Man ist ja dann doch erstaunt, wenn man manche (amtsgerichtlichen) Entscheidungen liest und man fragt sich dann, welche gebührenrechtliche Literatur lesen (Amts)Richter eigentlich? So ist es mir ergangen beim Lesen des mir erst jetzt bekannt gewordenen Beschlusses des AG Bochum vom 23.01.2009 – 37 Ds 64 Js 1006/06 -75/07. Wenn man den liest, kann die Antwort nur lauten: Offenbar überhaupt keine.
In der Sache geht es um Voraussetzungen für das Entstehen des gebührenrechtlichen Haftzuschlags aus Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG. Dazu stellt das AG darauf ab, dass für sein Entstehen „tatsächliche Erschwernisse“ erforderlich seien. Die sieht das AG aber nicht, da der RA mit dem Inhaftierten ja nur korrespondiert habe. Hätte sich das AG in der Frage aber vielleicht mal in Rechtsprechung und Literatur informiert, dann hätte es unschwer feststellen können, dass die von ihm entschiedene Frage in der gesamten Rechtsprechung und Literatur anders gesehen wird. Alle OLG, die bisher zu der Frage der Erschwernisse Stellung genommen haben, haben nämlich zutreffend darauf abgestellt, dass es auf deren tatsächliches Vorliegen nicht ankommt (KG, Beschl. v. 10.11.2006 – 4 Ws 166/06, www.burhoff.de; Beschl: v. 12. 12. 2006, 3 Ws 213/06; www.burhoff.de; KG RVGreport 2007, 462 = StraFo 2007, 483 ; OLG Celle StraFo 2008, 443 = AGS 2008, 490 = StRR 2009, 38 = NStZ-RR 2008, 392; OLG Hamm StRR 2009, 39 = RVGreport 2009, 149; s.a. AG Hanau, Beschl. v. 19. 5. 2009, 50 Ds 4200 Js 20340/07b; aus der Lit. s. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 18. Aufl., VV Vorb. 4 Rn. 44; Burhoff in: Burhoff (Hrsg.) RVG Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., 2007, Vorbem. 4 VV Rn. 87; Anw-Komm-RVG/N. Schneider, 4. Aufl., VV Vorb. 4 Rn. 43). Das ist ja auch gerade der Unterschied zur Vorgängerregelung des § 83 Abs. 3 BRAGO, die als Ermessensvorschrift ausgebildet war (vgl. dazu BT-Dr. 15/1971, S. 221). Das sollte dem AG nunmehr mehr als fünf Jahren nach dem Inkrafttreten des RVG eigentlich nicht entgangen sein. Zumindest hätte es aber seine abweichende Auffassung begründen müssen und nicht nur apodiktisch die Abweichung in den Raum stellen dürfen. Es hätte die juristische Öffentlichkeit ja schon interessiert, welche besseren (?) Argumente das AG Bochum gefunden hat. M.E. gibt es keine.
Für den Verteidiger im Übrigen eine missliche Situation, da er, da der Beschwerdewert des § 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG nicht erreicht ist/war, ein Rechtmittel nicht hat/hatte. Insgesamt kann man m.E. nur das Fazit ziehen: So bitte nicht.
Das ist aber jetzt ein wenig albern, oder?
Vermutlich kannte der Amtsrichter diese OLG-Rechtsprechung nicht, ja.
Aber vermutlich hatte der Anwalt des Angeschuldigten es auch nicht für nötig befunden, seiner Erinnerung einen Hinweis hierauf beizufügen. Da ist er dann auch selber schuld.
Da Sie vermutlich das Problem um amtsgerichtliche Erledigungszahlen noch kennen, werden Sie doch nicht im Ernst die Ansicht vertreten wollen, ein Amtsrichter müsse bei jeder nicht weiter begründeten Vergütungserinnerung wegen Bagatellsummen erst einmal Kommentare wälzen (die man im Zweifel auch nicht auf dem Zimmer hat).
Hallo, was ist daran „albern“ und was hat das mit einer „Bagatellsumme“ zu tun? Und wieso ist der Pflichtverteidiger verpflichtet, seiner Erinnerung einern Hinweis auf die h.M. beizufügen. Warum kann/muss ich nicht auch bei einer „Bagatellsumme“ erwarten können, dass der (Amts)Richter die h.M. kennt. Im Übrigen an vielen Stellen veröffentlicht, so auch bei juris. Und den Zugang haben die Richter in NRW.
