Als zweite Entscheidung dann der BayObLG, Beschl. v. 23.12.2024 – 201 ObOWi 1138/24.
Das AG hat mit Urteil v.15.07.2024 den Einspruch gegen einen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 24a Abs. 2 StVG gegen den Betroffenen erlassenen Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Nach dem Bußgeldbescheid steuerte der Betroffene am 10.12.2023 einen Klein-LKW im Straßenverkehr unter Wirkung eines berauschenden Mittels. Zum Zeitpunkt der Fahrt hatte der Betroffene in seinem Blut Tetrahydrocannabinol (THC) in einer Konzentration von 1,2 ng/ml.
Hiergegen wendet sich der Betroffene nach Zustellung des Urteils am 18.07.2024 indem er zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (nach § 74 Abs. 4 OWiG) beantragt und Rechtsbeschwerde eingelegt hat. Der Betroffene macht geltend, ihn treffe kein Verschulden an der Versäumung des Termins. Die GStA hat beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des AG vom 15.07.2024 aufzuheben, den Betroffenen freizusprechen. Es liege ein Verfahrenshindernis vor, weil die Tat nach Inkrafttreten des 6. Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (BGBl. I 2024 Nr. 266) nicht mehr geahndet werden könne.
Das BayObLG folgt dem Antrag:
„c) § 354a StPO i.V.m. §§ 4 Abs. 3 OWiG, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG ist auch hier anwendbar, obwohl ein Urteil vorliegt, durch das der Einspruch des Betroffenen gegen einen Bußgeldbescheid ohne Verhandlung zur Sache gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen worden ist, und damit ein reines Prozessurteil, das keine Feststellungen materiell-rechtlicher Art zur Schuld- und Rechtsfolgenfrage enthält. § 354a StPO ist anwendbar, wenn die Sache irgendwie beim Revisions-/Rechtsbeschwerdegericht anhängig ist, und sei es nur durch einen Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO oder durch die zulässige Revision gegen ein Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO bzw. die zulässige Rechtsbeschwerde gegen ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG (LR/Franke StPO 26. Aufl. § 354a Rn. 9).
Es ist davon auszugehen, dass die nach § 4 Abs. 3 OWiG bedeutsame Gesetzesänderung in jeder Verfahrenslage, vom Rechtsbeschwerdegericht jedenfalls auf die hier erhobene allgemeine Sachrüge zu berücksichtigen ist, wenn die dem Betroffenen zur Last gelegte Sachverhalt nach dem zum Zeitpunkt der Rechtsbeschwerdeentscheidung geltenden Recht nicht mehr ordnungswidrig ist (vgl. BayObLG, Beschl. v. 17.10.1969 – RReg. 4a St 78/69, NJW 1970, 262, 263 = BayObLGSt 1969, 142).
Die Generalstaatsanwaltschaft führt dazu aus:
„Die § 206b StPO zugrundeliegende Wertentscheidung des Gesetzgebers, wonach der vollständige Wegfall der Bußgelddrohung in jeder Lage des Verfahrens zu beachten ist, muss vielmehr auch bei der Auslegung des § 354a StPO Berücksichtigung finden. Der Wortlaut des § 354a StPO steht nicht entgegen; dieser enthält insoweit für den Fall des mit der allgemeinen Sachrüge anfechtbaren Verwerfungsurteils keine Einschränkung. Zudem stünde im Fall eines Sachurteils nach allgemeiner Meinung, etwa im Fall der beschränkten Anfechtung, selbst dessen Teilrechtskraft im Schuldspruch der Berücksichtigung der Rechtsänderung nicht entgegen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 01.12.1964 – 3 StR 35/64; BGHSt 20, 116, 118f.; BayObLG, Urt. v. 19.01.1961 – RReg. 4 St 9/61, NJW 1961, 688; Beschl. v. 17.07.2024 – 204 StRR 215/24, StraFo 2024, 353, 354f.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.05.2024 – 2 ORs 370 SRs 247/24, juris Rn. 8ff.; Fischer StGB 71. Aufl. § 2 Rn. 12 m.w.N.). Entsprechendes muss daher auch dann gelten, wenn noch überhaupt keine Rechtskraft eingetreten ist und durch die Entscheidung über das Verwerfungsurteil erst herbeigeführt werden soll (ebenso LR/Franke a.a.O.). Hinzu kommt, dass das Rechtsbeschwerdegericht den Bußgeldbescheid, aus dem sich der Tatvorwurf ergibt, als Verfahrensvoraussetzung auch nach Ergehen eines Verwerfungsurteils – jedenfalls auf die Sachrüge hin – ohnehin von Amts wegen zur Kenntnis nehmen muss.“
Diese in jeder Hinsicht zutreffenden rechtlichen Erwägungen macht sich der Senat nach eigener Sachprüfung zu eigen. Ein Bußgeldbescheid, dem eine Tat zugrunde liegt, die infolge Gesetzesänderung keine Ordnungswidrigkeit mehr darstellt und deshalb nicht mehr verfolgbar ist, kann nicht Verfahrensgrundlage sein, da der Richter sonst ein Gesetz anwenden müsste, zu dessen Existenzberechtigung bzw. Strenge der Gesetzgeber sich im Entscheidungszeitpunkt nicht mehr bekennt (Schönke/Schröder/Hecker StGB 30. Aufl. § 2 Rn. 14). Die Gesetzesänderung entfaltet dieselbe Wirkung wie ein Verfahrenshindernis.“