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Unverzügliche Vorführung nach vorläufiger Festnahme, ja aber, oder: „gewisser zeitlicher Spielraum“

Ich eröffne heute mit dem BGH, Beschl. v. 28.06.2018 – 3 StR 23/18. Das LG hatte die Angeklagten u.a. wegen Raubes mit Todesfolge verurteilt. Dagegen die Revision der Staatsanwaltschalt, die beanstandet hat, dass das LG einen bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten verneint hat. Die Revision hatte keinen Erfolg. Erfolglos war aber auch die Revision der Angeklagten. Mit einer war mit der Verfahrensrüge u.a. geltend gemacht worden, das Urteil beruhe auf den unter Verstoß gegen § 136a StPO gewonnenen Einlassungen der Angeklagten gegenüber der Polizei. Insoweit ist der BGH von folgendem Verfahrengeschehen ausgegangen:

„Am Morgen des 28. Januar 2015 fanden bei allen Angeklagten, dem nicht revidierenden Mitangeklagten sowie zwei weiteren Beschuldigten Hausdurchsuchungen statt, die durch am Vortag erlassene richterliche Durchsuchungsbeschlüsse angeordnet worden waren. Die Angeklagten und die weiteren Beschuldigten, die Mütter der Angeklagten R. und K. , wurden „in der Folge“ vorläufig festgenommen und nach den entsprechenden Belehrungen nach § 136 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO vernommen, wobei sie sich zur Sache einließen. Danach wurden die Vernehmungsprotokolle dem Ermittlungsleiter übergeben und ihr Inhalt in einer Teamsitzung von den ermittelnden Polizeibeamten besprochen, die am Folgetag Nachvernehmungen unter Vorhalt der Angaben der Mitbeschuldigten durchführten. Danach wurden die Angeklagten noch in der Frist des § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO am 29. Januar 2015 dem Haftrichter vorgeführt, der auf Antrag der Staatsanwaltschaft die entsprechenden Haftbefehle erließ. Die Mütter der Angeklagten R. und K. waren bereits nach ihren Vernehmungen am 28. Januar 2015 wieder entlassen worden.“

Die Revision hat dieses Vorgehen der Ermittlungsbehörden in zweifacher Hinsicht als eine bewusste Umgehung des Richtervorbehalts in Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 MRK gewertet: Zum einen habe spätestens bei Erlass der Durchsuchungsbeschlüsse nicht nur der hierfür erforderliche einfache, sondern ebenso ein dringender Tatverdacht vorgelegen, so dass bereits vor der Durchsuchungsaktion und den ihr folgenden Festnahmen Haftbefehle hätten eingeholt werden können. Deshalb sei für die in ermittlungsbehördlicher Eilkompetenz durchgeführte Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO kein Raum gewesen. Zum anderen hätte die Polizei die Angeklagten nach der Festnahme nicht vernehmen dürfen, sondern zunächst unverzüglich dem Haftrichter vorführen müssen (§ 128 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Der BGH sieht es anders:

„Soweit die Revision eine Verletzung des Richtervorbehalts bei Freiheitsentziehungen darin sieht, dass die Ermittlungsbehörden trotz eines bereits im Vorfeld der Festnahmen gegebenen dringenden Tatverdachts keine richterlichen Haftbefehle eingeholt, sondern die Beschuldigten aufgrund ihrer nach § 127 Abs. 2 StPO gegebenen Eilkompetenz vorläufig festgenommen hätten, ist die Verfahrensrüge unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dem Revisionsvorbringen kann nämlich – auch unter Einbeziehung der im Urteil mitgeteilten Verfahrenstatsachen – nicht entnommen werden, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls bereits vor der Durchsuchung und den anschließenden Vernehmungen vorgelegen haben. ….

Und im Übrigen:

(2) Soweit nach Auffassung der Revision ein ein Verwertungsverbot begründender Verfahrensverstoß darin zu sehen sei, dass die Angeklagten nach ihrer vorläufigen Festnahme vor der Vorführung vor den Ermittlungsrichter zunächst polizeilich mehrfach vernommen worden sind, ist die Rüge unbegründet. Zwar verlangen § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO, Art. 104 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG, dass der Beschuldigte „unverzüglich“ dem Richter vorgeführt wird. Dass dies spätestens am nächsten Tag, d.h. bis zum Ende des auf die Festnahme folgenden Tages, geschehen muss, ändert am Erfordernis der Unverzüglichkeit nichts (BVerfG, Beschluss vom 4. September 2009 – 2 BvR 2520/07, juris Rn. 19 ff. mwN). Doch darf die Vorführung nach vorläufiger Festnahme durch die Ermittlungsbehörden hinausgeschoben werden, soweit dies sachdienlich erscheint (vgl. KK-Schultheis, StPO, 7. Aufl., § 128 Rn. 5). Denn anders als bei der Festnahme auf der Grundlage eines bereits vorliegenden Haftbefehls, bei dem die Ermittlungsbeamten – mitunter ohne nähere Sachverhaltskenntnis und Entscheidungsbefugnis – den richterlichen Beschluss lediglich vollziehen und deshalb den Festgenommenen „unverzüglich“ dem Richter vorzuführen haben (§ 115 Abs. 1 StPO; vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 1995 – 5 StR 547/94, StV 1995, 283; vom 20. Oktober 2014 – 5 StR 176/14, BGHSt 60, 38, 43), war der Richter bei der vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO mit der Sache noch nicht befasst. In diesen Fällen verbleibt den Ermittlungsbehörden ein gewisser zeitlicher Spielraum, in dem sie vor einer möglichen Vorführung des Beschuldigten vor den Richter weitere Ermittlungsbefugnisse und -pflichten haben. Denn die mit der Aufklärung des Sachverhalts betraute festnehmende Behörde hat zunächst – je nach Sachlage unter Vornahme weiterer Ermittlungen – zu entscheiden, ob die vorläufig festgenommene Person wieder freizulassen oder tatsächlich dem Ermittlungsrichter vorzuführen ist; im letzteren Fall muss sie dem Richter eine möglichst umfassende Grundlage für seine Entscheidung unterbreiten. Es wird deshalb in vielen Fällen sachgerecht sein, den Beschuldigten, der – wie vorliegend – nach ordnungsgemäßer Belehrung zu einer Einlassung bereit ist, nach Erklärung der vorläufigen Festnahme (weiterhin) zu vernehmen, um dann darüber zu befinden, ob ein Haftbefehl zu beantragen ist und welche Umstände, die dessen Erlass begründen können, dem Richter darzulegen sind. Damit wird dem Beschuldigten gleichzeitig ermöglicht, die Verdachtslage in seinem Sinne zu beeinflussen und etwaige Haftgründe zu entkräften, so dass gegebenenfalls auf die Stellung eines Haftbefehlsantrags sogar verzichtet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 1989 – 2 StR 418/89, NJW 1990, 1188). Dass diese Grundsätze vorliegend befolgt wurden, zeigt insbesondere der Umstand, dass die ehemaligen Mitbeschuldigten, die Mütter der Angeklagten R. und K. , nach ihren Vernehmungen entlassen wurden.

Da das Vorgehen der Ermittlungsbehörden vorliegend somit im Hinblick auf den Richtervorbehalt nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 MRK, § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO keiner Beanstandung unterliegt, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob ein Verstoß gegen das Gebot der „Unverzüglichkeit“ der Vorführung überhaupt ein Verwertungsverbot nach sich zieht (zu § 115 StPO vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 1995 – 5 StR 547/94, StV 1995, 283).“

gewisser zeitlicher Spielraum“ – wie ich solche Formulierungen liebe 🙂 .