Mich erreichte vor einigen Tagen die Mail eines Kollegen, der sich über die Abrechnungspraxis in seinem LG-Sprengel bitter beklagte, wenn es um die Erstattung der Wahlanwaltsgebühren nach einem Freispruch ging. Ich wollte an sich dazu sofort bloggen, habe dann aber doch lieber ein wenig gewartet, um erst mal meine Verärgerung über die Beispiele abklingen zulassen. Jetzt geht es, aber das vorweg: Manches ist schon abenteuerlich, was dem Kollegen da zugemutet wird; man kann es auch anders nennen, was ich mir hier aber verkneifen will.
Hier dann die Beispiele.
Sie werden bestimmt überschwemmt mit Informationen und Anfragen. Gleichwohl erlaube ich mir zum Gebührenrecht Ihnen hinsichtlich der Abrechnungspraxis in meinem „Sprengel“ das folgende mitzuteilen und vielleicht könnten Sie Ihre Auffassung dazu mitteilen. Ich weiß, dass Sie ein Freund von konkreten Sachverhalten sind, darum gleich zur Sache.
Mit gestrigem Datum habe ich zum wiederholten Mal in den letzten Monaten einen Kostenfestsetzungsbeschluss erhalten, indem mir nach einem Freispruch die Wahlverteidigergebühren jedenfalls bei der VV 4100 und VV 4106 herabgesetzt wurde. In einem gewissen Masse könnte ich das im Einzelfall sogar nachvollziehen. Aber so langsam sprengt das hier alle Grenzen nicht nur im Betrag sondern auch in der Begründung.
Bsp.: Bezirksrevisorin beim Landgericht Konstanz 10 Cs 22 Js 12328/10:
„ Die Grundgebühr Nr. 4100 Vv RVG soll den Arbeitsaufwand abgelten, der für die einmalige Einarbeitung in den Rechtsfall entsteht; die damit verbundenen Tätigkeiten sind das erste Gespräch mit dem Mandanten und die erste Beschaffung der richterlichen Informationen, insbesondere eine erste Akteneinsicht. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Gebührenrahmen des Wahlverteidigers für sämtliche Strafverfahren gilt, also auch vor dem Amtsgericht einerseits und vor dem Schwurgericht und Oberlandesgericht andererseits.
In dem vorliegenden Fall vor dem Einzelrichter halte ich eine Grundgebühr i.H.v. max. 130 € für angemessen.“!
Ich verstehe das so, dass Verfahren vor dem Einzelrichter grundsätzlich unterhalb der Mittelgebühr anzusetzen ist!
Das kann doch nicht sein!!!!
Aktueller Kostenfestsetzungsbeschluss von gestern des AG Ravensburg 11 Cs 15 Js 9708/10
„VV 4100
Bei nur 40 Seiten Akteneinsicht und einer angedrohten Strafe von 30 Ts handelt es sich um ein vom Umfang und Schwierigkeit her sehr unterdurchschnittliches Verfahren, weshalb eine Gebühr unterhalb der Mittelgebühr angemessen ist, zumal der Beschuldigte die Abhebung gar nicht bestritt.“
Festgesetzt wurden für VV 4100 gerade mal 80,00 €!!!!!!!
Sachverhalt: A hob mehrfach Geld vom Konto der Frau ab die aber die Vollmacht für ihn der Bank gegenüber schon widerrufen hatte, was A nicht wusste, ihm aber von der Anklage unterstellt wurde. Bei der Bank lagen offensichtlich Fehler in der Weitergabe des Widerrufs vor. Deshalb erfolgte Freispruch weil die Kenntnis des A vom Widerruf der Vollmacht nicht nachgewiesen werden konnte.
„VV 4106:
Es sind keine Tätigkeiten aus der Akte ersichtlich und auch nicht vorgetragen, aufgrund des einfach gelagerten Sachverhaltes (Ehefrau hat Ehemann vom Entzug der Bankvollmacht nicht in Kenntnis gesetzt), kann von einem sehr geringen Besprechungsaufwand ausgegangen werden, was eine Gebühr unterhalb der Mittelgebühr rechtfertigt.“
Festgesetzt wurden für VV 4103 geradem al 70,00 €
Die Beträge liegen sogar deutlich unter den Pflichtverteidigergebühren!!!
Und letztlich wurde mir in einem Verfahren vor dem Landgericht Ravensburg hier die Gebühr des VV 4103 VV völlig versagt.
