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StPO I: Wesentliche Änderung des Tatbildes, oder: Rechtlicher Hinweis erforderlich

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Und heute dann noch einmal StPO-Entscheidungen.

Hier zunächst ein Beschluss zum rechtlichen Hinweis nach § 265 StPO, und zwar der OLG Braunschweig, Beschl. v. 08.04.2024 – 1 ORs 6/24.

Das LG hat den  Angeklagten wegen Bestechlichkeit zu einer Geldstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen des LG haben die Ermittlungsbehörden vermutet, dass der Gefangene pp. auch aus der Haft heraus weiter Drogengeschäfte in erheblichem Umfang vornehme. Daher sei der Telefonanschluss seiner Frau im Rahmen einer genehmigten Telekommunikationsüberwachung überwacht worden. Im Rahmen dieser TKÜ-Aufzeichnung am 29.09.2018 habe die Polizei festgestellt, dass der inhaftierte Zeuge mit seinem Handy telefoniert habe. Da das Handy im Vollzug nicht gestattet sei, sei der Leiter des Sicherheitsdienstes der JVA, der Zeuge pp., informiert worden, der daraufhin angeordnet habe, den Haftraum des Gefangenen unverzüglich aufzusuchen und sofort das Handy sicherzustellen. Diesen Zugriff habe der Angeklagte mit dem weiteren Justizvollzugsbeamten und Zeugen pp. vornehmen sollen.

Im Rahmen dieser Haftraumprüfung habe der Angeklagte aufgrund eines Zahlungsangebotes von 20,- EUR mit dem Inhaftierten pp. eine Vereinbarung dahingehend getroffen, er (der Angeklagte) werde das Handy des Inhaftierten an sich nehmen, um es anschließend bewusst verschwinden zu lassen, oder den Inhaftierten blitzschnell in die direkt angrenzende Nasszelle rennen lassen, das Handy in der Toilette versenken und anschließend die Spülung ziehen lassen, ohne dass der Angeklagte Versuche unternehmen würde, diese Beseitigung des Handys zu verhindern, weil er ihm sein Einverständnis mit dem Belassen des Handys bzw. dessen Entsorgung signalisiert habe.

Während der Haftraumprüfung habe die Telefonverbindung (TKÜ-Aufzeichnung) noch bestanden, sodass das in der Zelle geführte Gespräch aufgenommen werden konnte.

Das der getroffenen Vereinbarung zugrundeliegende Gespräch hatte nach den Feststellungen der Kammer den folgenden Inhalt (UA Seite 7):

„Angeklagter: Mahlzeit
pp.: Hallo
Angeklagter: Na, biste am Telefonieren?
pp.: hmm
pp: Zwanni geb ich dir       bis zwanzig vor….
Angeklagter: Du hast schon länger Zeit 
pp.: Noch 5 Minuten, gucken sie mal an wie viel….
Angeklagter: Komm mal her!
pp.: Guck doch rein, ich hab doch nicht pp. guck doch mal hier.
Angeklagter: Komm mal her!
pp.: Ja ich komme….“

Auf der Grundlage dieses Gesprächs ist das LG davon ausgegangen, dass der Gefangene dem Angeklagten tatsächlich ein Angebot unterbreitet habe und der Angeklagte dieses auch angenommen habe. Die ursprünglich beabsichtigte Durchsuchung des Zeugen und die Sicherstellung des Handys habe sich seit dem Angebot für den Angeklagten erledigt. Nach der vorgenommenen Beweiswürdigung des LG habe der Angeklagte das Handy bereits gehabt oder er habe mit dem Gefangenen mittels Zeichen, Tuscheln, Signalen oder Gesten verabredet, dass dieser das Handy schnell in der Toilette entsorgen oder ihm zu Entsorgung übergeben könne, ohne seinen Kollegen pp., der als zweiter Beamter mit der Zellenprüfung betraut war, in diese Vereinbarung mit einzubeziehen, damit dieser nicht bösgläubig würde.