Gerichtliche Entscheidungen sind immer ein Kompromiss zwischen „schnell“ und „richtig“. Bei Amtsgericht ist der Regler in den letzten Jahren immer mehr in Richtung „schnell“ verschoben worden. Das weiß auch jeder Anwalt. Wer darauf nicht zumindest dann durch entsprechende Hinweise zB auf obergerichtliche Rspr. reagiert, wenn die Sache – was ja auch der Anwalt vorher weiß – nicht beschwerdefähig ist, ist er nunmal selber schuld.
S. im Übrigen BGH, Urt.v. 18.12.2008 – IX ZR 179/07, NJW 2009, 987 (Pflichtverletzung des Anwalts, der das Gericht nicht auf geänderte BGH-Rspr. hingewiesen hat).
sorry, aber wir haben wohl eine unterschiedliche Sicht zur richterlichen Arbeitsweise. Die „Schuld“ jetzt dem RA aufzuladen, das ist m.E. „albern“. Denn woher soll er wissen, dass das AG die h.M. nicht beachten wird. Muss er nicht davon ausgehen, dass das Richter sie seiner Entscheidung zugrunde legt? Und: Muss ich nicht dann, wenn ein Rechtsmittel nicht mehr gegeben ist, über mir also der sog. blaue Himmel schwebt, besonders sorgfältig und richtig arbeiten. Im Übrigen geht es auch nicht um eine „geänderte BGH-Rspr.“. Aber lassen wir es. Wie gesagt: Unterschiedliche Sicht der Dinge, wobei ich allerdings nicht verhehle, dass mich Ihre Sicht doch ein wenig erschreckt.
Richter und anwaltliches Gebührenrecht: Zwei Welten prallen aufeinander. 😉
P.S. @Gregor: Sie finden es wohl auch richtig, dass ein Anwalt in die Haftung genommen werden kann, wenn er Gerichte nicht auf obergerichtliche Rechtsprechung hinweist.?
Iura novit curia! (So sollte es jedenfalls sein)
@JM: Unabhängig davon, ob Sie und ich das richtig finden, ist das nunmal die Rechtsprechung des BGH.
@Detlef Burhoff: Sie waren offenbar zu lange am OLG, um zu wissen, wie es da unten zugeht. Die Zeit, vor jeder rechtlichen Aussage einen Kommentar- oder juris-Check zu machen, hat da schon keiner mehr. Und wenn schon der Anwalt, um dessen Portemonnaie es im Ergebnis geht, keine Lust hat, sich einen Hinweis auf die zu seinen Gunsten sprechenden obergerichtlichen Entscheidungen abzuringen, kann man es dem Kollegen nun wirklich nicht verdenken, wenn ihm seine Zeit für anderes wichtiger war als nun gerade für Vergütungserinnerungen.
eben. es ist ja nicht sein Geld/seine Vergütung, um die es geht. warum da nachschauen. Sorry, aber ich kann Ihrer Argumentation leider nicht folgen.
Aha. Jetzt kommen wir der Sache also näher:
Der übliche Neid der Richter, dass Anwälte zu viel verdienen und dass Richter zu viel arbeiten. Darum scheint es hier zu gehen? Und die Vergütungserinnerung wäre ja gar nicht erforderlich gewesen, wenn von Anfag an richtig entschieden worden wäre…
Lieber Richter Gregor, wie soll ich meinen Mandanten denn bitte ein Rechtsverständnis wie Sie es hier vermitteln, plausibel machen? Ich kenne Amtsrichter, die ihren Job sehr Ernst nehmen und zB schreiben, dass sie keinerlei Verständnis für die Argumente aber auch die Wortwahl des (zynischen) Bezirksrevisors (im entsprechenden Fall) haben!
Nochmal ganz langsam für die, die alle offenbar noch nie ein Amtsgericht von innen gesehen haben: Es wäre schön, wenn der Amtsrichter genug Zeit hätte, um sowohl die Haftsache als solche (oder was auch immer das Dezernat an wichtigen Dingen bereithält) als auch die Vergütungserinnerung mit der gebotenen Sorgfalt zu bearbeiten. In einer idealen Justizwelt wäre das so. Die gibt es aber nicht, jedenfalls nicht in diesem Land. Ergebnis: Soviel Zeit hat der Amtsrichter de facto nicht. Er hat vielmehr nur etwa 25% der erforderlichen Zeit. Diesen Mangel muss er irgendwie verwalten. Jede Minute, die er der Vergütungserinnerung widmet, muss er der Haftsache abknapsen.
