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„Es kommt auf die Sekunde an“ beim Längenzuschlag, oder: Wann endet eine Stunde?

entnommen wikimedia.org
Urheber Ulfbastel

In der zweiten Entscheidung des Tages, dem AG Dillingen a.d. Donau, Beschl. v. 23.11.2022 – 302 Ds 306 Js 135128/18, geht es – heute sehr passend 🙂 – auch um Zeit und damit um eine Terminsgebühr.

Gestritten worden ist um einen sog. Längenzuschlag Nr. 4128 VV RVG zur Hauptverhandlungsterminsgebühr. Der Rechtspfleger hatte den nicht festgesetzt. Das AG hat dann auf die Erinnerung des Pflichtverteidigers anders entschieden und die Gebühr festgesetzt:

„I. Für den Hauptverhandlungstermin vom 08.02.2022 in der Berufungsinstanz ist die Gebühr nach Nummer 4128 VV RVG angefallen.

Diese entsteht, wenn der gerichtlich bestellte oder beigeordnete Rechtsanwalt mehr als 5 und bis 8 Stunden an der Hauptverhandlung teilnimmt.

1. Dies war vorliegend der Fall, denn die Hauptverhandlung dauerte ausweislich des Protokolls von 09:04 Uhr bis 14:00 Uhr. Bei der Berechnung des Längenzuschlags ist aber ausschließlich auf den in der Terminsladung genannten Beginn der Hauptverhandlung abzustellen, nicht auf den Aufruf der Sache (BeckOK RVG/Knaudt, 57. Ed. 1.9.2022, RVG VV 4128 Rn. 10 m.w.N), denn hierbei handelt es sich um eine Wartezeit, die der Verteidiger nicht zu vertreten hat.

In der Ladung war als Zeitpunkt des Beginns 09:00 Uhr verfügt. Die Berufungsverhandlung endete ausweislich des Protokolls, von dessen Richtigkeit auszugehen ist, um 14:00 Uhr.

Die fünfte Stunde endet mit Ablauf der Sekunde 59:59, danach beginnt die nächste Stunde (Gerold/Schmidt/Burhoff, 25. Aufl. 2021, RVG VV 4108 Rn. 24 LG Karslruhe BeckRs 2020, 40433). Mit Ablauf der Sekunde 13:59:59, also um 14:00:00 dauerte die Hauptverhandlung somit mehr als 5 Stunden.

2. Von dieser Verhandlungsdauer sind die Unterbrechungen von 10:13 Uhr bis 10:45 Uhr und von 12:25 bis 13:04 Uhr nicht abzuziehen

In der obergerichtlichen Rspr. bestand bis zum Inkrafttreten des KostRÄG v. 21.12.2020 erheblicher Streit zu der Frage, ob Wartezeiten des Rechtsanwalts vor bzw. während der Hauptverhandlung zu berücksichtigen sind bzw. ob Pausen von der Hauptverhandlungszeit abgezogen werden müssen.

Dieser Streit hat sich durch die Einfügung des Abs. 3 in die VV Vorb. 4.1 RVG erledigt.

Es ist nunmehr explizit geregelt, wann Pausen bzw. Unterbrechungen im Rahmen von Längenzuschlägen zu berücksichtigen sind, sodass die zu diesem Problemschwerpunkt ergangene Rechtsprechung nunmehr überholt ist. Ausweislich der VV Vorb 4.1 Abs. 3 RVG sind auch Wartezeiten und Unterbrechungen an einem Hauptverhandlungstag als Teilnahme zu berücksichtigen, ausgenommen hiervon sind nur Wartezeiten und Unterbrechungen, die der Rechtsanwalt zu vertreten hat, sowie Unterbrechungen von jeweils mindestens einer Stunde.

Vorliegend sind zwar Unterbrechungen gegeben, diese dauerten jeweils allerdings keine volle Stunde, sodass sie nicht in Abzug zu bringen sind.“

Es kommt auf die Sekunde an. Mal wieder und das dann auch noch im Gebührenrecht. Denn es geht in der Entscheidung um die Frage: Wann endet eine Stunde und wann ist ein Zeitraum von mehr als eine Stunde erreicht? Das AG bezieht sich für seine Ansicht auf die Entscheidung des LG Karlsruhe, über die ich ja auch berichtet habe, das davon ausgegangen ist, dass die fünfte Stunde der Nr. 4128 VV RVG mit Ablauf der Sekunde 59:59 endet und damit um – in diesem Fall – 14.00 Uhr die sechste Stunde begann. A.A. ist das OLG Schleswig im Beschl. v. 25.06.2021 (1 Ws 106/21) gewesen, dass davon ausgegangen ist, dass in diesen Fällen der Verteidiger um 14.00 Uhr noch nicht „mehr als 5 Stunden“ teilgenommen hat. Um diesem Hin und Her zu entgehen, sollte man als Pflichtverteidiger sehr sorgfältig darauf achten, wann die Hauptverhandlung vom Vorsitzenden geschlossen wird und was vom Protokollführenden ins Protokoll aufgenommen wird. Denn, wie gesagt, es kommt auf die Sekunde an, so dass es schon einen Unterschied macht, ob dort 14.00 Uhr oder 14.01 Uhr eingetragen wird.

Eindeutiger ist der Beschluss hinsichtlich der Ausführungen zur Berücksichtigung von Unterbrechungen. Ob die zu berücksichtigen sind und wenn ja, in welchem Umfang war bis zum Inkrafttreten des KostRÄndG 2021 höchst umstritten, was sich aber durch die Einführung der Vorbem. 4.1 Abs. 3 VV RVG erledigt hat. Insofern hat das AG Recht und der Rechtspfleger war, wenn hier neues Recht anzuwenden ist, wovon man offenbar ausgehen muss, nicht auf der Höhe der Zeit. Kann ja mal passieren 🙂 .