Das OLG hat auf die Revision des Angeklagten das LG-Urteil aufgehoben:

„Die mit Eröffnungsbeschluss zugelassene Anklage hatte dem Angeklagten zur Last gelegt, sich einer Bestechlichkeit gemäß § 332 Abs. 1 StGB schuldig gemacht zu haben, indem er sich bei einer durchgeführten Haftraumkontrolle als Gegenleistung für das Belassen des Handys beim Zeugen (dem Inhaftierten pp.) und das wahrheitswidrige Mitteilen, es sei kein Handy gefunden worden, von diesem 20,- € versprechen ließ. Demgegenüber hat das Landgericht festgestellt, um 1:28:47 Uhr sei die Aufzeichnung des Gesprächs entweder deshalb abgebrochen, weil der Angeklagte aufgrund des Zahlungsangebotes das Handy an sich genommen habe, um es anschließend bewusst verschwinden zu lassen oder pp. blitzschnell in die direkt angrenzende Nasszelle gerannt sei, das Handy in der Toilette versenkt habe und anschließend die Spülung gezogen habe, ohne dass der Angeklagte Versuche unternommen hätte, diese Beseitigung des Handys zu verhindern, weil er dem Zeugen pp. sein Einverständnis mit dem Belassen des Handys bzw. dessen Entsorgung signalisiert habe.

Das Gericht, das den Schuldspruch innerhalb des Rahmens der prozessualen Tat im Sinne des § 264 StPO auf einen gegenüber der Anklage wesentlich verändertes Tatbild stützt, muss dem Angeklagten zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen (Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 265 Rn. 52; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 66. Auflage 2023, § 265 Rn. 23 m.w.N.). Dies dient insbesondere dem schutzwürdigen Verteidigungsinteresse des Angeklagten.

Eine wesentliche Veränderung des Tatbildes lag vor. Die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten waren ohne den erfolgten Hinweis erheblich eingeschränkt. Er ist zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen worden, dass das An-sich-Nehmen des Telefons zur Entsorgung für das Landgericht als alternatives Tatverhalten in Betracht kommen würde. Die Annahme dieses alternativen Tatverhaltens ergibt sich auch nicht durch den Gang der Hauptverhandlung. Das Urteil beruht auf diesem Verfahrensfehler. Denn es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil des Landgerichts nach erfolgtem Hinweis und ggf. weiterem Verteidigervorbringen anders ausgefallen wäre. Hätte der Angeklagte Kenntnis von der Annahme eines alternativen Tatverhaltens gehabt, hätte er vorbringen können, dass ihm ein Verschwindenlassen des Handys in der konkreten Situation aufgrund der Kontrollmechanismen in der Justizvollzugsanstalt und des konkreten Ablaufs am Tattag gar nicht möglich gewesen wäre. Es ist nicht auszuschließen, dass die Kammer dann nicht zur Verurteilung gelangt wäre.“

StPO III: Maßregel ist in der Anklage nicht genannt, oder: Rechtlicher Hinweis in der HV erforderlich

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Und als dritte Entscheidung dann noch der BGH, Beschl. v. 29.08.2023 – 5 StR 365/23. Mal wieder „vergessener rechtlicher Hinweis“, also Verstoß gegen § 265 StPO.

Das LG hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen. Es hat aber seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen die Revision des Angeklagten, ders seine Verfahrensrüge auf eine Verletzung von § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO gestützt hat. Mit Erfolg:

„1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Die Staatsanwaltschaft erhob gegen den Angeklagten Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung. Auf Anregung des Landgerichts beantragte sie später hilfsweise eine Eröffnung im Sicherungsverfahren. Dem Angeklagten wurde dieser Antrag nicht mitgeteilt. Die Strafkammer beschloss die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung und die reguläre Eröffnung des Hauptverfahrens. Weder im Eröffnungsbeschluss noch in der Anklageschrift wurde die Möglichkeit einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus thematisiert. Auch im Folgenden wurde der Angeklagte vor der Urteilsverkündung durch die Strafkammer nicht darauf hingewiesen, dass die Verhängung einer derartigen Rechtsfolge in Betracht kam.

2. Der Angeklagte hat die Rüge in zulässiger Weise erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Insbesondere ergibt sich – wie auch in der Zuschrift des Generalbundesanwalts ausgeführt – auch ohne Nennung des § 265 Abs. 2 StPO als verletzter Vorschrift aus dem Revisionsvortrag eindeutig, dass sich der Beschwerdeführer dagegen wendet, ohne entsprechende Information durch die Anklageschrift und ohne vorherigen Hinweis des Gerichts einer Unterbringung nach § 63 StGB unterworfen worden zu sein.