Da kann man sich natürlich für die Vergütungserinnerung entscheiden, schließlich führt da ein Fehler viel eher zu Krawall als oberflächliche Sachbehandlung an anderer Stelle. Trotzdem habe ich persönlich viel Sympathie für jemanden, der seine Prioritäten anders setzt. Und auch wenn die Herren Anwälte das nicht begreifen wollen: Ein Aspekt bei der notwendigen Abwägung ist aus meiner Sicht durchaus, dass der Anwalt hier offenbar zu faul war, selbst ein paar Worte zu seinem Vergütungsanspruch zu schreiben.
machen Sie sich keine Sorgen: Ich kenne Amtsgerichte auch von innen, da ich selbst dort einige Zeit tätig gewesen bin.
wer in dem von mir geschilderten Fall des AG Bochum zu faul war und wofür, das wollen wir dahin gestellt sein lassen. Sie können dem Pflichtverteidiger wohl kaum vorwerfen, wenn er nicht auf die h.M. (!!) hinweist. Und wenn er es tut: ich höre schon das Geschrei der Amtsrichter: Wer soll das denn alles lesen? Zudem: Der Amtsrichter müsste den Vortrag ja wohl prüfen. Und er hat ja, wie Sie geschrieben haben, wohl keine Zeit, Kommentare zu wälzen. Offenbar haben Sie dazu auch keine Lust.
Sorry, ich bin jetzt nicht mehr bereit auf dem Niveau weiter zu bloggen. Ich hatte ein anderes richterliches Selbstverständnis und habe das auch durchgezogen. Trotz der Belastung (und bevor Sie es schreiben: Trotz meiner vilefältigen Nebentätigkeiten).
Abschließend und zur Klarstellung: Ich kenne viele (Amts)Richter, die anders arbeiten und die jeder Sache – trotz ihrer Belastung – sorgfältig bearbeiten. Sie schaffen den Spagat.
Ja ja – egal wie wir Verteidiger es machen. Es ist immer falsch und wir sind immer schuld: Ich verweise nur auf den vor Kurzem eingestellten blog-Eintrag zum AG Augsburg (Wars am 9.9.?)Denn dort wollen Richter(innen) gerade keine Hinweise, weder auf hM noch auf das Gesetz!
Zitat: „Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass das Gericht die Vorschriften der StPO von Amts wegen beachtet. Entsprechende Hinweise Ihrerseits (in der Funktion als Verteidiger) sind also entbehrlich.“
Also wie mans macht ist es falsch. Solange man nicht der Richter ist, der den weißblauen Himmel (und gerade auch einwenig die untergehende Sonne) über sich hat…
Und weil ich mich über Ihre Arroganz, lieber Richter Gregor, inzwischen doch ärgere (schließlich sitze ich in der Kanzlei und arbeite nebenher. Und das habe ich gestern auch schon getan) noch dies:
Ich sehe Amtsgerichte (besser: Justizgebäude) häufig von innen. Zwar als Anwalt. Aber wenn ich dort ab 16 Uhr kaum noch Amtsrichter sondern meist nur noch junge Staatsanwälte und Beisitzende Richter am LG antreffe, dann spricht dies für sich. Ich habe nichts dagegen, wenn ein Amtsrichter diese Position als Ziel seiner Träume ansieht und – Zitat eines Richters hier vor Ort – deswegen dann aber auch mittags geht. Dann aber eben bitte nicht in einem Strafreferat, noch dazu mit Haftsachen. Es gibt auch das Vormundschaftsgericht oder andere „unverfängliche“ Positionen. Wobei der eben zitierte Richter seinen Job grandios gemacht hat und das Haftreferat bestens im Griff hatte – ohne je mit der Beschleunigung Probleme zu bekommen…
Ich nehme alles zurück, wenn Sie mir jetzt schreiben, dass Sie auch (nebenher) arbeiten…
Beste Grüße
der erwähnte Beitrag zum AG Augsburg steht hier: http://blog.strafrecht-online.de/2009/09/verteidiger-bleib-lieber-stumm-ich-weiss-alles/
Oh, es gibt natürlich immer wieder Überflieger, die die Akten in 25% der üblichen Zeit mit 200% der gebotenen Sorgfalt bearbeiten. Die sind aber meist nicht lange am AG (sondern landen am OLG, wo ihre stupende Arbeitskraft dermaßen brachliegt, dass sie noch Nebentätigkeiten im Umfang zweier voller Dezernate übernehmen können …). Ich kann das nicht. Ich muss schon Dreiviertel des Sonntags dranhängen, um mein armseliges (Zivil-)Dezernat zu schaffen.
