Gestern hat im Bundesrat die wohl letzte Sitzung dieser Legislaturperiode stattgefunden. Ich weiß, die Formulierung ist nicht ganz richtig, da es ja im Bundesrat keine Legislaturperioden gibt. Gemeint ist: Die letzte Sitzung des Bundesrates in der nun bald ablaufenden 19. Legislaturperiode der Bundestages.
Auch gestern wieder eine umfangreiche Tagesordnung für die 1008 Sitzung (vgl. hier). Davon interessiert mich als vornehmlich straf- und owirechtlich orinetierter Betrachter vor allem bzw. derzeit nur der TOP 5, nämlich die Drucksache 662/21 Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung – Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten gemäß § 362 StPO und zur Änderung der zivilrechtlichen Verjährung (Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit).
„Gesetz zur Herstellung der materiellen Gerechtigkeit“, wenn ich das schon lese. Da waren im BMJV mal wieder die Namensfinder am Werk, die unter mehr oder weniger wohlklingenden Namen verstecken, worum es eigentlich geht. Nämlich um eine Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten rechtskräftiger Freigesprochener, was in meinen Augen wenig mit „materieller Gerechtigkeit“, aber viel mit Verfassungsrecht zu tun. Das Gesetz hatte der Bundestag in einer seiner vielen Nachsitzungen am 24.06.2021 beschlossen – man beachte die BT-Drucks. 19/30399 datiert vom 08.06.2021.
Um die Änderungen hatte es viel Hin und Her gegeben, aber alles Sturmlaufen von Verbänden usw. hat nichts genutzt. Man hat es eben – ohne viel und lange Diskussionen – beschlossen. Und wer seine Hoffnung auf den Bundesrat gesetzt hat – es handelt sich um ein Einspruchsgesetz, der ist dann jetzt auch enttäuscht worden. Zwar hatte es wohl einen Antrag aus Thüringen, Sachsen, Berlin und Hamburg gegeben, der im Vermittlungsausschuss eine grundlegende Überarbeitung des Gesetzes verlangt hat; auch andere Bundesländer hatten Bedenken. Aber der Rechtsausschuss hatte dann nicht den „A…… in der Hose“ gehabt, die Anrufung des Vermittlungsausschusse zu empfehlen, sondern hat empfohlen (vgl. hier), den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen. Man hat sich mit eine (wahrscheinlich ungehörten) Empfehlung an den Bundestag zum Wegfall der zivilrechtlichen
Verjährung von Ansprüchen aus nicht verjährbaren Verbrechen begnügt.
Damit wird das „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“ seinen Weg (leider) gehen; ich glaube nicht, dass der Bundespräsident es so kurz vor der BT-Wahl stoppen wird. Das wird dann wahrscheinlich erst Karlsruhe tun.
Welche Änderungen gibt es nun?
- Geändert/Ergänzt worden ist § 362 StPO – Wiederaufnahme zu ungunsten des Verurteilten, und zwar um eine Nr. 5, die lautet:
„wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte wegen Mordes (§ 211 des Strafgesetzbuches), Völkermordes (§ 6 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches), des Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechens gegen eine Person (§ 8 Absatz 1 Nummer 1 des Völkerstrafgesetzbuches) verurteilt wird.“
- Außerdem hat man die §§ 194 ff. BGB so geändert, dass zivilrechtliche Ansprüche der Opfer gegen Täter schwerster, nicht verjährbarer Verbrechen nicht mehr wie bisher nach 30 Jahren verjähren.
Nun man wird sehen, was das BVerfG, das m.E. mit Sicherheit angerufen werden wird, aus der Geschichte macht. Ich könnte mir vorstellen, dass man sie „beanstandet“.
Dieses war m.E. der Schlusspunkt in einer unheilvollen Geschichte der Änderungsgesetze zur StPO in der ablaufenden Legislaturperiode. Dazu heute Nachmittag mehr.