3. Die Rüge ist begründet. Das Tatgericht ist unabhängig von einer eingetretenen Veränderung der Sachlage verpflichtet, den Angeklagten in der Hauptverhandlung gemäß § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO förmlich auf die mögliche Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung hinzuweisen, wenn die Maßregel in der zugelassenen Anklage keine Erwähnung gefunden hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 1. August 2017 – 4 StR 178/17, StraFo 2017, 418; vom 22. Oktober 2020 – GSSt 1/20, BGHSt 66, 20). Dem ist die Strafkammer nicht nachgekommen.

Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts unterliegen auch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der Aufhebung. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass sich der Angeklagte nach einem Hinweis auf eine mögliche Unterbringung auch in diese Richtung wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.“

OWi II: Erhöhung der Geldbuße wegen Vorahndungen, oder: Rechtlicher Hinweis erforderlich, ja oder nein?

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Als zweiten Beschluss stelle ich dann den auch vom OLG Düsseldorf stammenden OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.07.2023 – 3 ORBs 93/23 – vor. Der behandelt eine Verfahrensfrage in Zusammenhang mit der Erhöhung der Geldbuße wegen Vorahndungen.

Das AG hat gegen den Betroffenen wegen eines „handyverstoßes“ eine Geldbuße von 190,00 EUR anstelle der im Bußgeldbescheid festgesetzten 135,00 EUR festgesetzt. Dagegen wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit dem er die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt. Der Zulassungsantrag hatte keinen Erfolg:

„Bei Geldbußen von – wie hier – mehr als 100,00 EUR, aber nicht mehr als 250,00 EUR bedarf die Rechtsbeschwerde gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, § 80 Abs. 1 OWiG der Zulassung. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde kommt nur dann in Betracht, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) oder das Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).

Die hier allein erhobene Verfahrensrüge, mit der die Versagung rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) wegen eines fehlenden Hinweises des Gerichts, die Geldbuße zu erhöhen, geltend gemacht wird, dringt nicht durch.

Die Erhöhung der im Bußgeldbescheid ausgewiesenen Geldbuße durch das Gericht bedarf keines vorherigen gerichtlichen Hinweises entsprechend § 265 Abs. 1, Abs. 2 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG, wenn das Gericht hinsichtlich der Rechtsfolgen keinen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, was vorliegend weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist. Mit der Berücksichtigung von Vorahndungen — insbesondere einschlägiger Art — zu seinem Nachteil muss ein Betroffener rechnen. Hinzu kommt aber vor allem, dass bei der Bemessung der Regelsätze des Bußgeldkataloges gemäß § 3 Abs. 1 BKatV von fehlenden Eintragungen ausgegangen wird. Eine mit Art. 103 Abs. 1 GG unvereinbare Überraschungsentscheidung liegt daher bei ordnungsgemäßer Einführung von Vorahndungen in der Hauptverhandlung nicht vor, weil der Betroffene Gelegenheit zur Stellungnahme hatte (vgl. BeckOK OWiG/Bär, 38. Ed., OWiG § 80 Rn. 30 m.w.N.). Zudem war gegen den Betroffenen bereits im Bußgeldbescheid nicht die Regelgeldbuße festgesetzt worden, sondern es war wegen der Voreintragungen des Betroffenen im Fahreignungsregister eine (moderate) Erhöhung der Regelgeldbuße von der Bußgeldbehörde vorgenommen worden. Der von § 265 Abs. 2 StPO verfolgte Zweck, den Betroffenen nicht mit neu hervortretenden Umständen zu überraschen, die er nicht dem Bußgeldbescheid entnehmen konnte, ist deshalb hier gegenstandslos (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 6. Dezember 1979, Az. 6 Ss Owi 1576/79 m.w.N.). Aufgrund der Voreintragungen musste der Betroffene mit einer Erhöhung der Geldbuße rechnen.

Auch aufgrund der allgemeinen prozessualen Fürsorgepflicht war das Gericht zu einem Hinweis auf seine Absicht, die Geldbuße zu erhöhen, nicht gehalten. Das Gesetz hat für den Fall, dass das Gericht durch Urteil aufgrund einer Hauptverhandlung entscheidet, den Betroffenen mit dem Risiko einer gegenüber dem Bußgeldbescheid erhöhten Geldbuße belastet (§ 71 OWiG, § 411 Abs. 4 StPO). Es liegt in der Konsequenz dieser Regelung, die Entscheidung über eine Rücknahme des Einspruchs (§ 71 OWiG, § 411 Abs. 3 StPO) allein dem vorn Verlauf der Hauptverhandlung bestimmten Ermessen de3T9etroffenen bzw. seines Verteidigers zu überlassen (vgl. OLG Hamm, a.a.O.).“

Nun ja, kann man auch anders sehen. Und ein „prozessual fürsorgliches“ AG wird im Übrigen den Hinweis auch erteilen, allein schon, um dem Betroffenen ggf. die Möglichkeit zu geben, seinen Einspruch zurück zu nehmen.