Dass der Beschluss unterirdisch ist, darüber kann man nicht ernsthaft diskutieren. Die Entscheidung ist offenbar getroffen worden, ohne dass vorher ins Gesetz gesehen wurde. Andernfalls wäre nicht erklärbar, dass das AG auf irgendwelche Erschwernisse rekurriert, von denen im Gesetz keine Rede ist.
Andererseits empfinde ich die Forderung, großartig in gebührenrechtliche Literatur schauen zu sollen, etwas an den Verhältnissen vorbei. Das amtsrichterliche Dezernat ist nicht darauf zugeschnitten, dass Gebührenerinnerungen erst nach sorgfältigem Studium von Literatur entschieden werden. Bei solchen Sachen darf ein Blick ins Gesetz und der Gebrauch des gesunden Menschenverstandes ausreichen.
Also ich finde schon, dass auch Beschlüsse beim Amtsgericht zu weniger häufig vorkommenden Rechtsfragen mit dem Mindesmtaß an Sorgfalt erstellt werden müssen. Dazu gehört auch eine schnelle Juris-Recherche.
Das hindert natürlich keinen Anwalt, seine Anträge gescheit zu begründen.
Dass allerdings Sie Herr Burhoff meinen, die Situation am Amtsgericht beurteilen zu können, weil Sie selbst mal vor 20 Jahren am Amtsgericht waren, amüsiert mich dann doch etwas. Die Situation dürfte sich ein klein wenig verändert haben.
Zu dieser Diskussion fällt mir eigentlich nur eine Bemerkung ein:
Das Gericht hat das geltende Recht, und damit sowohl das Gesetz wie auch die hierzu ergangene Rechtsprechung, von Amts wegen zu beachten. Dies ist ein Grundsatz des Rechtsstaatsprinzips.
„Überlastung“ als Entschuldigung für offensichtlich rechtsfehlerhafte Entscheidungen anzuführen halte ich für mehr als bedenklich. Meinen Mandanten gegenüber kann ich das Versäumen einer Frist auch nicht mit „Überlastung“ entschuldigen. Im Unterschied zu dem bezeichneten Richter hafte ich allerdings meinem Mandanten gegenüber für diesen Fehler.
PS: Im übrigen kann man von einem Richter in einem Strafdezernat wohl erwarten, dass er sich zumindest am Beginn seiner Tätigkeit mit den grundlegenden und häufig auftretenden Fragen des Rechtsgebietes einschließlich der Gebührenvorschriften beschäftigt. Diese erste Einarbeitung sollte dann eigentlich schon reichen um zu registrieren, dass die Gewährung des Haftzuschlages einzig an der Haft selbst und nicht an irgendwelchen dadurch bedingten Erschwernissen hängt.
@ Gregor:
Leute wie Sie sind ein schlagendes Argument dafür, dass niemand Richter werden sollte, der nicht zuvor mehrere Jahre (nachweislich) als Anwalt gearbeitet hat.
@Dante: Dass Amtsrichter (zu) viel zu tun haben, bestreite ich nicht (das war aber auch schon früher – mit 20 Jahren kommen Sie leider nicht mehr aus 🙂 – so). Aber darum geht es doch gar nicht. Sondern die Frage ist doch, ob und wie ich mit meinen Sachen umgehe. Und da scheinen wir ja nicht auseinander zu liegen.
Wenn ich im Übrigen zu Amüsement in Ihrem offensichtlich amtsrichterlichen Alltag beigetragen habe, freut mich das :-).
Das 20 Jahre nicht reichen hatte ich schon vermutet. Ich wollte jetzt aber auch nicht unhöflich sein 😉
:-)). Kein Problem. Jeder ist so alt, wie er sich fühlt. Und im Moment geht es noch :-)).
