Im Kessel Buntes dann heute mal etwas ganz anderes, und zwar eine Einstellungsnachricht der RAK München in einem berufsrechtlichen Verfahren, das aufgrund einer Eingabe der Staatsanwaltschaft Traunstein bei der RAK München anhängig war. Vorwurf: Der Kollege F.C. Alte aus Anzing soll „Werbung betrieben [haben], die auf Erteilung eines Mandates im Einzelfall gerichtet gewesen sei und damit gegen die Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung, § 43 BRAO i.V.m. § 43b BRAO, verstoßen“ haben. Was ihm „vorgeworfen“ wird/wurde, ergibt sich unschwer aus der Einstellungsnachricht, die ich hier mit Erlaubnis des Kollegen, der sie mir geschickt hat, einstelle:
„Ihre Eingabe betreffend Herrn Rechtsanwalt Florian C. T. Alte
Sehr geehrter Herr Oberstaatsanwalt pp.,
die zur Entscheidung berufene Abteilung II des Kammervorstands München hat beschlossen, das Verfahren gegen Herrn Rechtsanwalt Florian C. T. Alte einzustellen.
Begründung:
1.) Sachverhalt
Mit Eingabe vom 17.09.2018 haben Sie sich an die Rechtsanwaltskammer gewandt und den Vorwurf erhoben, Herr Rechtsanwalt Florian C. T. Alte habe Werbung betrieben, die auf Erteilung eines Mandates im Einzelfall gerichtet gewesen sei und damit gegen die Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung, § 43 BRAO i.V.m. § 43b BRAO, verstoßen.
Herr Rechtsanwalt Florian C. T. Alte soll demnach im Gebäude des Amtsgerichts Mühldorf gezielt einen sprachunkundigen Angeklagten angesprochen und diesem ein Mandat angedient haben.
Der Beschwerdegegner wurde mit Schreiben der Kammer vom 27.09.2018 zur Stellungnahme aufgefordert. Mit Schreiben vorn 18.10.2018 gab der Beschwerdegegner gegenüber der Rechtsanwaltskammer eine Stellungnahme ab.
Nach Auskunft des Beschwerdegegners sei es unzutreffend, dass er dem Angeklagten das Mandat angedient habe. Er habe sich anlässlich eines familienrechtlichen Termins im Gerichtsgebäude aufgehalten und; da er noch etwas Zeit hatte. aus Neugierde die Sitzungsaushänge vor den anderen Sitzungssälen betrachtet. Dabei sei ihm aufgefallen. dass einem aufgrund des Namens offensichtlich afrikanischem Angeklagten u.a. der Verbrechenstatbestand des Raubes vorgeworfen wurde.
Er sei verwundert gewesen, da in diesem Fall kein Verteidiger aufgelistet gewesen sei, obwohl bei dem Tatvorwurf die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers vorgelegen hätten.
Vor dem Sitzungssaal seien zwei dunkelhäutige Männer gesessen und hätten sich angeregt in einer ihm unbekannten Fremdsprache unterhalten. Aufgrund der Körpersprache habe er erkannt, dass einer der Männer sichtlich überfordert wirkte. Daraufhin habe er die Männer gefragt, ob sie anlässlich des Verfahrens wegen Raubes anwesend seien. Einer der beiden Männer, ein Dolmetscher, habe die Frage bejaht. Daraufhin habe er den Dolmetscher gefragt, ob der andere Mann einen Verteidiger habe. Der andere Mann verneinte die Frage mit dem Hinweis, das AG Mühldorf a. Inn habe die Beiordnung abgelehnt. Daraufhin habe er entgegnet, dass das Gesetz im Falle des Vorwurfs eines Verbrechens die Beiordnung eines Verteidigers vorsehe.
Erst daraufhin sei er über den Dolmetscher gefragt worden. ob er Rechtsanwalt sei, mit dem Zusatz, der Angeklagte würde die Hilfe eines Verteidigers benötigen und ob er helfen könne. Diese Frage habe er bejaht, mit dem wörtlichen Zusatz „wenn Sie das wollen“ und wies dabei darauf hin, dass er den Akteninhalt nicht kennen würde. Daraufhin habe der Angeklagte nochmals geäußert, dass er Hilfe benötigen würde und ihn gebeten hätte, diese Hilfe zu leisten.