StPO II: Einziehung einer Photovoltaikanlage, oder: Zubehör ist rechtlich selbständig

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Und als zweite Entscheidung dann das BGH, Urt. v. 12.07.2023 – 6 StR 417/22.

Das LG hat den Angeklagten F.   wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt sowie die Einziehung eines mit einer Tennishalle bebauten Grundstücks, der auf dem Hallendach installierten Photovoltaikanlage und des Wertes von Taterträgen angeordnet. Dagegen die Revision, die hinsichtlich der Einziehung teilweise Erfolg hatte:

„1. Nach den Feststellungen betrieben die bereits verurteilten D.Y., T., O.Y. sowie weitere Personen in der leerstehenden Tennishalle des Angeklagten F. eine Marihuanaplantage. In der Zeit von September 2020 bis Mai 2021 kam es zu einer Ernte und einer weiteren Anpflanzung. Wegen der ihm versprochenen Hallenmiete billigte F. den Anbau des Marihuanas zum gewinnbringenden Weiterverkauf und die Versorgung der Plantage mit Strom aus der auf dem Dach der Halle montierten Photovoltaikanlage; ferner unterstützte er beide Anbauvorgänge durch die Bereitstellung von Wohnraum für die Plantagenarbeiter, Transporttätigkeiten und das Überlassen von Gerätschaften.

2. Die zum Schuld- und Strafausspruch erhobenen Verfahrensrügen versagen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Der Erörterung bedarf nur das Folgende:

……

3. Eine weitere Verfahrensbeanstandung des Angeklagten führt zur Aufhebung der Entscheidung über die Einziehung der Photovoltaikanlage.

a) Der Angeklagte rügt zu Recht, dass er auf diese Rechtsfolge weder in der zugelassenen Anklage noch in der Hauptverhandlung hingewiesen wurde.

aa) Einem Angeklagten ist nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO in der Hauptverhandlung stets ein förmlicher Hinweis zu erteilen, wenn die zugelassene Anklage keinen Hinweis auf eine dort genannte Rechtsfolge enthält, wie etwa die Maßnahme der Einziehung von Tatmitteln (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB). Die Hinweispflicht gilt unabhängig davon, ob sich in der Hauptverhandlung im Vergleich zum Inhalt der Anklageschrift oder des Eröffnungsbeschlusses neue Tatsachen ergeben haben (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2020 – GSSt 1/20, BGHSt 66, 20).

bb) Der danach gebotene Hinweis wurde dem Angeklagten nicht erteilt. Insbesondere musste er nicht davon ausgehen, dass die Einziehung der auf dem Dach der Tennishalle installierten Photovoltaikanlage, die später der Versorgung der Marihuanaplantage mit Strom diente, schon aus ihrer Zubehöreigenschaft (§ 97 BGB) folgt. Denn Zubehör ist grundsätzlich rechtlich selbstständig; es unterliegt insoweit den für bewegliche Sachen geltenden Vorschriften, Zubehörstücke teilen daher nicht zwingend das rechtliche Schicksal der Hauptsache (vgl. MüKo-BGB/Stresemann, 9. Aufl., § 97 Rn. 42).

b) Auf diesem Rechtsfehler, der auch die zugehörigen Feststellungen erfasst (§ 353 Abs. 2 StPO), beruht die Einziehungsentscheidung. Denn es erscheint zumindest möglich, dass sich der Angeklagte erfolgreicher hätte verteidigen können (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 20/19).“

StPO II: „Wesensmäßiger Inhalt der Begehungsform“, oder: Bei Änderung rechtlicher Hinweis erforderlich

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Im zweiten Posting, komme ich dann noch einmal auf den BGH, Beschl. v. 13.12.2022 – 3 StR 372/22 – zurück. Das ist die „Stealthing“-Entscheidung des BGH, über die ich ja schon berichtet habe (vgl. hier StGB I: Heimlich ungeschützter Geschlechtsverkehr, oder: BGH zur Strafbarkeit des „Stealthing“).