Ich bin der Verteidiger, „gegen den“ die Kostenentscheidung ergangen ist. Zum Verfahrensgang nur soviel:
Zunächst hatte die Rechtspflegerin den beantragten Haftzuschlag mit der Begründung abgesetzt, daß mein Mandant ja nicht in derselben Sache eingesessen habe. Hiergegen erhob ich Beschwerde und begründete diese u.a. mit dem Hinweis auf den Aufsatz von Burhoff, StRR 2007, 54 ff. Der Beschwerde wurde ohne Begründung nicht abgeholfen.
Daraufhin erging (bekanntlich nun mit anderer Begründung für die Absetzung) der Gerichtsbeschluß vom 23.1.2009. Da das AG Bochum zunächst weiter mitteilte, daß hiergegen das Rechtsmittel der Beschwerde zulässig sei, erhob ich diese und begründete sie ausführlich.
Das AG meinte daraufhin, es habe sich vertan. Die Beschwerde sei doch nicht statthaft. Es habe sie auch nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulassen wollen: „Der Unterzeichner hält seine Entscheidung nach wie vor für richtig und sieht den eigentlichen Grundsatzstreit hier nicht bewirkt.“
Selbstverständlich blieb meine Gegenvorstellung erfolglos.
Soviel zu den „Hinweisen des Verteidigers“ und der „Überlastung“ der Amtsrichter.
Bochumer Landrecht :-((
1) An meinem (zugegebenermaßen kleinen und nicht in NRW gelegenen) Amtsgericht gibt’s keine StRR und kein LexisNexis und kein Strafrechtsportal. Ist das in Bochum anders? Wenn nein, wie soll der Amtsrichter aus Bochum mit einem Hinweis auf einen StRR-Aufsatz etwas anfangen?
2) Ich stelle mir gerade vor, ich sollte entscheiden, ob ein Anwalt eine Erschwerniszulage auch bei fehlender Erschwernis bekommt, und wir wollen annehmen, ich finde, das sollte nicht so sein. Dann schreibt mir der Anwalt, ein anderer Anwalt finde aber, das solle sehr wohl so sein, und bezieht sich hierfür auf eine mir nicht zugängliche Quelle. Das Anwälte dieser Ansicht sind, wundert mich jetzt erstmal nicht. Es ist mir aber als Argument ein bisschen dünn. Ich würde dann denken, wenn es dazu auch obergerichtliche Entscheidungen gäbe, hätte mir der Anwalt davon ja wohl erzählt, und sich nicht bloß auf seinen Kollegen bezogen. Also kann ich nach wie vor verstehen, dass der Bochumer Kollege sich nicht zu größeren Recherchen veranlasst sah.
3) Schön finde ich, dass die Anwälte hier der Ansicht sind, man solle sich als Richter gefälligst Mühe geben, jeden Fall perfekt richtig zu entscheiden, sie selbst gäben sich diese Mühe schließlich auch. Da kann ich aber nur müde lächeln. Ein Anwaltsschriftsatz, in dem nennenswerte rechtliche Überlegungen angestellt werden – von einer brauchbaren Subsumtion will ich ja gar nicht reden -, ist in der amtsgerichtlichen Praxis die große Ausnahme. Die große Mehrheit Ihrer Kollegen, mit denen ich zu tun habe, schaut ersichtlich nur sehr ausnahmsweise mal in einen Kommentar, nicht einmal bei offensichtlich problematischen und (im Unterschied zu Ihrer Vergütungs-Bagatelle) wirtschaftlich etwas bedeutenderen Sachen.
4) An meinem zentralen Argument geht der Einwand, man solle sich als Richter gefälligst Mühe geben, jeden Fall perfekt richtig zu entscheiden, überdies vorbei: Ein Richter kann seine Arbeitsbelastung nicht selbst steuern – das tut die Justizobrigkeit durch Stellenzuweisungen und Pensenschlüssel. Der einzelne Richter kann nur die Prioritäten setzen, zu wessen Lasten die Defizite etwas mehr und zu wessen Lasten sie etwas weniger gehen sollen.
Ich habe Ihnen schon mal geschrieben und tue es jetzt wieder bzw. doch noch einmal: Ich finde Ihre Art zu argumentieren erschreckend, auch stört mich das Wort „Vergütungs-Bagatelle“. Ich suche noch die Vorschrift, aus der folgt, dass bei Bagatellen eine geringere Sorgfalt ausreichend ist.
