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StGB II: Überfahren/Anfahren von Fußgängern, oder: Bedingter Tötungsvorsatz

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Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich heute um das BGH, Urt. v. 25.04.2019 – 4 StR 442/19. Die Zuständigkeit des 4. Strafsenats zeigt: Die Entscheidung könnte etwas mit „Verkehrsrecht“ zu tun haben. Richtig vermutet, denn es geht um folgenden Sachverhalt:

1. Nach dem Ende eines Hoffests in Kr. am 7. September 2015 setzte sich der Angeklagte um 0.25 Uhr ans Steuer seines Pkw Mercedes Benz, um nach Hause zu fahren, obgleich er zu diesem Zeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,91 Promille und höchstens 1,23 Promille aufwies. Seine Freunde M. und H. nahmen auf dem Beifahrersitz und im Fond Platz. Der Angeklagte beabsichtigte, einen nahen Verkehrskreisel zu durchfahren, um sodann in der Gegenrichtung den Heimweg antreten zu können. Zu diesem Zeitpunkt kamen immer wieder Taxis, um wartende Festbesucher aufzunehmen. Die später getötete Th. und ihr Verlobter K. , die ebenfalls das Hoffest besucht hatten, standen in diesem Moment am Eingang des Verkehrskreisels im Bereich eines mit Zebrastreifen versehenen Fußgängerüberweges ein Stück weit in der Fahrbahn, um ein Taxi anhalten zu können. Als sich der Angeklagte mit seinem Pkw dem Pärchen näherte, bedeutete ihm K. mit einer Armbewegung, dass er um ihn und seine Partnerin herumfahren solle, was dem Angeklagten unter teilweiser Benutzung der Gegenfahrbahn auch möglich gewesen wäre.

Der Angeklagte verstand diese Geste nicht ausschließbar dahingehend, dass er anhalten solle, und stoppte sein Fahrzeug. Die Fahrzeugfront befand sich zu diesem Zeitpunkt zwischen eineinhalb und zwei Meter von  Th. und  K. entfernt. Als  Th. und K. stehen blieben, reagierte der Angeklagte gereizt und ließ sein Fahrzeug langsam vorrollen. Unmittelbar vor Th. und K.  stoppte er erneut ab, wobei die Fahrzeugfront jetzt die Beine von K. berührte, was der Angeklagte jedoch nicht wahrnahm. Dadurch wollte der Angeklagte Th. und K. dazu bewegen, zur Seite zu gehen. Beide blieben jedoch eng umschlungen mittig vor dem Fahrzeug stehen, während M. und H. den Angeklagten aufforderten, sich zu beruhigen und „mit sowas“ aufzuhören.

Der Angeklagte fuhr nun „mit normaler Startgeschwindigkeit“ an und erfasste das Paar. Dies hatte er auch so vorausgesehen, wobei er davon ausging, dass sich beide als Folge des Zusammenstoßes mit dem Fahrzeug auch schwer verletzen könnten. Damit fand er sich ab. Ihm war auch bewusst, dass aus dem Zusammenstoß auch tödliche Folgen resultieren konnten, vertraute jedoch darauf, dass dies nicht geschehen würde.

K. wurde durch den Anstoß nach links abgewiesen und kam auf der Fahrbahn zu liegen.  Th.  wurde auf die Motorhaube aufgeladen und saß etwa mittig auf der Haube mit dem Rücken zur Frontscheibe. Sie versuchte, sich mit den Händen neben dem Körper abstützend auf dem Fahrzeug zu halten. Der Angeklagte erkannte dies, fuhr gleichwohl in den Kreisel ein und durchfuhr ihn sodann, wobei er auf eine Geschwindigkeit von höchstens 25 km/h beschleunigte. Nach einer Fahrstrecke von ca. 30 Metern – einer Viertel Umrundung des Kreisels – und einer Fahrzeit von mindestens fünf und maximal sieben Sekunden konnte sich die laut schreiende Geschädigte nicht mehr halten, rutschte von der Motorhaube herunter und kam vor dem Fahrzeug auf der Fahrbahn zu liegen. Sie gelangte sofort unter das bis dahin in gleicher Geschwindigkeit fahrende Fahrzeug, das dadurch eine wippende Auf- und Abbewegung machte.

Zwar bemerkte der Angeklagte diese Bewegung, ging aber davon aus, dass Th. nach rechts von der Motorhaube heruntergerutscht und ohne tödliche Verletzungen zu Boden gefallen war. Weil er die Wippbewegung wahrgenommen hatte, nahm er an, dass sie dabei mit seinem Fahrzeug jedenfalls in Berührung gekommen war. Trotzdem ging er nicht davon aus, dass sich die Geschädigte hierdurch tödlich verletzt haben könnte. Er erkannte jedoch, dass Th. in einer solchen Situation auf vielfältige Art (sofortiges Überfahren, Hängenbleiben an oder unter dem Fahrzeug und anschließende Weiterfahrt) zu Tode kommen könnte. Seine Mitfahrer forderten ihn zum sofortigen Anhalten auf und warfen ihm vor, die Frau angefahren oder überfahren zu haben.

