Etwas mehr Sorgfalt – auch beim Urteilstenor

Wer achtet schon auf den Urteilstenor :-), obwohl gerade er ja mit besonderer Sorgfalt abgefasst werden sollte.

Jedenfalls hatte der Amtsrichter, der die dem Beschl. des OLG Jena, Beschl. v. 16.11.2011 – 1 Ss Bs 17/11 zugrunde liegende Entscheidung erlassen hatte, auf den Urteilstenor nicht viel Mühe und Sorgfalt verwendet. Ergebnis: Das OLG hat aufgehoben, und damit vemutlich auch die Verteidigerin – aus dem Beschluss ergibt sich nicht eindeutig, ob sie den Fehler gesehen und gerügt hatte -, überrascht. Begründung:

„Es ist schon nicht ersichtlich, wegen welchem Tatvorwurf eine Verurteilung der Betroffenen erfolgte. Im Urteilstenor wird lediglich ausgesprochen, dass die Betroffene wegen „fahrlässig begangener Ordnungswidrigkeit„ zu einer Geldbuße von 270,00 € verurteilt wird. Dies stellt einen durchgreifenden Rechtsfehler dar.

Da die Regelung des § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO auch für die Abfassung der Urteile in Bußgeldsachen gilt, muss die Urteilformel die rechtliche Bezeichnung der Tat enthalten (KK-Senge, OWiG, 3. Aufl., § 71 Rdnr. 97). Dazu „soll“, wenn vorhanden, die gesetzliche Überschrift des jeweiligen Straftatbestandes verwendet werden (§ 260 Abs. 4 Satz 2 StPO). Passt die gesetzliche Überschrift nicht oder fehlt eine gesetzliche Bezeichnung wie oft im Nebenstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, so genügt eine pauschale Kennzeichnung nicht, vielmehr ist der Tatbestand in geeigneter Weise begrifflich – nicht durch Beschreibung des tatsächlichen Tatverhaltens – präzise und für die Prozessbeteiligten und die Öffentlichkeit griffig und verständlich zu bezeichnen. Eine Bezeichnung durch die Paragraphen des Gesetzes sollte unterbleiben (KMR-Stuckenberg, StPO, § 260 Rdnr. 43).

Wenngleich Formel und Gründe des Urteils ein ganzes derart bilden, dass jene aus den Gründen ausgelegt und unter gewissen Voraussetzungen ergänzt werden kann, wenn Art und Umfang der getroffenen Entscheidung unklar ist, so muss doch zwischen Formel und Gründen scharf unterschieden werden. Grundsätzlich ist eine Entscheidung, die in der Formel keinen Ausdruck gefunden hat, nicht getroffen. Daher muss die Urteilsformel, als Grundlage für die Vollstreckung und die Eintragung der Verurteilung in das Bundeszentral- bzw. Verkehrszentralregister, aus sich selbst heraus verständlich sein (vgl. LR-Gollwitzer, StPO, 25. Aufl., § 260 Rdnr. 28 und 30; KMR-Stuckenberg, StPO, § 260 Rdnr. 28). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Liste der angewandten Vorschriften, denn diese sind kein Bestandteil des Urteilstenors (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 260 Rdnr. 51).“

Also: Noch mal neu.

6 Gedanken zu „Etwas mehr Sorgfalt – auch beim Urteilstenor

  1. meine5cent

    Das Nebenstrafrecht bietet einiges an Tenorierungsfallen. So korrigiert der BGH (meist ohne größere Auswirkungen auf’s Ergebnis….) auch schon mal gerne den „Verstoß gegen das Waffengesetz“, wenn ein LG keine Lust hatte, sich durch die diversen Tatbestände des WaffG nebst Anlagen zu wühlen.
    Schön sind BZR- Einträge, die da lauten „Handeln ohne Erlaubnis“. Des Rätsels Lösung ist dann der Blick in die angewendeten Strafnormen. Es ging um unerlaubtes Betreiben des Einlagengeschäfts, 54 KWG.

  2. John Cage

    Ich mußte kürzlich einmal auf meine Geburtsurkunde schauen, um mich zu versichern, daß ich nicht bereits seit Jahrzehnten erhebliche Überstunden leiste, denn der Urteilstenor lautete dahin, daß mein Mandant „aufgrund der Hauptverhandlung vom 28. Februar 1897“ wegen einer „Rauschtat“ verurteilt worden sei. Hier scheint eher eine Rauschtat des Gerichts vorgelegen zu haben, denn ob des tatsächlichen Verhandlungsdatums (3. August 2010) konnte hier auch bei den kühnsten denkbaren Tippfehlern sein solcher nicht vorliegen. Das mit der „Rauschtat“ hat dem OLG dann auch nicht genügt. Der neubefaßte Amtsrichter hat sich dann für § 153 StPO entschieden….

  3. Andreas

    Als ich letzten Monat bei meiner Revisionsklausur festgestellt habe, dass die Urteilsformel des angegriffenen Urteils wegen mangelnder Konkurrenzangabe (in Tateinheint / Tatmehrheit mit) unzulässig ist, dachte ich, dass die so einen Mist auch nur in Klausuren einbauen.

    Die Urteilsformel des o.g. Urteils ist aber so offenkundig falsch, dass ich mich an meine Zwangsvollstreckungsklausur erinnert fühlte, wo es um die Vollstreckung des Tenors „Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger die ihr während der gemeinsamen Beziehung ausgehändigten Schmuckstücke zurückzugeben“ ging… man glaubt es kaum…

  4. meine5cent

    @Andreas:
    Man glaubt auch kaum, wenn man denn den Status des Klausurknechts und den Uni-Elfenbeinturm verlassen hat, dass sowohl in Anwaltskanzleien als auch bei Gerichten Menschen arbeiten. Und dass dann Fehler passieren, sei es wegen des Massengeschäfts, sei es aus Schlamperei oder deshalb, weil auch die Bezahlung (z.B. Justizschreibkräfte in Großstädten) nicht so ist, dass man die Besten der Besten anlockt.
    Das geht dann von merkwürdigen Klageanträgen bis zu kuriosen Tenorierungen.
    Im Wesentlichen funktioniert das System merkwürdigerweise dennoch.

    p.s.:
    Kürzlich begegnete mir in einem Schriftsatz ein seltsames Tier namens Ogu:
    „Dem Verhalten der Beklagten, alles und jedes zu bestreiten, haftet ein gewisser Ogu an“.

  5. Pingback: Schwere und leichte Kavallerie, oder: Wie schlecht sind GBA/GStA wirklich? | Heymanns Strafrecht Online Blog

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