Heute eine StPO-Tag.
Den beginne ich mit einer Entscheidung des LG Nürnberg-Fürth u.a. zur zulässigen Dauer der Vollziehungsfrist eines strafprozessualen Arrestbeschlusses.
Folgender Sachverhalt: Der Beschwerdeführer (Bf.) wendet sich gegen einen Pfändungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Dem liegt zugrunde: Die Staatsanwaltschaft A (Italien) führt gegen den Bf. ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung. Am 19.05.2017 wurde der Bf. von Beamten des Zollfahndungsamtes M. einer Kontrolle unterzogen. Dabei wurden bei ihm Geldpakete gefunden, zu denen er aussagte, sie enthielten insgesamt 249.050 EUR, die aus dem Verkauf von Goldschmuck stammen sollten. Die Geldpakete wurden vorläufig sichergestellt. Am 17.05.2018 erließ das Amtsgericht Nürnberg in Erfüllung des italienischen Rechtshilfeersuchens einen Arrestbeschluss gegen den Bf. über 249.050 EUR. Am 09.07.2018 brachte das Zollfahndungsamt M. einen Vermerk zur Akte, wonach die Öffnung der in der Zollzahlstelle eingelieferten Geldpakete und die Zählung des Geldes lediglich einen Betrag von 200.000 EUR erbracht habe. Die 200.000 EUR wurden am 03.07.2018 gepfändet.
Der Bf. macht vor dem LG Nürnberg-Fürth gegen den Freistaat Bayern nunmehr im Klagewege einen Schadenersatzanspruch geltend, der darauf gestützt wird, dass 49.050 EUR aus seinem mitgeführten und dann sichergestellten Bargeld vor der Einlieferung in der Zollzahlstelle abhanden gekommen seien. In dem Zivilprozess ist unstreitig, dass von den 21 sichergestellten Geldpaketen nur 16 bei der Zollzahlstelle eingeliefert wurden. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth erließ am 07.09.2022 einen Pfändungsbeschluss über 49.050 EUR, mit dem der etwaige Schadenersatzanspruch des Bf. gegen den Freistaat Bayern gepfändet werden sollte.
Gegen diesen Pfändungsbeschluss wandte sich die Verteidigerin des Bf. Das AG Nürnberg hat das Beschwerdeschreiben als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 111k Abs. 3 StPO ausgelegt und ihn als unbegründet abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Verteidigerin mit der Beschwerde. Das Amtsgericht half nicht ab. Die Staatsanwaltschaft beantragt die Verwerfung der Beschwerde als unbegründet.
Das LG hat im LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 22.02.2023 – 12 Qs 75/22 – die Beschwerde als begründet angesehen:
„Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Pfändungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 07.09.2022 erweist sich als unwirksam, weil er erst vier Jahre und über drei Monate nach Erlass des zugrundeliegenden Arrestbeschlusses beauftragt und vollzogen worden ist.
1. Nach § 111k Abs. 3 StPO kann gegen Maßnahmen, die in Vollziehung der Beschlagnahme oder des Arrestes getroffen werden, gerichtliche Entscheidung beantragt werden.
Die Unwirksamkeit der angegriffenen Pfändung folgt aus dem Ablauf der konkret zulässigen Vollziehungsfrist. § 111f StPO nennt allerdings keine Frist für den Vollzug des Arrestes. § 111f Abs. 1 Satz 2 StPO verweist auch nicht auf § 929 Abs. 2 Satz 1 ZPO und die dortige Monatsfrist (OLG Celle, Beschluss vom 19.03.2018 – 18 W 20/18, juris Rn. 17 ff.). Gleichwohl besteht im Grundsatz Einigkeit darüber – und die Kammer schließt sich dem an –, dass ein Arrestbeschluss nach seinem Erlass zeitlich nicht unbegrenzt vollzogen werden darf. So wird vorgeschlagen, die Vollziehungsfrist bei strafprozessualen Arresten entsprechend § 929 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf einen Monat zu begrenzen (Buchholz/Weber, NZWiSt 2020, 306, 308; MüKoStPO/Bittmann, 2. Aufl., § 111f Rn. 14; Rönnau, Die Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2. Aufl., Rn. 207). Nach anderer Auffassung soll in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Vollstreckung von Durchsuchungsanordnungen der Vollzug nach sechs Monaten unzulässig sein (Johann in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 111f Rn. 3; Cordes, NZWiSt 2021, 45, 50; Kempf/Schilling, StraFo 2006, 180, 187). Die Rechtsprechung vermeidet demgegenüber, soweit erkennbar, starre Festlegungen, sondern wägt einzelfallbezogen ab (anders wohl AG Kiel, Beschluss vom 11.03.2020 – 43 Gs 516/20 [n.v., zitiert von Cordes, aaO Fn. 91]: sechs Monate). Je länger eine Arrestanordnung nicht vollzogen wird, umso mehr nimmt die Rechtfertigung für die Annahme einer Gefährdung des gesicherten Anspruchs und damit für den Arrestgrund ab (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 08.04.2009 – 1 Ws 339/08, juris Rn. 37; OLG Celle, Beschluss vom 19.03.2018 – 18 W 20/18, juris Rn. 20). Mit der den Eigentumseingriff intensivierenden Fortdauer der Maßnahme wachsen zudem die Anforderungen an die Rechtfertigung der Anspruchssicherung (vgl. zur Rechtmäßigkeit der Dauer eines Arrestes OLG Nürnberg, Beschluss vom 31.08.2021 – Ws 718/21, juris Rn. 14; OLG Hamm, Beschluss vom 23.06.2022 – III-5 Ws 94/22, juris Rn. 33). Auch wenn die Rechtsprechung damit teilweise nicht die Vollziehungsfrist zum Ausgangspunkt ihrer Erwägungen macht, müssen sich die weichen Argumentationstopoi des Sicherungsbedürfnisses oder der Verhältnismäßigkeit bei der Beurteilung eines Falles konkret in Bewertungen von Fristen umformulieren lassen: Die Pfändung konnte bei einem Zeitablauf von x Monaten/Jahren noch oder nicht mehr vollzogen werden.
