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Ein „Tag“ ist eine Unterschrift; oder: Wie „unterschreibe“ ich ein Graffiti?

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Für die „Graffiti-Szene“ von Bedeutung kann der LG Potsdam, Beschl. v. 02.06. 2015 – 24 Qs 110/14 – sein. In dem ihm zugrunde liegenden Verfahren hat die Staatsanwaltschaft den Angeschuldigten eine gemeinschaftlich begangene Sachbeschädigung in Tateinheit mit Störung öffentlicher Betriebe (§§ 303, 316b StGB) vorgeworfen. Die Angeschuldigten sollen in der Nacht vom 09. auf den 10.11 2011 einem gemeinsam gefassten Tatplan folgend jeweils vier Wagen von Regionalzüge der Deutschen Bahn AG mit Graffitizeichnungen besprüht haben; durch das Eindringen von Sprühfarbe in die Türschlösser der beiden Wagenparks hätten die Führerstände der betroffenen Züge nicht betreten werden können, so dass sie abgeschleppt werden mussten. Insgesamt sei – so die Anklage – ein Schaden in Höhe von 3.302,49 € entstanden.

Das AG hatte die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, da nach seiner Auffassung nach dem Ergebnis der Ermittlungen und den gegebenen Beweismöglichkeiten eine Verurteilung nicht hinreichend wahrscheinlich sei. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der StA hatte weitegehend Erfolg. In seinem Beschluss nimmt das LG zur „Unterschriftseigenschaft“ eines „Tag“ Stellung:

„….Die Ermittlungen haben ergeben, dass durch die hier gegenständliche Tat auf die abgestellten Bahnzüge die Tag-Schriftzüge der Angeschuldigten L. (SOUR), S. (TUES), M. (MISTA), R. (RÜBE, LOZR), W. (YUSK) und B. (BECKER) aufgebracht worden sind. In der Graffiti-Szene gilt die Regel, dass ein Tag-Schriftzug nur von einem Graffiti-Sprüher benutzt wird und daher individuell zugeordnet werden kann (LG Berlin, Urteil vom 11.8.2005, (524) 21 Ju Js 783/03 (35/05), in Juris). Im Graffiti-Jargon ist das „Tag“ ein Signaturkürzel des Graffiti-Sprühers und stellt sein Pseudonym dar; es wird häufig als Unterschrift verwendet, aber auch als territoriale Markierung mit dem Ziel, den eigenen Style zu präsentieren und in einem bestimmten Gebiet besonders präsent zu sein und so Bekanntheit (Fame) zu erreichen (vgl. Wikipedia-Eintrag zum Graffiti-Jargon http://de.wikipedia.org/wiki/Graffiti-Jargon). Einen guten, möglichst einzigartigen Style zu erreichen gilt in Graffiti-Kreisen als erstrebenswert. So erläutert Graffiti-Websites: „[…] Tags weisen auf die Individualität von Menschen hin. Es ist ein Ausdruck von Selbstwertgefühl und Urheberschaft, wie auch eine Art Gütezeichen.“ Weiterhin: „Tags […] werden ständig wiederholt und daher von ihren Urhebern ,blind‘ beherrscht. Sie dienen dazu, ein Territorium zu markieren und anderen Taggern zu signalisieren: hier war ich.“ (http://graffitiportal.com/abc2.html). Es ist in Graffiti-Kreisen verpönt, den Tag einer anderen Person zu verwenden. So wird angehenden Graffiti-Sprühern empfohlen, vor der Auswahl des Tag sicherzustellen, dass dieser nicht schon von jemand anderem genutzt wird und sich gegebenenfalls einen anderen Tag zu überlegen, da es „großen Ärger“ nach sich ziehen kann, wenn man mit einem Tag malt, der schon vergeben ist (http://graffitilernen.info/tutorialteil-1-dertag, vgl. auch http://de.wikihow.com/Graffititaggen). Lässt sich ein Tag – etwa aus früheren Verfahren – einem bestimmten Sprayer zuordnen, so kann er ihm auch in weiteren Fällen zugeordnet werden, solange keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieses Tag auch von einem anderen Sprayer verwendet wird oder dass der Tag verkauft worden ist (LG Berlin, Urteil vom 11.8.2005, (524) 21 Ju Js 783/03 (35/05), in Juris). Die Kammer teilt ausdrücklich nicht den Standpunkt, den das Landgericht Offenburg in seiner – oft zitierten – Entscheidung vom 15. Januar 2002 vertreten hat, wonach dem Tag für die Frage der Täterschaft lediglich eine Indizwirkung zukommen soll (LG Offenburg, StV 2002, 359, vollständig in Juris). Angesichts der oben geschilderten Gepflogenheiten in Graffiti-Kreisen, die jedenfalls heute im Internet leicht nachzulesen sind, und angesichts der Bedeutung, die dabei dem Tag als individuelle Signatur zukommt, ist sein Beweiswert mit derjenigen einer individuellen Unterschrift vergleichbar. Zwar mag es in Einzelfällen vorkommen, dass Tags nachgeahmt und insbesondere die Tags von bekannten Sprayern in Einzelfällen „unberechtigt“ kopiert worden sein können (sogenanntes biten; siehe den Wikipedia-Eintrag zum Graffiti-Jargon) (vgl. neben der oben genannten Entscheidung des LG Offenburg auch die eingereichten Entscheidungen des AG Berlin-Tiergarten vom 1.9.2008, Gz.: (279 Ds) 3023 PLs 7352/08 (107/08) und des AG Nürnberg vom 10.3.2011, Gz.: 17 C 10279/10, das sich allerdings auf Takes bezieht). Die bisherigen Ermittlungen haben allerdings keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die oben genannten Individual-Tags der Angeschuldigten L., S., H., M., R., W. und B. im vorliegenden Fall von anderen Personen nicht nur „unberechtigt“ gebraucht, sondern auch in ihrer individuellen optischen Gestaltung (dem Style) nachgeahmt worden sein könnten.“