Der Angeklagte fuhr dennoch, ohne zu bremsen oder seine Fahrt zu verlangsamen, weiter durch den Kreisel. Die Anhalteaufforderungen und Schreie seiner Mitfahrer hielt er für Unfug. Danach beschleunigte er auf eine Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/h. Als er eine Bewegung im Lenkrad bemerkte, hielt er an. Die gesamte von ihm ab der Anstoßstelle am Eingang des Kreisels in etwa 30 bis 40 Sekunden zurückgelegte Fahrstrecke belief sich auf etwa 400 Meter.  Th. war nach dem Absturz von der Motorhaube unter das Fahrzeug geraten und die gesamte weitere Fahrstrecke über mitgeschleift worden. Sie erstickte infolge einer durch den Fahrzeugboden ausgelösten Brustkorbkompression.“

Das LG hat das Verhalten des Angeklagten als Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 Abs. 1 StGB) zum Nachteil von Th., vorsätzliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) zum Nachteil von  K. und vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB) gewertet. Einen (versuchten) Totschlag gemäß § 212 Abs. 1 StGB hat es sowohl in Bezug auf    Th. als auch hinsichtlich K. verneint. Eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zum Nachteil des Nebenklägers K. hat es ebenso abgelehnt wie den Qualifikationstatbestand des § 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a und Nr. 2 StGB.

Gegen das Urteil hatte die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Die hatte beim BGH Erfolg. Dort hat die Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes in Bezug auf die Getötete Th.  und die Nichtannahme einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB zum Nachteil des Nebenklägers K. halten der revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand gehalten. Schließlich habe das LG auch den Qualifikationstatbestand des § 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB rechtsfehlerhaft verneint.

Ich greife dann hier mal einen Teil der Ausführungen des BGG zum bedingten Tötungsvorsatz auf – Rest bitte selbst lesen_

„b) Diese Erwägungen sind lückenhaft, weil sie die festgestellten objektiven Tatumstände und das damit einhergehende Verhalten des Angeklagten nicht in ihrer Gesamtheit in den Blick nehmen und unter dem Gesichtspunkt der Gleichgültigkeit gegenüber dem als möglich erkannten Todeseintritt einer Gesamtwürdigung unterziehen. Auch werden einzelne vorsatzkritische Umstände nicht erschöpfend erörtert.

aa) Bedingter Vorsatz und bewusste Fahrlässigkeit unterscheiden sich darin, dass der bewusst fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und auf deren Ausbleiben vertraut, während der bedingt vorsätzlich handelnde Täter den Eintritt des schädlichen Erfolges um des erstrebten Zieles willen billigend in Kauf nimmt oder sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (vgl. nur BGH, Urteil vom 1. März 2018 – 4 StR 399/17, NJW 2018, 1621, 1622 f.; Urteil vom 14. Januar 2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79, 80, jeweils mwN). Dabei kann schon eine Gleichgültigkeit gegenüber dem zwar nicht angestrebten, wohl aber hingenommenen Tod des Opfers die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes rechtfertigen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2016 – 1 StR 248/16, NStZ 2017, 25, 26; Urteil vom 5. Juli 1960 – 5 StR 131/60, NJW 1960, 1821, 1822, weitere Nachweise bei Schneider in MünchKomm. z. StGB, 3. Aufl., § 212 Rn. 73). Dazu ist eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2016 – 5 StR 498/15, NStZ-RR 2016, 204 f. mwN).

bb) Danach hätte sich das Landgericht auf der Grundlage einer zusammenfassenden Würdigung des Verhaltens des Angeklagten und der von ihm wahrgenommenen Tatumstände mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob ihm der als möglich erkannte Eintritt des Todes von Th. gleichgültig war.

