Über das BGH, Urt. v. 12.07.2017 – 1 StR 408/16 – ergangen in einem Missbrauchsverfahren habe ich in anderem Zusammenhang schon mal berichtete (vgl. Sexueller Missbrauch, oder: Abweichen vom Sachverständigengutachten). Heute greife ich das Urteil noch einmal auf, und zwar wegen der adrin vom BGh behandelten Beweisantragsproblematik.
In dem Verfahren hatte die Nebenklägerin hatte beantragt, Frau Diplom-Psychologin B. (hilfsweise einen vom Gericht zu bestimmenden Sachverständigen) als Sach-verständige zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass das Gutachten der Sachverständigen M. mit den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht in Einklang steht, so dass Zweifel an der Sachkunde der Sachverständigen M. bestehen, und ein weiteres Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die Angaben der Nebenklägerin insge-samt und zu den Tatvorwürfen gegen den Angeklagten erlebnisbegründet sind. Zur Begründung des Antrags bezog sich die Nebenklägerin insbesondere auf das mit dem Beweisantrag vorgelegte Gutachten der Diplom-Psychologin B. , die das Gutachten der Sachverständigen M. analysiert hatte und zu dem Ergebnis gekommen war, dass es den wissenschaftlichen Anforderungen an aussagepsychologische Glaubhaftigkeitsgutachten nicht ge-nügte.
Die Strafkammer hat nach Anhörung der Sachverständigen M. in der Hauptverhandlung den Antrag auf Einholung eines weiteren Sach-verständigengutachtens zur Frage des Erlebnisbezugs nach § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO durch Beschluss zurückgewiesen, weil durch das Gutachten der Sachverständigen M. das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen und weder die Sachkunde der Sachverständigen zweifelhaft sei noch deren Gutachten Widersprüche enthalte. Aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen M. sei für die Kammer bereits erwiesen, dass weder von Glaubhaftigkeit noch von fehlender Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin S. ausgegangen werden könne. Letztlich bleibe diese Frage durch das Gutachten der Sachverständigen M. unbeantwortet.“
Die Nebenklägerin rügt eine Verletzung des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO. Der BGH bejaht zwar einen Rechtsfehler:
a) Der von der Nebenklägerin gestellte Antrag ist ein Beweisantrag.
Ob der Antragsteller eine Beweisbehauptung in der gebotenen Konkretisierung aufstellt, ist ggf. durch Auslegung des Antrags nach dessen Sinn und Zweck zu ermitteln (st. Rspr.; z.B. BGH, Urteil vom 6. Juli 1993 – 5 StR 279/93, BGHSt 39, 251, 253 f.). Bei dieser Auslegung hat das Gericht die Beweisbe-hauptung unter Würdigung aller in der Hauptverhandlung zutage getretenen Umstände, des sonstigen Vorbringens des Antragstellers sowie ggf. des Akteninhalts zu beurteilen (BGH, NStZ (Pf/M) 1983, 208, 210; vgl. LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 117 mwN; SK-StPO/Frister, 5. Aufl., § 244 Rn. 59). Dabei dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden (vgl. LR/Becker aaO, § 244 Rn. 96 mwN).
Aus der Antragsbegründung ergibt sich deutlich, was die Nebenklägerin durch das Sachverständigengutachten belegen will. Sie will beweisen, dass bei Anwendung aussagepsychologischer Methodik auf ihre Aussage die dem An-geklagten im Anklagesatz vorgeworfenen Sexualstraftaten auf ihrem tatsächlichen Erleben beruhen, sie also Opfer der dem Angeklagten zur Last gelegten Taten geworden sei und ihre Angaben der Wahrheit entsprechen.
b) Die Ablehnung dieses Beweisantrags durch das Landgericht ist durch § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht gedeckt.
Es fehlt an der für eine Ablehnung nach § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO vorrangig erforderlichen Überzeugung des Gerichts, das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei durch das frühere Gutachten bereits erwiesen (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 3. November 2009 – 3 StR 355/09, NStZ-RR 2010, 51). Unter Beweis gestellt war, dass die Angaben der Nebenklägerin insgesamt und insbesondere zu den Tatvorwürfen gegen den Angeklagten erlebnisbegründet sind, sich also das im Anklagesatz geschilderte Geschehen tatsächlich ereignet hat. Das Gegenteil aber – dass die Tatvorwürfe gegen den Angeklagten nicht auf eigenem Erleben beruhen – hat das Landgericht in dem Beschluss nicht dargelegt.“
Aber: Auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags beruht das Urteil jedoch nicht. Denn der BGH schließt aus, dass das LG nach Einholung des weiteren Sachverständigengutachtens zu einer anderen Beurteilung der Angaben der Nebenklägerin gekommen wäre und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage und ihre Glaubwürdigkeit für gegeben erachtet. Na ja, warum muss man dann so viel schreiben vorher?