Die Begründung der Verfahrensrüge ist immer wieder einen Post wert. Vor allem, wenn es sich um einen Beschl. handelt, in dem von einem Obergericht die Messlatte mal wieder höher – lassen wir hier dahingestellt, ob zu hoch – gelegt wird. So das KG in seinem Beschl. v. 30. 6. 2010 – 3 Ws (B) 213/10 – 2 Ss 99/10 zum erforderlicher Umfang der Begründung beim schweigenden Angeklagten/Betroffenen. Das KG führt aus, dass dann, wenn mit der Rechtsbeschwerde beanstandet wird, dass dem Betroffenen trotz seines Schweigens in der Hauptverhandlung eine Erklärung seines Verteidigers zur Fahrereigenschaft zugerechnet worden ist, zum zulässigen Rügevorbringen nicht nur der Hinweis auf das Schweigen des Betroffenen gehört, sondern auch die Mitteilung, dass eine Bestätigung der Erklärung des Verteidigers durch den Betroffenen nicht erfolgt ist.
Wie gesagt: Die Entscheidung stellt eine weitere Verschärfung der Rechtsprechung der Obergerichte zum erforderlichen Umfang der Verfahrensrüge dar. Verlangt wird der Vortrag einer sog. Negativtatsache (vgl. dazu auch BVerfG NJW 2005, 1999). Der Verteidiger muss in diesen Fällen also durch entsprechende Ausführungen in der Rechtsbeschwerdebegründung ausdrücklich klarstellen, dass eine Bestätigung seiner Angaben durch den Betroffenen in keiner Weise erfolgt ist. Das ist in etwas vergleichbar der Konstellation, wenn geltend gemacht wird, dass im Urteil eine in der HV nicht verlesene Urkunde verwertet worden ist. Auch da muss ja vorgetragen werden, dass die Urkunde auch sonst nicht zum Gegenstand der HV gemacht worden ist. Diese Rechtsprechung ist im Übrigen vom BVerfG abgesegnet worden. Da der Fall mit dem schweigenden Angeklagten vergleichbar ist, kann man die Entscheidung des KG so gerade noch durchgesehn lassen. Die Messlatte wackelt, aber sie fällt nicht.
Widmaier weist im heute frisch eingetroffenen StraFo 2010, 310 [315], zutreffend darauf hin, daß die Zulässigkeitshürde des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO kaum noch genommen werden kann. Wenn man jetzt nicht nur bis auf’s letzte Komma alles vorzutragen hat, was geschehen ist, sondern auch das, was nicht geschehen ist, kann man die Rechtsmittel der Revision/Rechtsbeschwerde in Sachen Verfahrensrüge praktisch völlig abschreiben.
Widmaier beklagt zurecht: „Es ist erstaunlich zu sehen, welche Phantasie (und welchen Fleiß beim eigentlich resivionsfremden Durcharbeiten der Akten) die Sachbearbeiter der Bundesanwaltschaft entwickeln, um ein feinsinniges Detail präsentieren zu können, das die Revision noch unbedingt hätte vortragen müssen, was sie – mit der Folge der Unzulässigkeit der Verfahrensrüge – aber nicht vorgetragen habe.“
Die Vorgabe, das Revisionsgericht dürfe nicht selbst in die Akten schauen, ist natürlich realitätsfern. Selbstverständlich schauen Revisionsrichter in die Akten. Wenn es gilt, im „Freibeweisverfahren“ eine Tatsache aus den Akten zu ergründen, die das gewünschte Ergebnis stützt, hat man keine Hemmungen. Aufrichtig wäre diese Haltung nur, wenn das Revisionsgericht die Akten nicht vorgelegt bekäme und tatsächlich nur anhand der Protokolle, der Urteilsgründe und der Revisionsbegründungen entscheiden müßte.
ich gebe Ihnen Recht. Man hat wirklich den Eindruck, dass die Hürden immer höher gebaut werden. Und wenn es dem Verteidiger ausnahmsweise gelint, drüber zu springen, dann merkt man sich das für das nächste Mal und schraubt sie dann höher. ich galueb, so hatten sich das die „Väter und Mütter“ der StPO nicht gedacht.