Das Ganze hat auch überhaupt nichts mit Anwalt zu Anwalt zu tun. Vielleicht nehmen Sie einfach nur die h.M., die Sie in jedem Kommentar finden, und schauen sich die an. Ich kann mir auch den Hinweis nicht verkneifen, dass es sich gerade in Gebührensachen, ja wohl um das Geld anderer Leute, nämlich des RA, handelt, über das der Richter befindet. Das sollte man schon bedenken. Aber wahrscheinlich werden Sie jetzt antworten, dass RAe eh zu viel verdienen.
Nur zur Klarstellung:
Selbstverständlich hatte ich nicht nur auf einen Aufsatz im StRR hingewiesen, sondern die Beschwerde(n) ausführlich begründet, incl. Mitteilung der einschlägigen Rechtsprechung.
Früher habe ich teilweise meinen Schriftsätzen Kopien der von mir zitierten Rechtsprechung bzw. Literatur beigefügt. Ich lasse dies mittlerweile, weil ich davon ausgehe, daß derartige Ausführungen häufig entweder nicht zur Kenntnis genommen werden (eine Rechtspflegerin sagte mir am Telefon, sie habe zwar meinen Schriftsatz gelesen, die von mir mit Textmarker sogar hervorgehobenen Ausführungen in der anliegenden Kopie aber nicht – wenn sie dies auch noch täte, komme sie überhaupt nicht mehr zum arbeiten…)oder als arrogant-hochnäsige Bevormundung der Richter durch einfache Advokaten verstanden werden.
Die allermeisten Richter machen ihre Arbeit gut und arbeiten viel. Wie überall, gibt es aber leider auch hier Ausnahmen. Und die sind dann besonders ärgerlich.
„Dann schreibt mir der Anwalt, ein anderer Anwalt finde aber, das solle sehr wohl so sein, und bezieht sich hierfür auf eine mir nicht zugängliche Quelle. Das Anwälte dieser Ansicht sind, wundert mich jetzt erstmal nicht. Es ist mir aber als Argument ein bisschen dünn. Ich würde dann denken, wenn es dazu auch obergerichtliche Entscheidungen gäbe, hätte mir der Anwalt davon ja wohl erzählt, und sich nicht bloß auf seinen Kollegen bezogen. “
Was ist denn das für ein Verständnis von der Tätigkeit eines Richters!?
Die Anforderungen an – zivilprozessual nicht einmal bestehende! – Hinweispflichten des Anwalts würden damit doch völlig überspannt. Selbst wenn der Anwalt oder die Naturalpartei ohne jeden Literaturverweis eine Rechtsansicht äußert, sollte der Richter diese prüfen. Eine Quelle nur abzulehnen, weil der Autor ebenfalls Anwalt ist, ist doch lächerlich. Auch der Beitrag einer nicht unparteiischen Quelle ist zu berücksichtigen; die Herkunft darf kritische Wachsamkeit wecken, aber nicht sofortige Ablehnung.
Sie bürden die Hinweispflicht den Anwälten auf, aber jegliche Fortentwicklung oder Erfassung des Rechts in der Literatur darf nur durch Nicht-Anwälte erfolgen? Wer beschäftigt sich schon mit Gebührenfragen und publiziert dazu – ReNos und RAe. Wenn deren Beiträge durch Gerichte nicht gewürdigt werden – wessen dann? Zeit, sich selbst mit dem Gebührenrecht auseinanderzusetzen, hat der Amtsrichter ja nicht.
Die Überlastung der Gerichte, von der Sie sprechen, darf nicht auf dem Rücken von Anwälten oder Parteien ausgetragen werden. Wenn sich durch Effizienzsteigerung (ohne Qualitätsverlust) nichts mehr bewirken lässt:
– Stellen Sie Überlastungsanzeige und
– terminieren sie spät. Der Staat trägt dann u. U. die Kosten wegen Versagung effektiven Rechtsschutzes. Die Justizverwaltung wird so ggf. zu einer ordnungsgemäßen personellen Ausstattung der Gerichte bewegt.
Karriereförderlich? Nicht unbedingt. Aber wenn es jemanden gibt, der in dieser Republik nicht um das Wohlwollen der Justizverwaltung buhlen sollte, dann ist es doch der Richter. Ansonsten entmachtet sich die Judikative doch selbst.