In den letzten Tagen erreichten mich zwei Anfragen von Kollegen zum Bußgeldverfahren, die eine offenbar neue Verwaltungspraxis – jedenfalls war es mir so bisher nicht bekannt – zum Gegenstand hatten. Was mich stutzig macht, ist das Zusammentreffen von Anfragen einmal aus Baden-Württemberg und einmal aus NRW. Nur zufällig, oder neue Verwaltungspraxis?
In der Sache geht es darum, dass der Verteidiger Akteneinsicht beantragt hat. Als ihm die nach seiner Ansicht nicht vollständig gewährt wird, stellt er Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG. Bevor das AG darüber entscheidet, wird die Sache nach § 69 OWiG an das AG abgegeben. Die Kollegen fragen sich und mich, ob das so geht und was man da machen kann.
M.E. zumindest bedenklich, da die Verwaltungsbehörde durch das Vorgehen dem Antrag nach § 62 OWiG offenbar den Boden entziehen will. Der hat zwar keine aufschiebende Wirkung, m.E. muss darüber aber schon im Hinblick auf § 69 Abs. 3 Satz 2 OWiG entschieden werden, bevor abgegeben wird. Das sollte man beim AG im Wege des nachwirkenden Feststellungsinteresses geltend machen. Und im Verfahren: Nun AE-Antrag beim AG. Ist vielleicht gar nicht so schlecht, weil man über den bei einer Ablehnung mit der Beschwerde zum LG kommt.
Im Übrigen: Ist das wirklich eine neue Verwaltungspraxis oder treffen die beiden Anfragen nur zufällig zusammen?
Das war in Bayern meines Wissens schon immer so, schließlich ist er Zweck des Verfahrens, einen Beschuldigten möglichst schnell und unkompliziert der Verurteilung zuzuführen. Wer rechststaatliche Bedenken anmelden will, kann ja mal mit Herrn Nack telefonieren.
Sascha Petzold
Och, in einem meiner Fälle hat man mir gar nicht erst die Gelegenheit gelassen, Antrag nach § 62 OWiG stellen zu können. Ich hatte Akteneinsicht beantragt und mitgeteilt, dass der Einspruch anschließend begründet wird. Was kam, war die Ladung zur Hauptverhandlung.
Ich habe jetzt beantragt, das Verfahren zur Gewährung rechtlichen Gehörs an die Verwaltungsbehörde zurückzugeben. Hilfsweise vollständige AE durch das Gericht.
Mal sehen, was kommt, eine Überrachung wird es wohl nicht sein.
Wenn man im Staatsexamen so einen Murks fabriziert, wie die Herrschaften bei den Behörden und bei Gericht bisweilen, fällt man durch, dass es nur so kracht.
@s.p.
Ich weiß ja nicht, aus welchem Erfahrungsschatz Sie schöpfen. Gelegentlich soll es vorkommen, dass sich der Betroffene recht lange Zeit lässt und dann eben die Akten schon bei der Staatsanwaltschaft (oder gar bei Gericht) sind, wenn das AE-Gesuch dann mal bei der Verwaltungsbehörde eintrudelt. Daraus nun wegen zwei Anfragen eine „neue Verwaltungspraxis“ , die natürlich nichts anderes im Sinn hat, als das rechtliche Gehör zu verletzen, halte ich für etwas übertrieben (im Gegensatz zu den inzwischen weitgehend gestoppten Vollmachtstricksereien von Anwälten, die ja nur legitime Wahrnehmung prozessualer Rechte darstellen). Und nach meiner Erfahrung kommt es sogar in Bayern vor, dass OWi-Verfahren bei Gericht eingestelt werden oder freigesprochen wird. Abgesehen davon, dass Herr Nack kaum mit (reinen) OWi-Sachen befasst sein dürfte.
natürlich schöpft Herr Petzold nicht aus einem so reichen Erfahrungsschatz wie Sie. Wer kann das schon.
Werter Herr Burhoff, ich weiß jetzt nicht, was Ihre Antwort soll. Auch wenn Herr Petzold zu ihren geschätzten Followern gehören sollte, war sein Beitrag spätestens nach dem ersten Komma vollständig sachfremd und unsachlich. Wenn er Ihnen in Ihrer vormaligen Laufbahn einen Schriftsatz mit derartigen Anwürfen (Ziel des OLG Hamm ist es offenbar, schnell und unkompliziert eine rechtskräftige Aburteilung herbeizuführen…..) übersandt hätte, nehme ich an, dass Sie einigermaßen wenig begeistert über derartige gewesen wären.
Aber es ist ja Ihr blog.
In meiner Praxis sind in den letzten Monaten mehrere Fälle aufgetreten, in denen die Staatsanwaltschaft das Akteneinsichtsgesuch ignoriert und sofort Anklage erhoben hat. Wird dies im gerichtlichen Verfahren beanstandet, erhält man regelmäßig zur Antwort, der Anspruch auf rechtliches Gehör sei ja kein Selbstzweck, man habe schließlich im Zwischenverfahren und im Instanzenzug noch mehrfach Gelegenheit, die Akte einzusehen und sich zu den Vorwürfen zu äußern. Die Verweigerung von Akteneinsicht zu einem möglichst frühen Zeitpunkt findet man bei Behörden und Gerichten offenbar zunehmend normal.
Warum also nicht erst zum Zwecke der Revisionsbegründung erstmals Akteneinsicht gewähren? Völlig ausreichend, um Einwände gegen die Vorwürfe und das Verfahren vorzubringen…
Die Verweigerung der Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren hat – soweit ersichtlich – weder im Bußgeld- noch im Strafverfahren Auswirkungen auf den Verfahrensgang. Bestensfalls kann man feststellen lassen, daß dieses Vorgehen rechtswidrig war. Aber was hat man von einer solchen Feststellung, so sie überhaupt getroffen wird?