In dem Verfahren hat der BGH aber über das „Stealthing“ hinaus auch zu einer verfahrenrechtslichen Frage Stellung genommen. Das LG hatte den Angeklagten wegen Vergewaltigung, schweren sexuellen Übergriffs sowie sexuellen Übergriffs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Dagegen die Revision des Angeklagten, die hinsichtlich einer Tat mit einer Verfahrensrüge Erfolg hatte:

„I. Die Verurteilung wegen Vergewaltigung im Fall II. 1. der Urteilsgründe hat keinen Bestand und führt zur Aufhebung der Gesamtstrafe, da der Angeklagte entgegen § 265 Abs. 1 StPO nicht auf eine Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes hingewiesen wurde. Die entsprechende, zulässig erhobene Verfahrensbeanstandung ist begründet.

1. Sie beruht auf folgendem in der Revisionsbegründung im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO dargelegten Verfahrensgeschehen: Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift legte dem Angeklagten in Bezug auf die unter II. 1. der Urteilsgründe festgestellte Tat zur Last, eine Vergewaltigung unter Ausnutzung des Umstandes begangen zu haben, dass die Geschädigte nicht in der Lage gewesen sei, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern (§ 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1 StGB). Die Verurteilung wegen Vergewaltigung stützt sich hingegen darauf, dass der Angeklagte gegen den erkennbaren Willen der Betroffenen sexuelle Handlungen an ihr vorgenommen habe (§ 177 Abs. 1 und 6 Satz 2 Nr. 1 StGB). Ein Hinweis auf den geänderten rechtlichen Gesichtspunkt wurde dem Angeklagten nicht erteilt.

2. Damit ist den Anforderungen des § 265 Abs. 1 StPO nicht genügt.

a) Ein anderes Strafgesetz im Sinne der Norm ist auch eine ihrem Wesen nach andersartige Begehungsform desselben Strafgesetzes, da der Angeklagte vor Überraschungen geschützt werden und Gelegenheit erhalten soll, sich gegenüber einem neuen Vorwurf zu verteidigen. Ob es sich um eine solche andersartige Begehungsform oder lediglich um eine gleichartige Erscheinungsform desselben Tatbestands handelt, bestimmt sich nicht nach äußeren Merkmalen, sondern ausschließlich nach dem wesensmäßigen Inhalt der Begehungsform (BGH, Urteile vom 30. Juli 1969 – 4 StR 237/69, BGHSt 23, 95, 96; vom 20. Februar 1974 – 2 StR 448/73, BGHSt 25, 287, 288 f.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. März 2018 – 2 StR 328/17, BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 23 Rn. 8).

b) Daran gemessen war eine Hinweispflicht gegeben. Es besteht ein wesentlicher Unterschied darin, ob sexuelle Handlungen an einer zur Willensbildung und -äußerung fähigen Person gegen deren erkennbaren Willen oder an einer Person vorgenommen werden, die einen entgegenstehenden Willen nicht bilden oder äußern kann (vgl. auch BeckOK StPO/Eschelbach, 45. Ed., § 265 Rn. 13 ff.; zu mehreren Begehungsformen der Vergewaltigung BGH, Beschluss vom 6. September 2005 – 1 StR 366/05, StV 2006, 5). Für einen verschiedenartigen Wesensgehalt spricht überdies, dass bis zur Neufassung des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB durch das Fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460) der sexuelle Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, der mit der neuen Fassung aufgegriffen werden sollte (s. BT-Drucks. 18/9097 S. 23), gesondert in § 179 StGB geregelt war.

3. Es ist nicht auszuschließen, dass sich der Angeklagte bei einem ordnungsgemäßen Hinweis wirksamer als geschehen verteidigt und sich dies auf das Urteil ausgewirkt hätte. Insofern braucht die Möglichkeit einer anderen Verteidigung nicht nahezuliegen; es genügt, dass sie nicht mit Sicherheit auszuschließen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 1989 – 1 StR 24/89, BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 5; Urteil vom 8. Juni 2022 – 2 StR 503/21, juris Rn. 21). So liegt es hier, zumal der Angeklagte seine Einlassung in Bezug auf die Erkennbarkeit eines etwaigen entgegenstehenden Willens hätte vertiefen oder modifizieren können oder gegebenenfalls weitere Beweisanträge zur Äußerungsfähigkeit der betroffenen Nebenklägerin in Betracht gekommen wären….“