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Wiedereinsetzung II: Das falsche Rechtsmittel, oder: Rechtskenntnis macht es dem Rechtsanwalt leichter

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Und die zweite Entscheidung zur Wiedereinsetzung kommt dann vom 8. Zivilsenat des BGH. Der hat über folgenden Sachverhalt entschieden:

Die Beklagte war Mieterin einer Wohnung der Klägerin in Duisburg. Wegen rückständiger Miete und Nebenkosten in Höhe von insgesamt 6.811,66 EUR nebst Zinsen erwirkte die Klägerin einen Vollstreckungsbescheid. In dem auf den Einspruch der Beklagten durch das AG bestimmten Termin sind weder diese noch deren Rechtsbeistand erschienen. Das AG hat daher den Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid durch ein zweites Versäumnisurteil verworfen.

Hiergegen hat die Beklagte fristgerecht Berufung eingelegt. Diese hat das LG – nach einem entsprechenden Hinweis – mit Beschluss vom 08.06.2021 als unzulässig verworfen, da die Voraussetzungen des § 514 Abs. 2 ZPO, mithin das Nichtvorliegen eines Falls schuldhafter Säumnis, durch die Beklagte mit ihrer Berufung nicht schlüssig dargelegt worden seien. Gegen diesen, ihrem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 15.06.2021 zugestellten Beschluss, hat die Beklagte am 17.06.2021 beim Berufungsgericht Anhörungsrüge erhoben. Das Berufungsgericht hat die Beklagte mit Verfügung vom 20.07.2021, dem Prozessbevollmächtigten am 23.07.2021 zugegangen, darauf hingewiesen, dass die Anhörungsrüge wegen der gegen den Beschluss vom 08.06.2021 eröffneten Rechtsbeschwerde nicht statthaft sein dürfte.

Mit am 05.08.2021 beim BGH eingegangenem Schriftsatz hat die Beklagte gegen den (die Berufung als unzulässig verwerfenden) Beschluss des LG vom 08.06.2021 Rechtsbeschwerde eingelegt, diese begründet sowie beantragt, ihr wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dies hatte beim BGH keinen Erfolg. Der hat den Antrag im BGH, Beschl. v. 11.01.2022 – VIII ZB 37/21 – zurückgewiesen.

„Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

1. Sie wurde nicht innerhalb der mit der Zustellung des die Berufung verwerfenden Beschlusses des Landgerichts beginnenden und am 15. Juli 2021 endenden Monatsfrist (§ 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO) eingelegt. Die erhobene Gehörsrüge hindert den Eintritt der formellen Rechtskraft nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 13. April 2021 – VIII ZB 80/20, juris Rn. 15 mwN). Dies stellt auch die Beklagte nicht in Frage.

2. Der Beklagten ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren (§ 233 ZPO), da sie nicht ohne Verschulden an der Einhaltung dieser Fristen gehindert war. Ihr zweitinstanzlicher Prozessbevollmächtigter, dessen Verschulden der Beklagten zuzurechnen ist (§ 85 Abs. 2 ZPO), hat die Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde (§ 575 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO) schuldhaft verstreichen lassen.

a) Zu den – nicht auf sein Büropersonal übertragbaren – Aufgaben eines Rechtsanwalts gehört es, Art und Umfang des gegen eine gerichtliche Entscheidung einzulegenden Rechtsmittels zu bestimmen. Dabei wird vom Rechtsanwalt, an den insoweit hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen sind, die Kenntnis des Rechtsmittelsystems der Zivilprozessordnung erwartet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Mai 2014 – V ZB 172/13, NJW 2014, 2503 Rn. 9; vom 12. Oktober 2016 – V ZB 178/15, NJW 2017, 1112 Rn. 12; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 233 Rn. 50, Stichwort Rechtsirrtum [Anwalt] unter c). Zugleich ist es seine Aufgabe, alle gesetzlichen Anforderungen an die Zulässigkeit des danach bestimmten Rechtsmittels in eigener Verantwortung zu prüfen und dafür Sorge zu tragen, dass dieses Rechtsmittel innerhalb der jeweils gegebenen Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen Gericht eingeht (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Mai 2016 – VIII ZR 19/16, NZM 2016, 767 Rn. 6 mwN; vgl. auch Senatsurteil vom 24. Juni 1992 – VIII ZR 203/91, NJW 1992, 2413 unter I 2 c, insoweit in BGHZ 119, 35 nicht abgedruckt).

b) Dem ist der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht gerecht geworden. Denn statt eine Rechtsbeschwerde durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt einlegen zu lassen hat er gegen den die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss des Landgerichts eine unstatthafte Anhörungsrüge erhoben.

Nach § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist die Anhörungsrüge nur statthaft, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Endentscheidung nicht gegeben ist. Diese Voraussetzung lag hier (offensichtlich) nicht vor (vgl. auch Senatsurteil vom 5. November 2003 – VIII ZR 10/03, NJW 2004, 1598 unter II 1 a; BT-Drucks. 15/3706, S. 15). Denn gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts, mit welchem die Berufung – wie hier – gegen ein zweites Versäumnisurteil der Vorinstanz als unzulässig verworfen wird (zu den Anforderungen an eine Berufungsbegründung im Fall des § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 1990 – IX ZR 62/90, BGHZ 112, 367, 371; Beschluss vom 18. Februar 2020 – XI ZB 11/19, NJW-RR 2020, 575 Rn. 8), ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO die Rechtsbeschwerde statthaft. Auch dies muss einem Rechtsanwalt bekannt sein (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2020 – XII ZB 256/20, NJW 2021, 784 Rn. 8).

