Das LG Berlin hatte folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:
„Der Angeklagte nutzt die öffentlichen Verkehrsmittel in Berlin ständig bewusst ohne Bezahlung. So ist er auch zur hiesigen Berufungsverhandlung mit der U-Bahn gefahren, ohne einen Fahrschein bezahlt zu haben.
Zu den folgenden Zeitpunkten wurde er von Kontrolleuren der Berliner Verkehrsbetriebe angetroffen, als er jeweils mit der U-Bahn unterwegs war, ohne zuvor einen Fahrschein, insbesondere einen Einzelfahrschein im Wert von 2,10 Euro gelöst zu haben oder im Besitz eines gültigen Fahrausweises wie z.B. einer Monatskarte zu sein, weil er die Auffassung vertritt, für diese Leistung nicht zahlen zu wollen. Beim Betreten der U-Bahn-Wagen und während der Fahrt trug er an seiner Kleidung etwa in Brusthöhe ein Schild etwa in Größe einer Scheckkarte mit dem Aufdruck ´Für freie Fahrt in Bus und Bahn` und ´Ich zahle nicht` sowie in der Mitte einem Foto augenscheinlich von drei Bussen der BVG mit dem Querdruck ´Streik`. Dabei handelt es sich um folgende Tage:…
Die Berliner U-Bahn erlaubt den Fahrgästen einen barriere- und kontrollfreien Zugang zu den Bahnsteigen und den Zügen. Allerdings hat der Fahrgast beim Antritt der Fahrt im Besitz eines gültigen Fahrausweises zu sein, um zur Fahrt mit der U-Bahn oder anderer Verkehrsmittel aus dem Verkehrsverbund berechtigt zu sein.“
Auf der Grundlage ist der Angeklagte wegen Beförderungserschleichung (§ 265a StGB) verurteilt worden.
Dagegen seine Revision, über die das KG, Beschl. v.02.03.2011 – (4) 1 Ss 32/11 (19/11) entschieden hat. Das KG geht davon aus, dass die Beförderung durch ein Verkehrsmittel auch derjenige erschleicht, der bei dessen Betreten den allgemeinen äußeren Anschein erweckt, er sei im Besitz eines gültigen Fahrausweises und komme den geltenden Beförderungsbedingungen nach. Ein für den Fall einer Fahrscheinkontrolle vorgesehener Vorbehalt in der Form eines auf der Kleidung angebrachten scheckkartengroßen Schildes, mit dem die fehlende Zahlungswilligkeit zum Ausdruck gebracht wird, sei jedenfalls nicht geeignet, den äußeren Anschein zu erschüttern oder zu beseitigen.
Dazu u.a.:
„ …bb) Dass der Angeklagte beim Betreten des U-Bahn-Wagens und während der Fahrt das beschriebene Schild an seiner Kleidung trug, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn mit diesem Schild hat er den allgemeinen Anschein, sich ordnungsgemäß zu verhalten, nicht beseitigt.
Für einen fiktiven Beobachter wäre bereits nicht eindeutig und zweifelsfrei erkennbar gewesen, dass sich der Angeklagte in Widerspruch zu den Beförderungsbedingungen setzen wollte.
So wäre etwa für denjenigen, der den Angeklagten beim Einsteigen in die U-Bahn lediglich von der Seite oder von hinten beobachtet hätte, schon äußerlich nicht erkennbar gewesen, dass dieser entgegen seinem gezeigten Verhalten zur Zahlung des Fahrpreises (doch) nicht bereit war. Aber auch anderen, möglicherweise im U-Bahn-Wagen befindlichen Fahrgästen wäre der Vorbehalt des Angeklagten verborgen geblieben, sofern sie nicht das – schon angesichts der Größe nicht ohne weiteres ins Auge fallende – Schild im Einzelfall wahrgenommen und darüber hinaus auch noch dessen Aufschrift registriert hätten. Es ist zudem nicht einmal festgestellt, dass – mit Ausnahme der Kontrolleure, die erst nach der Leistungserlangung aufmerksam wurden – überhaupt jemand das Schild beachtet hat.
Der allgemeine Anschein der Ordnungsmäßigkeit wäre aber auch dann nicht beseitigt worden, wenn ein fiktiver Beobachter die Erklärung gelesen hätte. Denn die Aufschrift auf dem Schild war nicht eindeutig. Sie hätte auch als bloße Provokation oder als ein Eintreten für freies Fahren in Bus und Bahn im Sinne einer politischen Stellungnahme gedeutet werden können. Im vorliegenden Fall hat sich der Angeklagte durch sein – abgesehen von dem an der Kleidung angebrachten kleinen Schild – völlig angepasstes und unauffälliges Verhalten in den U-Bahn-Wagen begeben und sich hierdurch mit dem allgemeinen äußeren Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgeben. Seine mit dem Schild zur Verfügung gehaltene Erklärung, durch die er sich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit meint entziehen zu können, vermag den seinem Verhalten anhaftenden Anschein nicht zu erschüttern…“
„[…] weil er die Auffassung vertritt, für diese Leistung nicht zahlen zu wollen.“
Da frage ich mich doch glatt: Vertrat er nur die Auffassung, etwas nicht zu wollen, oder wollte er wirklich nicht?