Der Angeklagte hat das Geschehen durch ein bewusstes Anfahren des Nebenklägers und der später Getöteten Th. eingeleitet, wobei er schon an dieser Stelle in Kauf nahm, dass sich beide als Folge des Zusammenstoßes mit seinem Fahrzeug auch schwer verletzen könnten. Bereits zu diesem Zeitpunkt war er von seinen Mitfahrern dazu aufgefordert worden, jede weitere Eskalation zu unterlassen. Nachdem er Th. infolge des von ihm herbeigeführten Anstoßes aufgeladen hatte, fuhr er, ohne seine Fahrt zu verlangsamen, weiter und beschleunigte im Anschluss an ihren Absturz sein Fahrzeug zuletzt auf 40 bis 50 km/h. Mit dieser Geschwindigkeit setzte er seine Fahrt auch noch fort, obgleich er erkannt hatte, dass Th. beim Absturz mit seinem Fahrzeug in Berührung gekommen war und in einer solchen Situation auf vielfältige Art und Weise zu Tode kommen konnte. Unmittelbar nach dem Absturz des Tatopfers nahm er die Wippbewegung seines Fahrzeugs wahr, die auch aus Sicht des Angeklagten nicht durch einen Anstoß an den Bordstein erklärbar war. Zudem wurde er von seinen Mitfahrern weiterhin und mit zunehmender Intensität (Schreie) zum Anhalten aufgefordert, weil er die Frau angefahren oder überfahren habe. Dieses durch eine fortschreitende Risikoverschärfung einerseits und ein gleichbleibendes Ignorieren immer intensiver werdender Warnungen andererseits gekennzeichnete Verhalten hat die Strafkammer nicht in seiner Gesamtheit in den Blick genommen und bewertet. Dabei hätte insbesondere erörtert werden müssen, ob darin in der Gesamtschau eine Haltung zum Ausdruck gekommen ist, die durch eine Gleichgültigkeit gegenüber dem als möglich erkannten Tod der Geschädigten gekennzeichnet ist. Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, dass die Weiterfahrt des Angeklagten nach dem Abrutschen von Th. darauf hindeute, dass ihm ihr Schicksal „einerlei“ gewesen sei, greift dies unter den hier gegebenen Umständen zu kurz, weil damit nur ein Teilaspekt des Tatgeschehens erfasst wird.

cc) Auch werden mehrere von der Strafkammer herangezogene vorsatzkritische Umstände nicht erschöpfend erörtert. …………..“

Der Kampfsportler, der mit einem Fäustel zuschlägt…

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Das LG hat einen Angeklagten, „der über langjährige Kampfsporterfahrung verfügt“, wegen eines Raubüberfalls auf eine 73-jährige schmächtige Frau, bei dem der Angeklagte die Frau fünfmal mit einem etwa einen Kilogramm schweren Fäustel geschlagen hat, u.a. wegen versuchten Mordes verurteilt. Dem BGH reichen im BGH, Beschl. v. 09.06.2015 – 2 StR 514/14 die Ausführungen des LG zum bedingten Tötungsvorsatz nicht:

„Die Revision des Angeklagten hat Erfolg. Das Landgericht hat die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes nicht tragfähig begründet.

1. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, und dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Beide Elemente der inneren Tatseite müssen in jedem Einzelfall gesondert geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH, Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.; Senat, Urteil vom 18. Oktober 2006 – 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151; BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Annahme oder Ablehnung bedingten Tötungsvorsatzes können nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestim-mende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1999 – 1 StR 26/99, NJW 1999, 2533, 2534). Bei der Würdigung des Willenselements ist neben der konkreten Angriffsweise jedoch regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die erforderliche Gesamtbetrachtung einzubeziehen (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Juni 2007 – 2 StR 133/07, NStZ-RR 2007, 267, 268).

2. Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Entscheidung nicht gerecht. An der erforderlichen Gesamtwürdigung aller Umstände fehlt es vorliegend gänzlich. Das Landgericht hält lediglich fest, dass die Handlungen des Angeklagten „konkret lebensgefährlich“ und „jeder einzelne Schlag […] geeignet“ gewesen sei, „die Nebenklägerin zu töten“. Dies genügt – wie bereits der Blick auf § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zeigt – für die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes nicht. Seine Überzeugung, dass der Angeklagte die Lebensgefährlichkeit der Schläge erkannte und den Eintritt des ihm unerwünschten Erfolgs jedenfalls billigend in Kauf nahm, begründet das Landgericht nicht näher. Es setzt sich weder mit dem konkreten subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten, der die Nebenklägerin lediglich „außer Gefecht“ setzen wollte, noch mit dem Umstand auseinander, dass die Gefährlichkeit der mit dem Fäustel geführten Schläge entscheidend von ihrer Intensität abhing. Unerörtert bleibt auch, ob das Ausbleiben knöcherner Verletzungen dafür sprechen könnte, dass der Angeklagte die Schläge jedenfalls nicht mit Wucht geführt hat.“

Wirklich ein wenig „dünn“, was das LG da ausgeführt hat. Vor allem dürfte auch der Umstand eine Rolle spielen, dass der Angeklagte „kampfsporterfahren“ war/ist und offenbar gut mit seinen Kräften umgehen kann.