Aufgrund der anderweitigen familienrechtlichen Verhandlung habe er an der Verhandlung nicht von Beginn an teilnehmen können und habe den Gerichtsaal erst nach Sitzungsbeginn betreten. Als sich eine Diskussion um die Rechtmäßigkeit seiner Anwesenheit im Sitzungssaal zwischen den Verfahrensbeteiligten entwickelte und seinem Ansinnen, der Richter möge den Angeklagten befragen. ob dieser die Anwesenheit des Beschwerdegegners wünsche, nicht nachgekommen wurde, habe er den Angeklagten selbst gefragt, ob dieser von ihm verteidigt werden möchte. Diese Frage habe der Angeklagte bejaht.
2.) Rechtliche Würdiqunq
§ 43b Var. 2 BRAO verbietet Werbung, die „auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist“. Nach der Rechtsprechung wird von § 43b Var. 2 BRAO nur der Fall erfasst, dass der Anwalt jemanden im Hinblick auf einen konkreten Beratungsbedarf werblich anspricht. Schutzzweck der Norm ist ein Nötigungs- und Überrumpelungsschutz.
Entscheidend ist letztlich der Grad der Gewissheit über den Beratungsbedarf, den der Anwalt haben muss, um nicht mehr auf einen konkreten Mandanten zuzugehen (Hartung/Scharmer, BORA/FAO, Neuauflage 2016, § 43b BRAO, Rn. 29). Während das sichere Wissen ohne weiteres ein Fall des § 43b Var. 2 BRAO ist und das bloße Vermuten nicht, ist nach wie vor offen, ob die Grenze beim bloßen „Annehmen“ oder erst beim „sicheren Annehmen“ zu ziehen ist (Hartung/Scharmer. BORA/FAO, Neuauflage 2016, § 43b BRAO. Rn. 29). Letztlich wird man angesichts der fehlenden Kontrollmöglichkeiten hinsichtlich solcher subjektiven Tatbestandsmerkmale nur das sichere Wissen um den Beratungsbedarf als Voraussetzung für das Werbeverbot des § 43b Var. 2 BRAO annehmen können (Hartung/Scharmer, BORA/FAO, Neuauflage 2016, § 43b BRAO, Rn. 29).
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdegegner den Angeklagten sowie dessen Dolmetscher zunächst lediglich in allgemeiner Form angesprochen, als er erkannte, dass einer der Männer sichtlich überfordert wirkte. Zu diesem Zeitpunkt war ihm aber weder sicher bekannt, dass es sich bei einem der Männer um einen Angeklagten handelte, noch dass dieser einen konkreten Beratungsbedarf hatte. Die bloße Vermutung allein reicht letztlich nicht aus.
Dabei hat sich der Beschwerdegegner nicht als Rechtsanwalt zu erkennen gegeben und auch nicht von sich aus die konkrete Mandatsübernahme angeboten. Vielmehr entwickelte sich eine Konversation unter Zuhilfenahme des Dolmetschers, in deren Verlauf von Seiten des Angeklagten die Frage an den Beschwerdegegner gerichtet wurde, ob dieser ihm helfen könne.
In dieser Konstellation einen berufsrechtlichen Verstoß annehmen zu wollen, ginge zu weit. Letztlich trifft man nahezu täglich in Gerichtsgebäuden auf Personen, die einen ,,hilfe- bzw. rat-suchenden“ Eindruck vermitteln, ohne dass von vornherein ersichtlich wäre, welche Art von Rat oder Hilfe benötigt wird. Es würde der Stellung des Rechtsanwaltes als unabhängiges Organ der Rechtspflege nicht gerecht werden, würde man verlangen, dass dieser in derartigen Situationen nicht auf im Gerichtsgebäude anwesende Personen zugehen dürfte.