Daher hätte der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Beklagten die rechtzeitige Beauftragung eines bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts zur fristgerechten Einlegung einer solchen Rechtsbeschwerde veranlassen müssen, um auf diese Weise das angefochtene Urteil unter anderem wegen der vermeintlichen Gehörsverletzungen zur Überprüfung zu stellen (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).

c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde entfällt das für die Fristversäumung ursächliche Verschulden des Instanzbevollmächtigten der Beklagten nicht wegen eines mitwirkenden Fehlers des Gerichts. Soweit die Rechtsbeschwerde meint, das Berufungsgericht habe die Beklagte zu spät auf die Unstatthaftigkeit der Anhörungsrüge hingewiesen und es versäumt, seinen Hinweis bereits so rechtzeitig vor Ablauf der Monatsfrist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu erteilen, dass für die Beklagte noch die Möglichkeit bestanden hätte, fristgerecht Rechtsbeschwerde einzulegen, wird verkannt, dass eine derartige Hinweis- und Fürsorgepflicht des Berufungsgerichts vorliegend nicht bestanden hat.

aa) Ein Gericht ist nur unter besonderen Umständen dazu gehalten, einer drohenden Fristversäumnis seitens der Partei entgegenzuwirken. Denn einer gerichtlichen Fürsorgepflicht sind im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz Grenzen gesetzt (vgl. BVerfG, NJW 1995, 3173, 3175; BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2005 – VIII ZB 125/04, NJW 2005, 3776 unter III 1 b aa; vom 1. Juli 2021 – V ZB 71/20, NJW-RR 2021, 1317 Rn. 7; jeweils mwN). Es darf allerdings nicht sehenden Auges zuwarten, bis die Partei Rechtsnachteile erleidet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Juni 2004 – VI ZB 9/04, NJW-RR 2004, 1364 unter II 2 a; vom 1. Juli 2021 – V ZB 71/20, aaO). Dabei ist es jedoch grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Richter die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels beziehungsweise hier des Rechtsbehelfs nach § 321a ZPO nicht zeitnah nach dessen Eingang, sondern erst bei der Bearbeitung des Falls und gegebenenfalls nach Ablauf der Fristen überprüft (vgl. BVerfG, NJW 2001, 1343; BGH, Beschlüsse vom 15. Juni 2004 – VI ZB 9/04, aaO; vom 6. Mai 2009 – KZR 7/08, juris Rn. 17; vom 1. März 2016 – VIII ZB 57/15, NJW 2016, 2042 Rn. 31).

bb) Hiernach war das Berufungsgericht – entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde – nicht verpflichtet, die Statthaftigkeit der Anhörungsrüge bereits unmittelbar nach deren Einlegung und insbesondere noch vor Ablauf der Monatsfrist des § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu prüfen. Die Erteilung des Hinweises erst nach Ablauf der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde stellt daher keinen das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten ausschließenden Fehler des Gerichts dar. Dass das Berufungsgericht mit der Erteilung seines Hinweises sehenden Auges bis zum Fristablauf zugewartet hätte, ist von der Beklagten nicht dargelegt worden (vgl. zu dieser Darlegungsobliegenheit BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2005 – IX ZB 138/05, juris Rn. 7).

cc) Zu Unrecht beruft sich die Beklagte schließlich auf die Weiterleitungspflicht des unzuständigen, bereits mit der Sache befasst gewesenen Gerichts bezüglich einer Rechtsmittelschrift (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2005 – VIII ZB 125/04, NJW 2005, 3776 unter III 1 b aa; vom 19. September 2017 – VI ZB 37/16, NJW-RR 2018, 314 Rn. 5; jeweils mwN). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Beklagte hat beim zuständigen Berufungsgericht ausdrücklich eine (unstatthafte) Anhörungsrüge erhoben. Sie hat damit nicht ein an sich gegebenes Rechtsmittel bei einem unzuständigen Gericht eingelegt, sondern vielmehr einen ersichtlich nicht eröffneten Rechtsbehelf gewählt. Eine Umdeutung in eine – mangels Einhaltung der Form- und Fristerfordernisse unzulässige – Rechtsbeschwerde kam daher nicht in Betracht, so dass eine Weiterleitung an den Bundesgerichtshof nicht in Frage gestanden hat (vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2005 – IX ZB 138/05, aaO Rn. 5).“

Der Entscheidung des BGH ist m.E. nichts hinzu zu fügen, außer: Gesetz- und Rechtskenntnis erleichtert dann doch auch für den Rechtsanwalt die Rechtsfindung bzw. hilft, kapitale Fehler zu vermeiden. Hier bleibt dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten dann wohl nur noch, schon mal die Haftpflichtversicherung zu informieren.