Und dann noch eine „Pflichtverteidigungsentscheidung“, die mir der Kollege Scheffler aus Bad Kreuznach geschickt hat. Er war durch einen Hinweis des Kollegen Eickelberg bei FB auf den LG Hannover, Beschl. v. 23.01.2017 – 70 Qs 6/17 – daran erinnert worden, dass bei ihm schon länger der LG Bad Kreuznach, Beschl. v. 11.11.2014 – 2 Qs 130/14 – „schlummerte“, mit dem dem Beschuldigten ebenfalls wegen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage aufgrund eines im Raum stehenden Beweisverwertungsverbotes ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist. Dabei geht es um die „alt bekannte“ Problematik der Blutentnahme ohne Beachtung des sich aus § 81 Abs. 2 StPO ergebenden Richtervorbehalts:
„Die Mitwirkung eines Verteidigers ist im vorliegenden Fall gemäß § 140 Abs. 2 StPO geboten, weil von einer schwierigen Sach- und Rechtslage auszugehen ist.
Es steht zum einen die Verwertbarkeit der Analyse der entgegen § 81a Abs. 2 StPO ohne richterliche Anordnung entnommenen Blutprobe im Streit (vgl. LG Koblenz, Beschluss vom 06.02.2009 — 2 Qs 12/09; Burmann/Heß/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 23. Auflage, 2014, § 24a StVG Rn. 4).
Eine Einwilligung gemäß § 81a Abs. 1 StPO ist nur dann wirksam, wenn der Beschuldigte über die Bedeutung und die Gefährlichkeit sowie über sein Weigerungsrecht aufgeklärt wurde und wenn die Einwilligung auf freiem Entschluss beruht, insbesondere ohne erhebliche Alkoholbeeinflussung erklärt wurde (Karlsruher Kommentar, 7. Auflager, 2013, § 81a Rn. 2). Die Grenze, bei der eine deutliche Beeinträchtigung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit angenommen wird, liegt bei 2,0 Promille Blutalkohol (OLG Hamm Beschluss vom 02.11.2010 — III-3RVs 93/10). Aus diesem Grund ist die Wirksamkeit der Einwilligung fraglich und damit die Verwertbarkeit der Analyse der entnommenen Blutprobe zu prüfen.
Zum anderen sind Ermittlungen hinsichtlich der Schuldfähigkeit des Angeklagten veranlasst. Blutalkoholkonzentrationen ab 2,0 Promille deuten auf eine erhebliche Verminderung der Steuerungs-fähigkeit hin, sodass § 21 StGB stets zu prüfen ist (vgl. Tröndle-Fischer, StGB 60. Auflage, § 20 Rn. 21). Bei der hier vorliegenden Blutalkoholkonzentration von 2,06 Promille muss die Schuldfähigkeit zumindest überprüft werden.
Gesamtschauend erweisen sich die mit der Alkoholisierung des Angeklagten verbundenen Rechtsfragen damit als so schwierig, dass sie die Notwendigkeit der Verteidigung begründen.“
Auch der Beschluss ist m.E. zutreffend.
Die Entscheidung ist zutreffend. § 140 II S. 1 StPO ist eine Ausprägung des Gebots fairer Verfahrensführung, die aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 III GG folgt.
Aus § 140 II läßt sich eine Ermächtigung des Gerichts zu einer Ermessensentscheidung entnehmen (vgl. 2 BvR 786/02), wonach der Vorsitzende des Gerichts einen Verteidiger zu bestellen hat, wenn dessen Mitwirkung wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.
Diese „pflichtgemäße Ermessensausübung“ (vgl. OLG Saarbrücken, Bes. v. 24. 04.2007 – Ss 25/2007) scheidet nur dann aus, wenn dem Angeklagten eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr droht (vgl. 2 BvR 786/02); in diesem Fall ist die Mitwirkung eines Verteidigers im Sinne des § 140 Abs. 2 S. 1 StPO nämlich ohnehin geboten und für ein Ermessen des Vorsitzenden insoweit kein Raum.
Nicht zu vergessen ist zudem, daß das Unterlassen der nach § 140 Abs. 2 StPO erforderlichen Bestellung eines Pflichtverteidigers einen absoluten Revisionsgrund gem. § 338 Nr. 5 StPO darstellt (vgl. BGHSt 15, 306).