztgenannten Vorschrift wegen der zweifelhaften Schuldfähigkeit des Angeklagten und einer im Raum stehenden Maßregel nach § 63 StGB an einer Verständigung – nicht anders als auch die Staatsanwaltschaft – gehindert. Es musste sich ihr aufgrund der eigenen, in die Anklageschrift aufgenommenen Hinweise des Angeklagten auf eine schwere psychische Erkrankung aufdrängen, ihn zur Frage der Schuldfähigkeit begutachten zu lassen. Dass das Tatbild der dem Angeklagten zur Last gelegten Verbrechen auf den ersten Blick eine Einschränkung seiner Schuldfähigkeit nicht nahelegt, ändert hieran angesichts des begründeten massiven Krankheitsverdachts nichts.
Die Rüge muss angesichts der alleinigen Beweisgrundlage des Geständnisses eines möglicherweise Geisteskranken zur umfassenden Aufhebung des angefochtenen Urteils führen.“
Und dem Verteidiger gibt der Senat mit auf den Weg:
„Das neue Tatgericht wird zu erwägen haben, ob dem Angeklagten ein neuer Verteidiger zu bestellen ist, nachdem der bisherige sich auf die vom Gericht initiierte grob sachwidrige Verständigung eingelassen hat. Die Erwägung, dass der Verteidiger womöglich zum vermeintlich Besten seines Mandanten handeln wollte, indem er ihm einen unbefristeten Freiheitsentzug infolge einer Unterbringung nach § 63 StGB zu ersparen suchte, verbietet sich angesichts der jetzt durchgeführten Revision (vgl. § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).“
Das letzte ist dann wohl: Venire contra factum proprium. „Grob sachwidrige Verständigung“ und der Rat zur Entpflichtung: Das ist schon was.
Und es war wieder keine Rechtsbeugung und wenn dann eine straflose, es handelt sich ja um eine Kammerentscheidung.
mit Verlaub, aber wie konnte der Kollege allen Ernstes in diesem Fall Revision einlegen. Der Entpflichtungsgedanke scheint mir ausnahmsweise Mal nicht wirklich weit hergeholt.
Einen Bärendienst, der dem Angeklagten erwiesen wurde. Der Mandant wird sich wohl von Herzen bedanken.
da hat der Kollege Feltus Recht :-). Manchmal muss man auch schweigen können. ich verstehe eh mesit nicht, warum Revision eingelegt wird, wenn das Urteil auf einer Verständigung beruht, mit der man ja einverstanden war.
@ ra. t. feltus
bärendienst? das wird sich in der neuen hauptverhandlung zeigen. § 20 stgb führt ja nicht automatisch zu § 63 stgb. für den fall, dass der beschuldigte sich in der zwischenzeit in behandlung begeben hat und erfolgreich medikamentiert wird, könnte evtl. die gefährlichkeit entfallen.
Es ist gelinde gesagt inkonsequent, wenn der BGH im Rahmen der Widerspruchslösung Fehlverhalten des Verteidigers dem Angeklagten jederzeit (zu seinem Nachteil…) zurechnen lassen will, andererseits sich aber mit Hinweisen auf eine mögliche Entpflichtung von der „Zurechnungsvariante um jeden Preis“ entfernt. Sorry.
Ich finde es nicht gut vom 5. Strafsenat, so harrsche Worte zu gebrauchen, ohne näher mitzuteilen, was denn tatsächlich vorgegangen ist. Daß der Verteidiger einerseits an einer sachwidrigen Verständigung mitgewirkt habe, andererseits eine hinreichende Revisionsrechtfertigung über eben jenen Mißstand gefertigt haben soll, wäre kaum nachvollziehbar, ebensowenig die Empfehlung des Senats, den Pflichtverteidiger zu entpflichten; schließlich wäre er es doch gewesen, der die Sache wieder gerade gebogen hat (im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft). Oder hat ein Wahlverteidiger die Revisionsbegründung verfaßt?
Vielleicht war die Verständigung ja durchaus sachgerecht, weil die Berufung des Angeklagten auf eine Geisteskrankheit offensichtlich vorgeschoben war. Wenn man schon so auf die Sahne haut wie der 5. Strafsenat, sollte man den Hintergrund etwas mehr erhellen.
Apropos Watschen…. Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 30.06.2011, 1 BvR 367/11, klingt ebenfalls wie eine Aufforderung zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens:
http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20110630_1bvr036711.html
Es wäre ja auch mal hilfreich gewesen, wenn der BGH die Rechtsgrundlage benannt hätte, nach der der alte Pflichtverteidiger abzuberufen wäre. Aber dafür hat´s wohl nicht mehr gereicht – bei dem ganzen Ärger.
Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß ein Pflichtverteidiger über die gesetzlichen Abberufungsgründe hinaus auch aus „wichtigem Grund“ entpflichtet werden kann. Als wichtiger Grund kommt jeder Umstand in Frage, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet (vgl. BVerfGE 39, 238, 244 f.; KG JR 1982, 349).
Nach Auffassung des BGH ist ein solcher wichtiger Grund offenbar gegeben, wenn ein Verteidiger an einer sachwidrigen Absprache mitwirkt. Für die Auswechslung des Staatsanwalts dürfte das jedoch wie üblich nicht ausreichen.
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Sagt mal, was ist eigentlich mit dem 5. Strafsenat neuerdings los? Das ist mir schon öfters aufgefallen in den vergangengenWochen. Watscht Strafkammern ab, beanstandet dieses und jenes und weist auch noch vorsorglich darauf hin, dass auch die Strafzumessung rechtsfehlerhaft wäre (in nem andern Fall). Mit, ich nehm Verlaub, halbgaren Ausführungen. Wäre es nicht das letztinstanzliche Gericht (der Letztsprechende klingt immer, als habe er Recht), es würde sich Aufhebungen über Aufhebungen einfangen. Woanders, 2-fache Vergewaltigung und KV, 6 Jahre, war ihm unvertretbar hoch! Und dass sich Opfer vorher bei andren Gelegenheiten „überreden“ ließ zum Sex, soll schuldmindernd wirken. Am objektiven Unrechtsgehalt, so auch der BGH eigentlich (andere Senate), ändert das nichts. Hätte ein andres Revisionsgericht als absurd bezeichnen können. … Sehr merkwürdig, wirklich sehr auffällig, dieser Leipziger Senat, episch und aufhebungs- und kritikfreudig, ob das mit dem Vorsitzproblem zu tun hat? Ist eine sehr aufdrängende Rechtsprechung des 5. auch sonst jmdm aufgefallen?