Die Überschreitung der noch angemessenen Vollziehungsfrist – wie lang sie auch konkret bemessen sein mag – führt dazu, dass die Vollstreckung aus dem Arrestbeschluss unzulässig wird, wenn sie nicht vorher eingeleitet wurde; Vollstreckungsmaßnahmen nach Ablauf der Frist sind unwirksam (BGH, Urteil vom 10.06.1999 – VII ZR 157/98, juris Rn. 8 f.; MüKoStPO/Bittmann, 2. Aufl., § 111f Rn. 15 f., § 111k Rn. 37).
2. Hier führt der große zeitliche Abstand zwischen dem Erlass des Arrestbeschlusses am 17.05.2018 und dem Vollstreckungsauftrag der Staatsanwaltschaft vom 07.09.2022 jedenfalls dazu, dass die Pfändung nicht mehr wirksam vollzogen werden konnte.
a) Das Amtsgericht Nürnberg erließ den Arrestbeschluss am 17.05.2018. Die Staatsanwältin beauftragte am 22.05.2018 den Rechtspfleger mit dessen Vollziehung. Dieser erteilte am 28.05.2018 den Pfändungsauftrag, der am 03.07.2018 vom Zollfahndungsamt München vollzogen wurde. Der Pfändungsauftrag war auf die Pfändung des beim Zollfahndungsamt verwahrten Bargeldes im (fälschlich angenommenen) Umfang von „circa 250.000 €“ gerichtet. Diese zweifelsfrei wirksame Pfändung des Bargeldes hatte allerdings nicht zur Folge, dass damit die weitere Vollstreckungsmaßnahme – die Pfändung des Schadenersatzanspruchs des Bf. gegen den Freistaat Bayern am 07.09.2022 – auch rechtzeitig eingeleitet worden wäre. In der zivil- und finanzrechtlichen Judikatur ist geklärt, dass auch wenn die Vollziehungsfrist eines Arrestbeschlusses durch den Antrag auf Vornahme einer bestimmten Vollstreckungsmaßnahme gewahrt ist, dieser Arrestbeschluss keine neue, erst nach Ablauf der Vollziehungsfrist beantragte Vollstreckungsmaßnahme trägt (BGH, Urteil vom 25.10.1990 – IX ZR 211/89, juris Rn. 9; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.09.1982 – 16 U 119/82, MDR 1983, 239; BFH, Urteil vom 27.11.1973 – VII R 100/71, juris Rn. 14 und LS). Der Schuldner kann deshalb nach § 766 ZPO die Aufhebung der nach Ablauf der Vollziehungsfrist vorgenommenen Vollstreckungsakte verlangen (BGH, Urteil vom 09.02.1989 – IX ZR 17/88, juris Rn. 11; Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 929 Rn. 24).
b) Das ist nach Auffassung der Kammer auf den strafprozessualen Arrest übertragbar. Wegen der Anschlussfähigkeit an diese allgemeinen zwangsvollstreckungsrechtlichen Erkenntnisse ist auch die Formulierung der Problemstellung als eine Frage der Fristen erforderlich. Andernfalls geriete man in Aporien, weil mit dem Angriff gegen die Vollstreckungsmaßnahme – und diese allein ist Gegenstand des § 111k Abs. 3 StPO –, die materiell-rechtliche Wirksamkeit des zugrundeliegenden Titels, also auch seine fortbestehende Verhältnismäßigkeit, grundsätzlich nicht zur Prüfung gestellt werden kann (BGH, Urteil vom 14.05.1992 – VII ZR 204/90, juris Rn. 15, zutreffend auch AG Nürnberg im angegriffenen Beschluss; anders MüKoStPO/Bittmann, 2. Aufl., § 111k Rn. 37, der im Rahmen des § 111k Abs. 3 StPO die ursprüngliche und fortbestehende Wirksamkeit des Arrestes inzident prüfen will).
Mit seinem Charakter als vorläufiges Sicherungsinstrument wäre es nicht vereinbar, wenn die Staatsanwaltschaft aufgrund desselben Arrestbeschlusses auch nach erheblichem Zeitablauf wieder und wieder – quasi ad infinitum – in immer neue Vermögenswerte vollstrecken könnte, nur weil sie am Anfang rechtzeitig eine gegenständlich begrenzte Vollstreckungsmaßnahme vollzogen hat. Denn der Richter übernimmt mit seiner Arrestanordnung die Verantwortung für die rechtliche Würdigung eines bei seiner Entscheidung so und so gestalteten, aktuellen Sachverhaltes, der sich im Zeitablauf aber regelmäßig verändern kann. Wann der Zeitablauf nicht mehr hingenommen werden kann, die Vollziehungsfrist mithin überschritten wurde, muss hier nicht allgemein festgelegt werden. Im konkreten Fall war sie jedenfalls – nach Wertung der Kammer: offenkundig – abgelaufen.“