Ein berufsrechtlicher Verstoß ist daher nicht gegeben.“
Wenn man es liest, mag man – jedenfalls ich – es nicht glauben und man – jedenfalls ich – frage mich: Was soll das? Hat man bei der Staatsanwaltschaft Traunstein nichts anderes zu tun, als solche Verfahren „anzuleiern“? Wir lesen doch überall und immer nur, wie überlastet die Justiz ist. Wenn das der Fall ist, sollte man aber doch mit den knappen Ressourcen sorgsamer umgehen und die (angeblich) knappe Zeit nicht für solche Sachen verplempern. Und man hätte genügend Zeit, sich ggf. um andere Dinge zu kümmern (§ 160 Abs. 2 StPO lässt grüßen). Um was? Nun, das scheint sich aus der Stellungnahme des Kollegen gegenüber der RAK zu ergeben, die ich ebenfalls mit seiner Erlaubnis einstelle und die das „Überlastungsproblem“ vielleicht noch mehr verdeutlicht. Denn im Hinblick auf wichtige prozessuale Probleme in dem inkriminierten Verfahren blieb die Staatsanwaltschaft wohl untätig.
Dazu hat der Kollege ausgeführt:
„Im Laufe des Verfahrens hat sich herausgestellt, dass das konkrete Verfahren gegen den Angeklagten unter Missachtung wesentlicher prozessualer Rechte des Angeklagten (Übersetzung der Anklageschrift in dessen Muttersprache) gelitten hat und bis heute leidet. Hätte ich in dem konkreten Fall nicht „eingegriffen“, wäre der Angeklagte mit großer Wahrscheinlichkeit verurteilt worden, da er zumindest einen Tatkomplex gestanden hatte. Zu keinem Zeitpunkt wäre der schwere Verfahrensfehler beachtet worden.
Vor diesem Hintergrund scheint es mir eher so zu sein, dass ich den Angeklagten vor einem Unglück bewahrt habe, als dass ich ein zu Lasten des Angeklagten bestehendes Unglück ausgenützt hätte.
Und überrumpelt wäre der Angeklagte nur dann worden, wenn er „mit Hilfe“ der Staatsanwaltschaft durch das Gericht verurteilt worden wäre, ohne dass ihm jemals die Möglichkeit eingeräumt worden wäre, seine Rechte als Angeklagter vollumfänglich zu nutzen.
Natürlich kann man meinen Ausführungen entgegenhalten, dass ich zu demjenigen Zeitpunkt, als die streitgegenständliche Unterhaltung zwischen mir und dem Angeklagten stattfand, keinerlei Kenntnis von dem schwerwiegenden Verfahrensmangel hatte. Dies würde jedoch aus meiner Sicht lediglich den Versuch darstellen, die in diesem Verfahren durch die Justiz verursachten Mängel zu bagatellisieren.
Gerade dieses Verfahren zeigt exemplarisch, wie wichtig die Aufgabe von Strafverteidigern im Rahmen des Systems der Strafjustiz ist.
Hierzu erlaube ich mir noch folgende Ergänzung:
Im Rahmen der Entscheidung über einen von mir gegen Richter auf Probe pp. eingereichten und mittlerweile als unbegründet zurückgewiesenen Befangenheitsantrag wurde die Ermittlungsakte sowohl von der Staatsanwaltschaft Traunstein, als auch vom Direktor des Amtsgerichts Mühldorf a. Inn – dieser war zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag berufen – bearbeitet.
Dabei ist der o.g. Verfahrensfehler (fehlende Übersetzung der Anklageschrift in die Muttersprache des Angeklagten) weder der Ermittlungs-, noch der Entscheidungsbehörde aufgefallen. Auch wenn der Fokus der Bearbeitung der Ermittlungsakte sicherlich auf den Ablehnungsantrag gerichtet war und nicht anderen Form- und/oder Rechtsfragen galt, halte ich diese Art von „selektiver Wahrnehmung“ für bedenkenswert.“
Da kann man dann nur noch anschließen: Es gibt viel zu tun. Packt es an, aber an der richtigen Stelle.