Begründung: Der spätere Angeklagte hat, nach Beratung mit mir als seinem Verteidiger, die Angaben zur Sache vor dem Haftrichter verweigert. Damit sei nicht verhandelt worden, die VV 4103 entfalle daher. Dass die Haftvorführung von 19 Uhr abends bis ca. 22 Uhr 30 gedauert hat weil mein Mandant Diaylsepatient ist und die Haftfähigkeit in Frage stand, der Mittäter hochgradig auf Drogenentzug war, sodass er sich mit den Handschellen selber Platzwunden beibrachte die ärztlich versorgt werden mussten spiele dabei keine Rolle.
Dies sind Einzelbeispiele die mir in den letzten 3 Wochen vorliegen. Allerdings ist das so oder ähnlich seit ca. einem Jahr hier Praxis. Ich bin 15 Jahre Strafverteidiger und habe weder meine Abrechnungspraxis verändert noch meine immer von mir verwendeten Vorlagen. Es gab nie solche Begründungen oder gar Reduzierungen gerade nach Freisprüchen. Ich habe mich im Kollegenkreis erkundigt und es sind alle hier so überrascht und betroffen wie ich.
Fazit: Die Mittelgebühr scheint es in Süddeutschland nicht zu geben. Ich möchte den Bezirksrevisor sehen, der auf der Grundlage der von ihm dem Kollegen zugebilligten Bruttogebühren – von denen Büro pp. bezahlt werden muss – arbeiten würde. Die Gewerkschaft Ver.di oder der Beamtenbund würden schreien. Und: Eins ist eindeutig falsch: Bei der Grundgebühr die Ordnung des Gerichts zu berücksichtigen. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die Nr. 4100 VV RVG nicht von der Ordnung des Gerichts abhängig gemacht hat, folgt gerade, dass die Frage dort nichts zu suchen hat. Das ergibt sich auch eindeutig aus der Gesetzebegründung zum RVG, die davon ausgeht, dass der Einarbeitungsaufwand bei den Verfahren gleich ist. Ich frage mich, warum eigentlich eine Gesetzesbegründung geschrieben wird, wenn sie dann doch nicht gelesen wird.
Ich kann den Ärger des Kollegen verstehen und kann ihm nur raten, in allen Fällen – wenn möglich – ins Rechtsmittel zu gehen. Dann mag das Gericht entscheiden und darlegen, warum z.B. 70 € angemessen sein sollen. Dafür kommt ja noch nicht einmal ein Fliesenleger.
Deshalb ist es auch kaum möglich, höhere Honorare mittels Honorarvereinbarungen durchzusetzen. Denn wenn der Mandant im Falle eines Freispruchs im Kostenfestsetzungsverfahren liest, daß selbst die gesetzlichen Mittelgebühren schon viel zu hoch gewesen wären, wird er sich mit einiger Sicherheit über das von ihm bezahlte Honorar beschweren und ggf. auf Rückzahlung klagen. Und da die meisten Zivilrichter schon einmal irgendwann Strafrecht gemacht haben, dürfte die Klage sogar Aussicht auf Erfolg haben. Demnächst dürfen sich Verteidiger vermutlich auch noch wegen des Vorwurfs der Gebührenüberhebung (§ 352 StGB) verantworten, wenn sie in Kenntnis der knauserigen Rechtsprechung des zuständigen Gerichts gleichwohl auf die Mittelgebühr bestehen oder sogar den Gebührenrahmen auszuschöpfen wagen.
Es ist, vorsichtig formuliert, wenig nachvollziehbar, daß ein Rechtsanwalt für geringere Stundensätze arbeiten soll, als ein ungelernter Handwerker. Stand nicht früher einmal im DRiG, daß das Studium der Rechtswissenschaften auch Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge wecken soll? Diese Anforderung ist, glaube ich, irgendwann weggefallen, was manche Gerichte offenbar zum Anlaß genommen haben, sich in Betriebswirtschaftslehre nicht mehr fortzubilden.
Die Gebühren des RVG sind seit sieben Jahren nicht mehr erhöht worden (gab es eine so lange Pause schon einmal im öffentlichen Dienst?). Gleichzeitig hat sich die Rechtsprechung in den vergangenen sieben Jahren bemüht, herauszuarbeiten, weshalb die Mittelgebühr trotz ständig steigender Kosten in der Regel überzogen ist, insbesondere in Bußgeldverfahren. 80,- Euro brutto abzüglich Kosten für Büro und Personal, abzüglich Steuer, da bleiben bei vielen nur 20,- bis 30,- Euro als Nettogewinn hängen. Aber dafür kann man als Anwalt ja mal 2-3 Stunden arbeiten. Sind ja immer noch 10,- Euro die Stunde.
die letzte lineare Gebührenerhöhung ist von 1994 :-(, das RVG hat nur strukturelle Änderungen gebracht, die teilweise zu Gebührenerhöhungen geführt haben.